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"Wir schaffen das!" jährt sich Ende August zum 10. Mal. Hussein Al-Ibrahim kam als minderjähriger Geflüchteter aus Syrien nach Deutschland. Was hat ihm geholfen anzukommen?
Im Winter 2015 strandete ich mit 15 Jahren allein in Hamburg: ohne Familie, ohne Plan, aber mit Hoffnung. Ich war aus Syrien geflüchtet. Nach vier langen Monaten der Flucht über Griechenland – mal zu Fuß, mal mit der Bahn – erreichte ich Hamburg. Ich war nicht freiwillig gegangen, sondern auf Wunsch meiner Familie. Sie traf damals die schwerste Entscheidung überhaupt: Ihr Kind, also ich, sollte seine Heimat verlassen, damit es eine Zukunft hat. Ich sollte in Sicherheit leben können – selbst wenn das bedeutete, sie alle zurückzulassen. Ich habe mich auf den Weg gemacht, weil meine Familie an mich glaubte.
Ankommen in Deutschland bedeutete für mich zunächst, in einer Flüchtlingsunterkunft mit 200 bis 300 Jugendlichen aus aller Welt zu leben. Menschen, Sprachen, Kulturen – alles war neu und fremd, auch die anderen Flüchtlinge. Ich war mittendrin, ein Junge, noch minderjährig, auf sich allein gestellt. Ich kam mir vor wie ein neugeborenes Kind – nur eben ohne Eltern und Familie, die einem alles beibringen: sprechen, essen, sich zurechtfinden, mit Behörden umgehen, Wäsche waschen, sich angemessen benehmen. Alles, was hier selbstverständlich ist, war für mich ein Lernprozess.
Die größte Herausforderung war aber nicht die Sprache oder das deutsche Wetter – obwohl mir das Wetter in Hamburg am Anfang wirklich fremd vorkam – sondern die unendliche Einsamkeit. Ohne Familie, ohne jemanden, der abends fragt, wie es dir geht, habe ich viel Zeit mit mir selbst und in Gedanken verbracht Und trotzdem war es genau das, was mich stark gemacht hat. Ich musste Verantwortung übernehmen und mit 15 Jahren denken und handeln wie ein Erwachsener. So oft aber habe ich mir gewünscht, ein ganz normaler Jugendlicher zu sein.
Was mich durchgetragen hat? Menschen. Freunde, die zu Familie wurden. Lehrerinnen und Sozialarbeiter, die nicht nur erklärt, sondern zugehört haben. Und mein innerer Antrieb. Immer wieder habe ich mir gesagt: Ich bin nicht hierhergekommen, um aufzugeben.
Meinen Weg in Deutschland bin ich Schritt für Schritt gegangen: Hauptschulabschluss, Realschulabschluss, Fachabitur – auch, wenn ich das Fachabi nicht beendet habe, weil die Gedanken an meine Familie in Syrien zu viel Raum eingenommen haben. Ich hatte Konzentrationsschwierigkeiten, sorgte mich um meine Familie, die ja nach wie vor in einem Kriegsgebiet lebte und lebt
Trotzdem habe ich weitergemacht. Ich habe eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten in meiner Gemeinde abgeschlossen. Dort, wo ich lebe. Dort, wo ich angekommen bin.
Heute arbeite ich bei der Ausländerbehörde. Das war ein ganz bewusster Schritt: Ich wollte genau dort helfen, wo ich früher selbst verzweifelt war. Ich kenne die Formulare, die Angst vor dem Briefkasten, das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Und ich wollte etwas für die Menschen ändern, die heute dort stehen – genau dort, wo ich vor zehn Jahren auch stand.
Inzwischen hat sich mein Leben komplett verändert. Ich habe meine Frau in Deutschland kennengelernt, und wir sind mittlerweile eine kleine Familie: Meine Tochter ist zwei Jahre alt. Für mich ist sie der lebende Beweis, dass Ankommen nicht nur möglich ist, sondern dass daraus ein neues Zuhause entstehen kann – mit Wurzeln in zwei Welten, aber mit einem Herzen, das hier schlägt.
Natürlich hat sich in den letzten zehn Jahren auch auf behördlicher Seite vieles verändert. Es gibt mehr Angebote, mehr Strukturen – aber auch mehr Bürokratie und mehr Frust auf beiden Seiten. Ich sehe das täglich: Geflüchtete fühlen sich oft nicht gesehen, und Mitarbeitende sind manchmal überfordert. Dabei vergessen wir das Wichtigste: den Menschen. Nicht die Herkunft. Nicht das Papier. Nicht den Aufenthaltsstatus.
Ich wünsche mir, dass wir wieder anfangen, einander als Menschen zu begegnen und nicht als Aktenzeichen. Wir lachen, weinen und zweifeln – egal, woher wir kommen, woran wir glauben oder was wir essen. Ein Mensch ist ein Mensch. Frei, so wie unsere Gedanken frei sind.
Uns fehlt manchmal der Blick fürs Wesentliche: den Menschen zu sehen, nicht seinen Titel, sein Diplom oder seine Hautfarbe. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam unter einem Dach leben – in Respekt, Offenheit und mit der Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Auch dann, wenn es Überwindung kostet. Nur so kann Ankommen gelingen – nicht nur für Geflüchtete, sondern für uns alle.
Zur Anmeldung
Hussein Al-Ibrahim kam 2015 als minderjähriger Geflüchteter nach Deutschland. Nach erfolgreichem Haupt- und Realschulabschluss, arbeitet er nun als Verwaltungsfachangestellter in der Ausländerbehörde. Gemeinsam mit seiner Familie lebt er in der Nähe von Hamburg. Hussein Al-Ibrahim ist einer der Protagonist_innen des Films "Wir sind jetzt hier - Geschichten über das Ankommen in Deutschland".
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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