Wo das Auto stehen bleiben kann

Sprinti heißt das On-Demand-Fahrangebot in der Region Hannover, das stetig wächst. 120 Kleinbusse ermöglichen in den Kommunen unkompliziert Mobilität.

Mobilität  |   12. Dezember 2023   |   Bericht von Claudia Euen |  Lesezeit: 3 Minuten

Der 10. Juni 2023 war im Umland von Hannover ein rekordverdächtiger Tag. 2288 Menschen haben dazu beigetragen. Auch wenn sie es damit wohl nicht gleich ins Guinness-Buch der Rekorde schaffen werden, ist Ulf-Birger Franz mächtig stolz auf diese große Menge an Fahrgästen. Franz ist Verkehrsdezernent in der Region Hannover. Gemeinsam mit anderen hat er das On-Demand-Fahrangebot Sprinti ins Leben gerufen. „Immer mehr Leute haben einfach Lust auf diese Alternative zum eigenen Auto. Das merken wir an den Buchungen, dass etwa Berufspendler unseren Service immer häufiger nutzen und das als totale Freiheit empfinden“, sagt der SPD-Mann.

Die Idee ist so simpel wie erfolgreich. Via App bucht man einen elektrisch betriebenen Sprinti-Wagen, der dann in maximal 150 Metern Entfernung zum Fahrgast hält und ihn an den gewünschten Ort bringt. Besonders attraktiv sind die die Fünf- und Sechssitzer-Busse auch, weil sie mit normal gültigen Tickets der Großraum-Verkehr Hannover (GVH) und auch mit dem Deutschlandticket nutzbar sind. Das ist der große Unterschied zu privatwirtschaftlichen Angeboten in der Region. Zudem sind alle Wagen barrierefrei. Sprinti wurde ins Leben gerufen, um ein Problem zu lösen, das viele ländliche Regionen in Deutschland haben: Kein Bus und keine Bahn weit und breit, kein erreichbarer, regulärer ÖPNV. Wenn dem so ist, können Nutzer_innen den Kleinbus rufen und mitfahren.

Sprinti erhält Deutschen Mobilitätspreis 2023

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat das Projekt Sprinti mit dem Deutschen Mobilitätspreis 2023 in der Kategorie „Good Practice“ ausgezeichnet. Der Preis würdigt innovative Projekte, die die Zukunft der Mobilität neu denken und gestalten. Sprinti erhielt die Auszeichnung als „einzigartiger On-Demand-Service für suburbane Räume“. Bei der Preisverleihung am 30. November 2023 in Berlin erklärte Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr: „Im Verkehrssektor stehen wir vor großen Aufgaben. Unser Anspruch ist es, unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele zu erreichen und zugleich die Menschen und Warenströme mobil zu halten. Die prämierten Projekte gestalten die Zukunft der Mobilität innovativ und maßgeblich mit.“ Der Deutsche Mobilitätspreis zählt zu den wichtigsten Auszeichnungen im Bereich Digitales und Mobilität in Deutschland.

Beliebte App: 96 Prozent der Buchungen sind digital

Den App-Nutzer_innen werden dann mehrere virtuelle Haltestellen in den Gemeinden angezeigt, die anhand der Ziele und Routen weiterer Mitfahrender berechnet werden. Der Algorithmus dafür wurde immer weiter entwickelt und verfeinert. Dabei setzt man voll auf Digitalisierung – der überwiegende Teil der Nutzer_innen regelt alles mit dem Smartphone. Aber auch wer kein Handy hat, kann über eine Notruf-Telefonnummer einen Sprinti anfragen. Dieses Angebot nutzen aber nur rund vier Prozent der Fahrgäste. Via Telefon bekommt man den Weg erklärt, wie man am günstigsten vom Wohnort zur Haltestelle kommt. Das ist etwas umständlicher, aber trotzdem möglich und ein Plus für Menschen, die vor der digitalen Welt zu viel Respekt haben.

Sprintis fahren am Wochenende bis vier Uhr nachts

Zwei Jahre dauerte die Testphase in drei Gemeinden, seit dem 10. Dezember 2023 sind es schon zwölf Kommunen. „120 Fahrzeuge sind nun im Umland nur zu diesem Zweck unterwegs“, erklärt Ulf-Birger Franz. „Das sind alles Sprinter in einem einheitlichen Design und sie sind die beste Werbung, denn sie fahren den ganzen Tag durch die Orte und am Wochenende sogar bis vier Uhr nachts.“ Sprinti wird damit zum größten On-Demand-System in Deutschland.

Nutzer_innen schätzen private Atmosphäre im Kleinbus

Es ist ein bisschen wie im privaten Taxi, nur wesentlich günstiger – und verlässlicher, sagen zufriedene Nutzer_innen. Wer schon mal versucht hat, an einem Samstagabend auf dem Land spontan ein Taxi zu rufen, der weiß, was gemeint ist. Ulf-Birger Franz schätzt auch die private Atmosphäre im Kleinbus. „Die Fahrgäste kommen mit dem Fahrer oder der Fahrerin ins Gespräch. Wenn man das selber mal gemacht hat, ist man ganz baff, wie das funktioniert und wie toll das ist.“ Und weil sich das herumspricht, gibt es laut dem hannoverschen Verkehrsdezernenten sogar genügend Fahrpersonal für die Sprintis.

Kosten bleiben die größte Herausforderung

Trotz durchweg positiver Rückmeldung war der Sprinti-Start nicht nur einfach. „Als wir 2019 den Projektantrag gestellt haben, waren wir kurz selbst erschrocken, als wir den Zuschlag bekommen haben“, erinnert sich Ulf-Birger Franz. Der Bund betitelte das Projekt damals als das ambitionierteste ÖPNV-Projekt bundesweit. Abgehalten von der Umsetzung hat sie das in Hannover aber nicht. Dabei sind die Kosten die größte Herausforderung. Für jede Kommune muss die Region etwa 1,5 Millionen Euro aufbringen, bei zwölf Kommunen, auf die das Projekt jetzt ausgedehnt wird, sind das knapp 20 Millionen Euro insgesamt. Die Region Hannover versucht derzeit, mit dem Land Niedersachsen eine Finanzierungsperspektive zu entwickeln (siehe Interview mit UIf-Birger Franz).

80 On-Demand-Angebote bundesweit

Die Idee eines Rufbusses, wie man das früher genannt hat, ist dabei nicht vollkommen neu. 1978 ging im Stadtgebiet von Friedrichshafen – und später auf den Bodenseekreis ausgeweitet – der erste vollflexible Rufbus in Betrieb. Seit den 1980er Jahren entwickelten sich diese Fahrdienste als Nischenprodukte für ländliche Räume und zu Zeiten schwacher Nachfrage. Seit einigen Jahren bieten auch private Anbieter oder öffentliche ÖPNV-Unternehmen On-Demand-Fahrdienste an, zum Beispiel in Stuttgart, Duisburg, Berlin und Lübeck. Im Großraum Braunschweig ist der Kleinbus „Flexo“ unterwegs. „On-Demand-Fahrdienste sind in den vergangenen drei Jahren regelrecht aus dem Boden geschossen“, erklärt Mobilitätsforscherin Victoria Reichow. Sie arbeitet am Deutschen Institut für Urbanistik (difu) und begleitet das Sprinti-Projekt aus wissenschaftlicher Perspektive. Bundesweit gebe es vielleicht 80 dieser Fahr-Angebote, schätzt sie. Die Zahl würde jedoch schwanken, weil Projekte auch wegen zu geringer Nachfrage oft wieder eingestellt würden.

Erfolgreich in dünn besiedelten Gebieten

Das Besondere am Sprinti sei, so Reichow, dass er Buslinien in dünn besiedelten Gebieten oder Orten mit schwacher Nachfrage ersetzt. Auch deshalb sei der Sprinti zukunftsträchtig. Private On-Demand-Fahrdienste in Großstädten zum Beispiel, die zusätzlich zum relativ guten Angebot des ÖPNV eingesetzt würden, hätten es da schwerer. Auch würde sich da die ökologische Frage nicht stellen. Denn das Fahrangebot soll ein Beitrag für den Klimaschutz sein. „Auf dem Land, so haben die Umfragen ergeben, können sich viele Menschen vorstellen, ihr Zweit- oder Drittauto abzuschaffen“, erklärt Victoria Reichow. Bei 360.000 Einwohnern im Großraum Hannover und einer Mobilisierungsquote von 60 Prozent könnte damit schon eine Menge CO₂ eingespart werden.

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