Werbung ist eine wichtige Einnahmequelle für Medien. Daran ist nichts auszusetzen – solange die Nutzer eindeutig zwischen redaktionellem Inhalt und Anzeigen unterscheiden können. Doch mit Phänomenen wie Native Advertising und Content Marketing verschwimmen die Grenzen zunehmend. Journalisten machen keine PR und Redaktionen kennzeichnen werbliche Inhalte deutlich – sind diese Grundsätze obsolet?
Wir diskutierten mit Johannes Endres, dem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses beim Presserat, der sich mit der Trennung von Werbung und Redaktion beschäftigt, und Annette Floren, Expertin für Native Advertising und Content Marketing.
Die Kernpunkte der Diskussion
Inwiefern werden die Grenzen zwischen Redaktion und Werbung im Journalismus heute verwischt? Und wie unterscheiden sich hier Print- und Online-Medien?
Johannes Endres: Neben der klassischen Schleichwerbung gibt es einen Punkt, der uns beim Presserat immer häufiger beschäftigt. Das sind Eigeninteressen des Verlages, die nicht klar gekennzeichnet sind. Ein Verstoß gegen den Pressekodex ist es etwa, wenn ein Verlag unter Veranstaltungshinweisen nur die Telefonnummer des eigenen Ticketshops angibt, nicht aber die anderer Ticketshops.
Ein anderer Punkt sind Texte oder Seiten, die von Firmen „präsentiert“ werden. Da weiß der Leser nicht, ob die Firma für den Inhalt bezahlt hat, ob es sich um eine Anzeige handelt oder worin die „Präsentation“ eigentlich besteht.
Annette Floren: Online geht es vor allem um Content Marketing und Native Advertising. Das sind zwei neue Kommunikationsformate für kommerzielle Unternehmen. Das Besondere ist, dass die Unternehmen ihre Produktinformationen und ihre Unternehmenskommunikation quasi journalistisch aufmachen. Sie bieten informierende, unterhaltende Inhalte, präsentieren Lifestyle-Botschaften und setzen damit auf langfristige Bindungen, anstatt direkt über ihre Produkte zu sprechen, um kurzfristig den Absatz zu erhöhen.
Wie unterscheiden sich Content Marketing und Native Advertising?
Floren: Beim Content Marketing betreiben die Unternehmen ihre eigenen Kommunikationskanäle. Beispiele sind etwa das Coca Cola-Magazin Journey oder von Red Bull die Webseite Bergwelten oder das gedruckte Red Bulletin. Red Bull ist inzwischen mehr Medienkonzern als Brausehersteller, der Konzern betreibt zum Beispiel auch den österreichischen Fernsehsender Servus TV.
Native Advertising nutzt dagegen unternehmensfremde Kanäle. Das funktioniert vom Geschäftsmodell her wie die gute alte Werbung, das heißt das Unternehmen zahlt dafür, seine Inhalte auf einem anderen Medium mit hoher Reichweite zu platzieren. Dabei kommen die werblichen Inhalte in einer redaktionellen Aufmachung daher und sind von den journalistischen Inhalten optisch kaum zu unterscheiden. Sehr affin zu Native Advertising sind etwa das Spiegel-Jugendportal Bento, die Huffington Post, Buzzfeed oder auch die Morgenpost Sachsen. Für die User ist wichtig zu wissen: Man verlässt hier den unabhängigen journalistischen Sektor.
Content Marketing und Native Advertising sind übrigens echte Buzzwords in der PR- und Marketingszene, sie verspricht sich sehr viel davon.
Wer erstellt Native Ads: die Redaktion oder das werbende Unternehmen?
Floren: Beides kommt vor. Verlage sehen im Native Advertising zum Teil eine doppelte Einnahmequelle, indem sie den Platz dafür verkaufen und zusätzlich die Texte produzieren.
Wer ist für die zunehmende Vermischung von Redaktion und Werbung verantwortlich?
Endres: Der schöne Satz „Journalisten machen kein PR“ ist irreführend. Es ist nicht allein die Verantwortung der Journalisten, sondern ausdrücklich auch die der Verlage. Häufig gibt es Druck aus der Chefredaktion oder der Verleger-Etage, dass Redakteure sich an PR-Texten beteiligen müssen.
Das djv-Magazin Journalist hat im vergangenen Jahr Tipps zum Umgang mit Native Advertising gegeben. Ist das nicht widersinnig – weil Medien damit ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen?
Floren: Das ist der pragmatische Umgang mit einem Phänomen, in dem viele Verlage einen guten Ersatz für wegfallende Verdienstquellen sehen. Ja, Native Advertising ist eine Verunreinigung des Journalismus. Ich würde gerne in einer Welt leben, in der die reine Lehre gilt, dass Journalisten keine PR machen – aber das ist nicht die Realität, weil sich die meisten Medien das gar nicht leisten können. Es muss also darum gehen, Native Advertising in einer vertretbaren Form zu machen, also mit klarer Kennzeichnung, aber auch in einer vertretbaren Menge: nicht zu viele Native Ads auf einer Seite und nicht zu prominent platziert.
Endres: Leider können wir nicht sagen, was ich für das Richtige hielte: Nein, wir machen das nicht. Aber man muss sich wirklich sehr genau anschauen, wie die Kennzeichnung funktioniert, und darf sich dabei nicht in die eigene Tasche lügen. Die Spruchpraxis des Presserats ist eindeutig: Wenn nicht das Wort „Anzeige“ dasteht, akzeptieren wir es nicht. Die Kennzeichnung „Sponsored Post“ beispielsweise reicht nicht. Uns geht es um Transparenz: Der Leser soll schnell erkennen, welches Interesse hinter einer Veröffentlichung steht.
Auftraggeber wollen aber gerade, dass Native Ads den redaktionellen Inhalten so ähnlich wie möglich sind, denn genau darin liegt ja der Vorteil gegenüber herkömmlichen Anzeigen.
Endres: Trotzdem gilt, dass man deutlich kennzeichnen muss – nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch, um das Vertrauen der Leser nicht aufs Spiel zu setzen. Auch die Auftraggeber von Native Advertising wollen ja vom Vertrauen der Leser in die Medien profitieren. Meine Prognose ist: Wenn Native Advertising in bestimmten Medien eine immer größere Rolle spielt, dann werden diese Medien an Bedeutung verlieren, weil sie ihre Glaubwürdigkeit verspielen.
Die schärfste Sanktionsmöglichkeit des Presserats ist die Rüge. Wie scharf ist dieses Schwert?
Endres: In der Wirkung ist eine Rüge vergleichbar mit einer Gegendarstellung. Die Verlage haben sich verpflichtet, sich mit der Veröffentlichung der Rüge selbst zu kasteien, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Wir merken aber schon bei der Diskussion über eine Beschwerde, dass die Redaktionen sehr stark auf das reagieren, was wir machen. Aber natürlich: Der Presserat ist ein Selbstkontroll-Gremium und kein Gericht.
Was hält die PR-Branche davon, Anzeigen deutlich zu kennzeichnen?
Floren: In der PR-Branche ist viel von Glaubwürdigkeit und Vertrauen die Rede. Auch im Kodex der PR-Branche wird die klare Kennzeichnung gefordert, aber dieser Kodex ist noch ein viel stumpferes Schwert als der Pressekodex. Da werden hehre Werte hochgehalten, aber die konkreten Ausformulierungen sind wachsweich. Meiner Meinung nach sollte die PR-Branche ihre Zielgruppen nicht für dumm verkaufen, sondern sie ernst nehmen. Ich glaube an den mündigen Verbraucher. Zu einer ehrlichen Kommunikation gehört für mich vor allem Absendertransparenz.
Was passiert mit dem Berufsbild, wenn Journalisten in Personalunion unabhängigen Journalismus betreiben und auch PR-Texte schreiben? Sollte die Berufsbezeichnung „Journalist“ geschützt werden?
Endres: Ich glaube, dass diese Klärung eher auf der Ebene der Medien stattfindet: Die Nutzer lernen, von welchen Medien kritischer, unabhängiger Journalismus zu erwarten ist, und von welchen Medien nicht.
Floren: Wenn Unternehmen so genannte Markenjournalisten suchen, dann ist damit gemeint, dass sie das journalistische Handwerkszeug beherrschen und schöne Geschichten schreiben sollen. Ganz sicher nicht gemeint ist, dass sie unabhängig und kritisch berichten. Wichtig ist, dass ein Autor nicht in ein und derselben Thematik einmal den PR-Hut aufsetzt und einmal den Hut des unabhängigen Berichterstatters.
Inwiefern schaden Medien sich selbst, wenn sie als Journalismus getarnte PR veröffentlichen?
Endres: Ganz einfach: Sie sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen. Denn auf die Dauer kann man von Journalismus nur leben, wenn die Leser dafür bezahlen. Ich bin ziemlich sicher, dass der Verkauf von journalistisch sauberen, unabhängig recherchierten Inhalten langfristig das einzig funktionierende Modell ist, Journalismus zu finanzieren. Das Vertrauen der Leser ist auch der wirtschaftliche Kern des Journalismus.
Zitate des Tages:
„Wenn Medien PR als Journalismus tarnen, sägen sie den Ast ab, auf dem sie sitzen. Das Vertrauen der Leser ist auch der wirtschaftliche Kern des Journalismus.“ (Johannes Endres)
„Content Marketing und Native Advertising sind echte Buzzwords in der PR-Szene. Für die User ist wichtig zu wissen: Man verlässt hierbei den unabhängigen journalistischen Sektor.“ (Annette Floren)
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