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Darum sollten sich Journalist:innen mit Künstlicher Intelligenz befassen

Von automatisierten Transkriptionen bis hin zur Erstellung verschiedener Textvarianten bietet Künstliche Intelligenz (KI) großes Potenzial für den Journalismus. Doch KI ist auch ein Katalysator für Desinformation und Deep Fakes. - Ein Text von Steffen Kühne

Wie KI den redaktionellen Alltag erleichtert

KI-Werkzeuge erleichtern redaktionelle Aufgaben und sparen wertvolle Zeit im Arbeitsalltag. Gute Beispiele dafür sind Trint oder Whisper, mit denen sich Sprachaufzeichnungen schnell in Texte verwandeln lassen. Auch wenn die Ergebnisse nicht perfekt sind, bieten moderne Speech-to-Text-Lösungen einen klaren Vorteil gegenüber der oft mühsamen manuellen Transkription: Sie sparen Zeit und Nerven.
Doch auch bei anderen Tätigkeiten kann KI unterstützen: Die Fähigkeit, lange Texte zusammenzufassen und verschiedene Varianten eines Textes zu erstellen, ist nicht nur für Nachrichtenredaktionen nützlich. In der journalistischen Praxis kann man so schnell aus einem längeren Beitrag einen Nachrichtenartikel, eine Radiomeldung oder einen Social-Media-Post erstellen. Auch das formelle Redigieren von Texten hinsichtlich Rechtschreibung, Grammatik und Stil wird durch KI-Werkzeuge deutlich vereinfacht.

Prompting als neue Schlüsselkompetenz

Eines der gängigsten Werkzeuge ist der KI-Assistent ChatGPT von OpenAI. Auch wenn immer mehr Redaktionen auf eigene Lösungen setzen, sind die Arbeitsabläufe beim Arbeiten mit generativer KI weitestgehend vergleichbar. Die Kunst besteht darin, der KI durch geschriebene Anweisungen zu vermitteln, was sie tun soll. Diese Anweisungen heißen Prompts. Das Schreiben guter Prompts, das sogenannte Prompting, ist eine zentrale Fähigkeit, die Journalist:innen erwerben müssen, um generative KI sinnvoll einsetzen zu können.

Die gute Nachricht ist, dass sich das Prompten relativ schnell lernen lässt und keine Vorkenntnisse im Bereich KI erfordert. Dennoch lohnt es sich für Journalist:innen, sich etwas tiefergehend mit KI und der Technologie dahinter auseinanderzusetzen. Zu wissen, wie große Sprachmodelle – der „Motor“ vieler KI-Werkzeuge – arbeiten, hilft, ihre Grenzen zu erkennen und zu verstehen, warum Sprachmodelle manchmal dazu neigen, Fakten zu erfinden (Halluzination).

Große Datenbasis erschließen und Audios produzieren

In vielen Anwendungsbereichen entfaltet sich das produktive Potenzial von KI vor allem dann, wenn man KI-Anwendungen mit eigenen Inhalten verknüpfen kann. Diese solide Wissensbasis hilft, Halluzinationen vorzubeugen und generierte Inhalte noch stärker an den eigenen Stil anzupassen. KI-Suchmaschinen wie Perplexity.ai zeigen bereits heute, dass KI eine wertvolle Unterstützung bei der Recherche sein kann – insbesondere, wenn das gesamte Internet als Datenquelle dient.

Besonders beeindruckend sind die Fortschritte im Bereich der KI-unterstützten Audioproduktion: Textbasierter Schnitt, Audioverbesserung und synthetische Stimmen sind wunderbare Helfer im Produktionsalltag.

Künstliche Stimmen, wie die von ElevenLabs, klingen so natürlich, dass sie kaum noch von echten menschlichen Stimmen zu unterscheiden sind. Das hat dazu geführt, dass vollautomatisierte Podcasts, Radioprogramme und Sender keine Seltenheit mehr sind.

Desinformation und Deep Fakes

Doch die Fortschritte im Bereich KI haben auch ihre Schattenseiten. Künstliche Intelligenz ist ein Katalysator für Desinformation und Deep Fakes. Besonders im Vorfeld wichtiger Wahlen ist diese Entwicklung besorgniserregend. Daher ist es umso wichtiger, dass Journalist:innen lernen, die Methoden und Anreize hinter KI-getriebenen Desinformationskampagnen zu verstehen und manipulierte Inhalte zu erkennen.

In KI-gestützten Desinformationskampagnen werden nicht nur glaubwürdige Falschinformationen verbreitet, sie untergraben auch den kollektiven Wahrheitsbegriff. KI-generierte Bilder sind oft kaum noch von echten zu unterscheiden. Bedeutet das, dass wir Fotos nicht mehr vertrauen können? Nicht unbedingt, doch diese Unsicherheit lässt sich leicht ausnutzen.

Im US-Präsidentschaftswahlkampf unterstellte Donald Trump seiner Konkurrentin Kamala Harris, Bilder von Menschenmengen bei einer Veranstaltung am Flughafen mit KI manipuliert zu haben. Eine Anschuldigung, die forensische Expert:innen später eindeutig widerlegten. Dennoch untergraben solche Vorwürfe das Vertrauen in Medien und Fakten – sie gefährden damit das Fundament unserer demokratischen Gesellschaft.

Professionelles journalistisches Handwerk bleibt essenziell

Trotz des KI-Hypes bleiben klassische journalistische Fähigkeiten unverändert wichtig, sei es bei der Themenauswahl, Recherche, Verifikation,Einordnung oder der Vermittlung vonInhalten. KI-Werkzeuge werden dieseTätigkeiten unterstützen, jedoch nicht ersetzen. Journalist:innen, die wissen, wie sie diese Werkzeuge sinnvoll einsetzen können, haben einen klaren Vorteil in der Berufswelt von morgen.

Je verbreiteter der Einsatz von KI wird, desto wichtiger ist es, dass Journalist:innen auch kritisch darüber berichten. Die Chancen der Technologie aufzuzeigen, ohne die Risikenzu ignorieren, ist jedoch nicht einfach.

Greifbar wird KI vor allem, wenn man sie als Software-Produkt betrachtet und den Fokus auf die dahinterstehende Industrie, deren Schlüsselfiguren und Machtstrukturen legt.

Redaktionsaufgaben lohnend automatisieren

KI wird unweigerlich Einzug in den Journalismus halten. Das ist auch gut so, denn KI kann uns helfen, mühsame und sich wiederholende Aufgaben zu automatisieren. Damit Redaktionen das Potenzial von KI jedoch gewinnbringend und verantwortungsvoll nutzen können, braucht es Menschen, die bereit sind, sich mit dieser wegweisenden Technologie auseinanderzusetzen und ihr Wissen in die Redaktionen zu tragen.

Der Autor:
Steffen Kühne arbeitet als Tech Lead für das AI + Automation Lab des Bayerischen Rundfunks. Für die Journalist:innen-Akademie der FES bietet er regelmäßig als Trainer Seminare zu verschiedenen KI-Schwerpunkten an.

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