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KI im Journalismus: Ein Appell, ethisch verantwortlich zu handeln

Meinung von Isabel Lerch

Technik nutzen, Ethik bewahren

Erst die Technik, dann die Moral? Diese Frage drängt sich im Frühjahr 2023 auf. Die KI erfährt ihren ersten großen Höhepunkt, alle experimentieren wild damit herum. Und dann das: Das Boulevardmagazin „die aktuelle“ veröffentlicht ein vermeintliches Interview mit dem ehemaligen Formel-1-Fahrer Michael Schumacher. Es entsteht der Eindruck, dass Schumacher exklusiv antwortet – dabei kommen die Antworten von der KI Character.AI. Ein Fehlgriff, der mit Journalismus nichts zu tun hat. Gerade im Journalismus erfordert der Einsatz von KI besondere Vorsicht. Als Journalist:innen sollten wir meiner Meinung nach eine Art KI-Kompass entwickeln – also ein gut begründetes Gefühl für den ethisch richtigen Umgang mit KI in unserem Berufsalltag.

Ich habe oft den Eindruck, dass wir alle immer noch sehr beeindruckt von den technischen Möglichkeiten der KI sind. Das ist verständlich: Jede Woche kommt eine Flut neuer Tools auf den Markt, KI kann scheinbar immer mehr. Doch diese Explosion an verfügbaren KI-Spielzeugen vernebelt leicht den Blick. Zum einen ist noch nicht klar, welcher Einsatz rechtlich unbedenklich ist. Zum anderen stellt sich jetzt, da wir die technischen Mittel haben, umso mehr die Frage: Sollten wir das überhaupt tun? Ein KI-Kompass fügt dem betörenden Rausch immer neuer KI-Anwendungen ein wichtiges Innehalten hinzu.

KI-Kompass kalibrieren

Klar ist: Was ethisch überhaupt vertretbar ist, liegt in unserem journalistischen Ermessen. Wir müssen den Kompass laufend kalibrieren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns mit KI kritisch beschäftigen. Die gute Nachricht: Das tun wir! Es wird ausgelotet, ausgehandelt – in Redaktionskonferenzen, Managementsitzungen, journalistischen Diskussionsforen, internen Arbeitskreisen. Sehr gut!
Viele Medienhäuser haben sich ethische Leitlinien für den Umgang mit KI gegeben: Danach solle immer ein Mensch den letzten Check übernehmen. Technologieoffenheit sei zu fördern, mit KI zu experimentieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kennzeichnungspflicht. Wo und wie sollten wir kennzeichnen, dass wir KI für einen Text, einen Podcast oder ein Video genutzt haben? Wichtige Fragen, die wir diskutieren müssen.

Kennzeichnungspflicht

Für diesen Text habe ich übrigens nicht die KI angeworfen. Ich habe mir einfach Gedanken gemacht und nach den richtigen Wörtern gesucht. Ob das in Zukunft ein eigenes Label verdient? Etwa: „Dieser Text ist 100 Prozent KI-frei“? Auch das werden wir irgendwann vielleicht diskutieren.

Die Autorin:
Isabel Lerch, freie Journalistin NDR Data, Trainerin u. a. für KI-Themen

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