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Hamburg, München und Leipzig arbeiten eng vernetzt an digitalen Tools für nachhaltige Stadtplanung. Ihr Baukastensystem bringt Innovationen auch in andere Kommunen.
Digitalisierung | 3. November 2025 | Bericht von Carolin Rückl | Lesezeit: 6 Minuten
Sie ist eine architektonische Ikone der Moderne, die Villa Savoye von Le Corbusier und Pierre Jeanneret: Ein auf schlanken Säulen thronender Kubus in Weiß und Glas, seit fast einem Jahrhundert ein Wahrzeichen des Pariser Nordwestens. Ein Klick reicht, dann steht sie in einem Hamburger Hinterhof. Noch einer, dann werden die Schatten hinter der Villa lang, obwohl gerade Mittag ist. Eine nette Spielerei – und die Zukunft nachhaltiger Stadtentwicklung.
Seit Januar 2021 arbeitet Hamburg im Projekt „Connected Urban Twins“ (CUT) intensiv daran, gemeinsam mit den beiden Partnerstädten Leipzig und München. Denn im digitalen Modell der Stadt lässt sich nicht nur Corbusiers Villa platzieren. Auch neue Wohnhäuser kann man dort simulieren, Fahrradstraßen oder Parks, die in Hitzesommern Abkühlung versprechen.
Was sind digitale Zwillinge?
„Meine Vision einer Smart City ist eine nachhaltige, lebenswerte und zukunftsfähige Stadt“, sagt Nora Reinecke, die das städte- und ressortübergreifende Projektteam koordiniert. Dafür seien urbane Datenplattformen und digitale Zwillinge wertvolle Werkzeuge. „Man kann sich digitale Zwillinge wie digitale Abbilder der Stadt vorstellen“, sagt Reinecke. Diese Abbilder werden mit aktuellen Daten gespeist – von Bebauungsplänen über Verkehrsdaten bis hin zu sensorgenerierten Echtzeitinformationen über die Belegung von Elektroladestationen. Anders als in einem reinen 3D-Modell lässt sich so nicht nur digital abbilden, wie gut beispielsweise die Infrastruktur genutzt wird, sondern auch modellieren, wo es noch Bedarf gibt. „Mit digitalen Zwillingen können wir Was-wäre-wenn-Szenarien simulieren“, sagt Reinecke. Wie sähe ein Lastenrad-freundliches München aus? Lohnt sich der Kita-Ausbau im Leipziger Osten? Reichen Sturmflutwarnsysteme und Deiche in Hamburg, wenn der Meeresspiegel steigt und Sturmfluten wahrscheinlicher werden?
Drei Städte, verschiedene Bedürfnisse
Die Projektstädte eint das Ziel, mit digitalen Technologien ihre Verwaltung zukunftsfähig zu machen. München und Hamburg belegen im Smart-City-Ranking des IT-Branchenverbands Bitkom regelmäßig die oberen Plätze und in allen drei Projektstädten gab es schon vor Projektstart Digitalisierungs- und Smart-City-Strategien. Dazu kommt, dass alle drei als deutsche Großstädte ähnliche Anforderungen haben, Net-Zero-Strategien etwa. „Anfangs wollten wir deswegen Anwendungen entwickeln, die auf alle Städte gleich passen“, sagt Reinecke. In ihren Prioritäten und Zielen unterschieden sich die Städte zum Teil jedoch sehr stark. Ein Problem, das CUT heute ausmacht: Im Projekt sind verschiedene replizierbare Open-Source-Anwendungen und technische Bausteine entstanden, die die städtische Perspektive verlassen und so auch anderen Kommunen als Startpunkt für stadtspezifische Entwicklungen nach eigenen Bedarfen dienen können.
„Das Konzept gleicht einem Baukasten“, sagt Projektleiterin Reinecke. Die Bausteine sind alle digitalen Ressourcen einer Kommune: Topographie- und Vermessungsdaten, Informationen zu Bauvorhaben, zum Umweltschutz oder zur Soziodemografie, Analysen und Modelle, etwa zur Entwicklung des Mobilitätsverhaltens, die Strukturen und Akteur:innen in einer Stadt. Diese Bausteine lassen sich als individuelle digitale Zwillinge zusammensetzen – auf Basis der jeweils verfügbaren Daten und angepasst an den konkreten Bedarf. „Es gibt also nicht den einen digitalen Zwilling, sondern einen für jede Fragestellung“, sagt Reinecke. Mehr dazu im VORAN-Interview mit Nora Reinicke.
Konkrete Anwendungen in der Praxis
Insgesamt hat das CUT-Team seit Projektstart 15 Anwendungen für die Stadtentwicklung erarbeitet: einen Kitanetzplan für Leipzig zum Beispiel oder ein 3D-Projektplaner für Bauvorhaben in Hamburg. „In München arbeiten wir aktuell an einem Dashboard für die Wohnungsmarktbeobachtung“, sagt Panagiota Papakosta vom dortigen Referat für Stadtplanung und Bauordnung, die im CUT-Projekt für Anwendungsfälle im Bereich der Stadtentwicklung verantwortlich ist. Bisher seien Informationen zum Wohnungsmarkt als PDF-Dateien an die Öffentlichkeit ausgegeben worden. „Das Dashboard basiert auf Daten unterschiedlicher Quellen des öffentlichen und privaten Sektors und zeigt statt viel Text eine interaktive Karte mit Diagrammen und Grafiken zeitlicher Entwicklungen“, sagt Papakosta. So wird auf einen Blick klar, wo Gebäude leer stehen, aber auch, wohin Studierende, Rentner:innen oder Familien ziehen und wie sich Bedarfe entwickeln. Der große Vorteil: Das System aktualisiert sich automatisch – die zeitaufwändige manuelle Aktualisierung von Flyern entfällt.
Die digitalen Anwendungen dienen nicht nur Stadtplaner:innen als Werkzeug, sondern können auch die Beteiligung fördern. Zum Beispiel, indem Bürger:innen in einem digitalen Zwilling ortsgenaues Feedback an die Verwaltung kommunizieren. „Als Radfahrer:in kann man so auf einer Online-Plattform vermerken, wie oft einem an einer Kreuzung die Vorfahrt genommen wurde“, sagt Reinecke. Häuft sich solches Feedback, kann die Verwaltung bei künftiger Planung gezielter reagieren.
Erfolgsfaktoren: Praxisnähe und Nutzer:innenorientierung
Der Erfolg der CUT-Anwendungen liegt vor allem in der praxisnahen Entwicklung. Alle Tools entstehen im engen Austausch mit den späteren Nutzer:innen. „Die Kunst ist, dass sie mit ihren Ideen die Personen inspirieren, die die Technik beherrschen“, sagt Papakosta. 70 Fachleute arbeiten bis zum Ende der Laufzeit im Dezember 2025 daran, möglichst viele adaptierbare Anwendungen für digitale Stadtentwicklung und Beiteiligungsformen zu entwickeln. Das sei eine der Stärken des Projekts: „Wir können parallel sehr viel ausprobieren und voneinander lernen.“ Davon profitieren auchandere Kommunen: Alle Codes sind Open Source verfügbar, in Webinaren werden einzelne Anwendungen im Detail vorgestellt und das Team stehe für Gespräche bereit und könne Material bereitstellen, sagt Papakosta.
Wissenstransfer für Digitalisierung auch in kleinen Kommunen
„Wissenstransfer ist eines unserer Kernziele“, sagt auch Projektleiterin Reinecke. Denn CUT sei erfolgreich, weil die Projektstädte sich intensiv austauschen – und weil das Team von anderen erfolgreichen Projekten lernen konnte. Seit 2019 hat die Bundesregierung in drei Runden 73 Smart-Cities-Modellprojekte ausgewählt, CUT ist das bundesweit größte. Die Projekte werden von der Koordinierungs- und Transferstelle Modellprojekte Smart Cities (KTS) unterstützt, die die Vernetzung der Projekte fördert. „Dort findet man gebündelt zentrale Informationen und Erfahrungen“, sagt Reinecke – auch ohne Teil des Förderprogramms zu sein.
CUT wird mit rund 21 Millionen Euro gefördert, ergänzt um rund 11 Millionen Euro der drei Partnerstädte. Gerade kleineren Kommunen fehlen oft Ressourcen für innovative Digitalisierungsansätze. „Größere Kommunen sollten kleine deswegen unterstützen und ihnen zum Beispiel Zugang zu Datenplattformen geben“, sagt Papakosta. Ebenso wichtig sei aber Offenheit für Innovation. „Hier in München haben die Leute Lust am Experimentieren und eine gute Fehlerkultur“, sagt Papakosta. Anders als im Brandschutz oder der Flugsicherung seien Fehler in der Stadtentwicklung selten lebensbedrohlich. „Das ist der richtige Ort, um kreativ zu werden.“ Und so vielleicht mit München und Hamburg als smarteste Cities gleichzuziehen.
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