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Studie: Die Zukunft der NATO

Zukunft der NATO: Was bleibt von der Führungsrolle der USA?

Gerade erst hat die NATO - angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine - ihre Daseinsberechtigung als Bündnis kollektiver Sicherheit bestätigt und neue Mitglieder gewonnen. Statt Debatten über Aufgaben und Einsatzgebiete rückt nun die Kernaufgabe der Allianz wieder in den Vordergrund: die Bündnisverteidigung in Europa.

Mit Trumps Wiederwahl ist allerdings nicht nur die Sorge um die sinkende Unterstützung der USA für die europäische Sicherheit und Europas massive Abhängigkeit von US-Fähigkeiten zurückgekehrt, sondern auch die grundsätzliche Frage, ob die USA noch verlässliche Partner sind.

Wie kann eine militärische Allianz politisch Gleichgesinnter weiter funktionieren, wenn die mit Abstand größte Militär- und Führungsmacht im Bündnis das bisherige Selbstverständnis offen infrage stellt? Gelingt es, die USA im Bündnis zu halten?

Oder können und wollen die europäischen Mitgliedsstaaten einen möglichen Wegfall des Hegemons kompensieren? Vielleicht transformiert sich die NATO aber auch zu einer Organisation, die nur noch fallweise in „Koalitionen der Willigen“ agiert?

 

Zukunftsmodelle für die NATO

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurden die sicherheitspolitischen Debatten in repräsentativ ausgewählten Mitgliedstaaten sowie wichtigen Nicht-Mitgliedstaaten und der NATO selbst analysiert. Die Untersuchungen zeigen sowohl Gemeinsamkeiten als auch deutliche Unterschiede - abhängig von der jeweils wahrgenommenen Bedrohungslage.

Aus diesen Analysen leiten die Autor:innen drei idealtypische Zukunftsmodelle der NATO ab. Besonders im Fokus: die bislang wenig beleuchtete Frage, wie das Bündnis ohne die Führungsrolle der USA bestehen könnte.

 

Über die Studie

Seit Jahren begleitet die Friedrich-Ebert-Stiftung den Diskurs um die Zukunft der NATO und analysierte die nationalen Debatten rund um die Reform der NATO 2021 bereits in einer Vorgängerstudie. So gibt auch unsere aktuelle Studie eine fundierte Orientierung für die Beteiligung an der politischen Debatte, wie die Sicherheitsstrukturen im transatlantischen Raum weiterentwickelt werden können.
Im Mittelpunkt steht die NATO als Grundpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur.

Wer über ihre Zukunft sprechen will, muss die unterschiedlichen sicherheitspolitischen Positionen innerhalb und außerhalb der Allianz kennen und verstehen. Die Studie erschließt Perspektiven aus 14 Ländern – darunter große wie kleinere Mitgliedstaaten wie die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande, Vertreter der Nord-Ostflanke der NATO wie Polen, Litauen, Finnland und Schweden, sowie Vertreter der Südflanke mit Italien und der Türkei. Ergänzt wird die Analyse durch Positionen aus der Ukraine und dem NATO-Generalsekretariat.

Auch der Blick von außen wird mit der Analyse der Debatte in China und der Russischen Föderation berücksichtigt. Expert:innen haben sowohl fachliche als auch öffentliche sicherheitspolitische Debatten analysiert. Im Unterschied zu Momentaufnahmen durch Umfragen erlaubt dieses Vorgehen stabile Trends und grundlegende Veränderungen in politischen Diskursen sichtbar zu machen – Entwicklungen, die die öffentliche Meinung ebenso wie politische Entscheidungen entscheidend beeinflussen. Auf dieser Grundlage fassen die Autor:innen die zentralen Erkenntnisse zusammen und skizzieren mögliche Entwicklungspfade für die NATO. Diese Szenarien liefern gezielte Impulse - für politische Entscheidungsträger:innen, Medienschaffende und interessierte Bürger:innen.

Die Studien wurden zwischen November 2024 und März 2025 verfasst und kürzlich noch einmal auf den aktuellsten Stand der Entwicklungen gebracht.

 

Vergleichsstudie

Die ungewisse Zukunft der NATO

Dembinski, Matthias; Spanger, Hans-Joachim

Die ungewisse Zukunft der NATO

Bonn, 2025

Download (5,7 MB PDF-File)

Verantwortlich

Peer Teschendorf

+49 30 26935-7729

Peer.Teschendorf(at)fes.de

 

Presseanfragen

Johannes Damian

030 269 35-7038

Presse(at)fes.de

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick

Mission klar – Weg unklar

Die NATO kehrt zurück zur kollektiven Verteidigung. Unklar bleibt, wie sie ohne oder mit weniger USA-Präsenz funktionieren kann. Vor 2022 drehte sich die Debatte um die Mission – jetzt um ihre Umsetzung.

Konventionelle Verteidigung – viel Wille, wenig Tempo

Der Ausbau der konventionellen Verteidigung wird in fast allen Ländern als notwendig angesehen. Doch es bleiben drei kritische Schwachstellen: das langsame Tempo beim militärischen Wiederaufbau, die hohe Abhängigkeit von US-Streitkräften in Europa und die wachsende Eskalationsgefahr im Falle eines militärischen Konflikts mit Russland.

„It‘s the USA, stupid!“

Donald Trump stößt die NATO in eine tiefe Krise. Seine Angriffe auf das Bündnis und die damit verbundene Infragestellung gemeinsamer Werte erschüttern die Grundfesten der transatlantischen Partnerschaft. Ein formaler Austritt der USA gilt zwar als unwahrscheinlich, doch das Vertrauen ist brüchig. Viele Staaten – vor allem in Nord- und Osteuropa – halten dennoch demonstrativ an der Führungsrolle der USA fest, in der Hoffnung, dass die Allianz bis zu den nächsten US-Wahlen politisch stabil bleibt.

Zukunft der NATO: Drei Szenarien – drei Modelle – und die Schlüsselrolle der USA

Ob die NATO als Bündnis bestehen bleibt, hängt zentral von der US-Rolle ab. Drei denkbare Modelle/Szenarien dominieren die Debatte:

  • Die USA bleiben engagiert, Europa übernimmt mehr Verantwortung („Transatlantische NATO Minus“)
  • Die USA ziehen sich zurück, Europa organisiert seine Sicherheit eigenständig („Europäische Verteidigungsunion“)
  • Die USA bleiben dabei, ohne Führungsrolle („NATO als Baukasten“)

Geografische Nähe zu Russland prägt Positionen

Die Nähe zu Russland verändert die Perspektive. Staaten wie Litauen, Polen oder Finnland sehen Russland als dauerhafte Bedrohung – Länder im Südwesten Europas deutlich weniger. Diese Unterschiede wirken sich auf Debatten über Verteidigungsausgaben, Atomwaffen und Ukrainepolitik aus.

Die Türkei geht eigene Wege

Die Türkei nimmt eine Sonderrolle ein. Sie versteht die NATO vor allem als Rückversicherung, nicht als Sicherheitsanker. Ihre Positionen weichen oft deutlich vom Rest des Bündnisses ab. Ankara verfolgt gezielt eine Politik, die mehrere außen- und sicherheitspolitische Optionen offenhält.

Frankreich bleibt gelassen

Frankreich begegnet der Debatte um den US-Rückzug mit strategischer Ruhe. Anders als viele andere Mitgliedstaaten sieht Paris die eigene Sicherheit nicht primär in Abhängigkeit von Washington. Das Streben nach europäischer Autonomie prägt seit Langem die französische Außen- und Sicherheitspolitik.

Ukraine rein? Kommt auf die Bedrohungssicht an

Ob die Ukraine Teil der NATO werden soll, hängt für viele Staaten von der Einschätzung der russischen Bedrohung ab. Wer Russland als dauerhafte Gefahr sieht, befürwortet einen Beitritt. Wer den Konflikt für begrenzt hält, warnt vor einer Eskalation durch Aufnahme der Ukraine.

Nukleare Abschreckung ohne USA – kaum realistisch

Je näher ein Land geographisch an Russland liegt, desto größer ist die Akzeptanz für nukleare Abschreckung. Gleichzeitig teilen die meisten Expert:innen und Think Tanks die Einschätzung: Weder nationale noch rein europäische Nuklearkonzepte sind realistisch.

Krisenintervention im Globalen Süden – NATO nicht die erste Wahl

Es gibt grundsätzliche Zweifel daran, ob die NATO als konsensorientierte Organisation am besten geeignet ist, um die oft umstrittenen Einsätze gegen den Terrorismus durchzuführen. In solchen Fällen sind eher „Koalitionen der Willigen“ gefragt. Die NATO sollte diese durch Ausbildungsmaßnahmen und den Austausch von Informationen flankierend unterstützen. Gleichzeitig muss sie ihre Fähigkeiten zur Krisenintervention für künftige Einsatzlagen erhalten.

Funktionale Ausweitung verliert an Bedeutung: NATO kehrt zurück zur Kernaufgabe

Fragen wie Energiesicherheit, Klimaschutz, Gleichstellung und Diversität rücken in den Hintergrund. Die Rückbesinnung auf kollektive Verteidigung und politische Blockaden – vor allem aus den USA – haben ihre Bedeutung in der NATO geschwächt. Auch bei neuen Herausforderungen wie hybriden Bedrohungen bleibt die NATO nur bedingt zuständig. Für Desinformation und grundlegende Cybersicherheit sehen die meisten Staaten die Verantwortung bei sich selbst. Die NATO greift nur ein, wenn militärische Bezüge bestehen oder massive Schäden drohen.

China als sicherheitspolitische Herausforderung: Resilienz und De-Risking dominieren

China gilt in den meisten untersuchten Ländern als „systemischer Rivale“ und zunehmende sicherheitspolitische Herausforderung. Die Mehrheit spricht sich für mehr Resilienz und gezieltes De-Risking aus. Nur die USA und Litauen gehen weiter und setzen auf Abschreckung und wirtschaftliche Entkopplung. Die Türkei nimmt eine Sonderrolle ein: Als einziges NATO-Mitglied der Studie plädiert sie für eine Ausweitung der politischen Zusammenarbeit mit China.

Indopazifik – keine NATO-Zone

Ein direktes Engagement der NATO im Indopazifik – etwa als Ausgleich für das verstärkte US-Engagement in Europa – wird derzeit nicht als sinnvoll angesehen. Besonders vor dem Hintergrund von Trumps unberechenbarem Verhalten wächst die Sorge, unbeabsichtigt in Konflikte hineingezogen zu werden. Die sicherheitspolitische Herausforderung durch China sollte nach Einschätzung vieler Think Tanks vorrangig im Rahmen der EU adressiert werden.

Aus der Geschichte...

Schwarzweiß-Foto eines 10 Jahre NATO – 10 Jahre Sicherheit-Plakats 1959 mit zerbombter Hausfassade im Hintergrund.

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