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Karl Kautsky (1854-1938) prägte als international anerkannter marxistischer Theoretiker maßgeblich die Ausrichtung der Arbeiterbewegung. Als Chefredakteur der "Neue Zeit" beeinflusste er zudem maßgeblich die Strategie und Programmatik der Sozialdemokratie in Deutschland.Trotz seiner Bedeutung für die Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg und seine Rolle im Revisionismusstreit, nahm seine politische Relevanz in späteren Jahren ab. Er starb im Exil in den Niederlanden, nachdem er sein Leben sozialistischen Idealen gewidmet hatte.
Hören Sie den Eintrag zu Karl Kautsky auch als Hörbuch. (Hörzeit 10:09 Minuten)
Karl Kautsky (* 16.10.1854 · † 17.10.1938) war es, der marxistisches Denken in der deutschen Sozialdemokratie massentauglich machte und wie nur wenige deutsche Sozialdemokraten auch international als führender Theoretiker der Arbeiterbewegung respektiert wurde. Dennoch muss man Karl Kautsky heute fast zu den vergessenen Sozialdemokraten zählen. Die Zahl der Biografien ist spärlich, und eine Gesamtausgabe seiner Werke existiert nicht.
Am meisten geschadet hat Kautsky wahrscheinlich die Reduzierung seiner Überlegungen zu Theorie und Strategie der Sozialdemokratie auf die Charakterisierung der SPD als eine revolutionäre, aber nicht Revolution machende Partei (»Ein sozialdemokratischer Katechismus«, in: Die Neue Zeit, 12. Jg. 1893/94). Aus dem Zusammenhang eines umfangreichen und sorgfältig ausgearbeiteten Werkes über die Strategie der sozialdemokratischen Partei gerissen, wurde sie in der Rückschau zum Pars pro Toto für den »revolutionären Attentismus«, das Fehlen einer Strategie zur politischen Machtergreifung der Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg, wodurch letztlich auch die Chance auf weiterreichende gesellschaftliche Reformen nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs 1918 verspielt worden sei.
Dabei war das Denken Kautskys weit entfernt von der Karikatur eines sich ohne Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse, nur aus permanenten Ableitungen einer einmal gewonnenen Theorie fortentwickelnden Diskussionsansatzes. Im Gegenteil: Wie schon im Eingangszitat gezeigt, hatten in seinem Denken der Blick auf den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung wie auch der Blick auf das Bewusstsein und die Handlungsfähigkeit der politischen Akteure ihren Platz.
Geboren wurde Karl Kautsky am 16. Oktober 1854 als Kind eines Tschechen und einer Deutschen in Prag. Als Karl neun Jahre alt war, zog die Familie nach Wien, wo er nach dem Abitur mit dem Philosophiestudium begann. Hier erfolgte auch der Kontakt zur österreichischen Sozialdemokratie, der er im zweiten Studienjahr 1875 beitrat. Abschließen sollte er sein Studium nicht. Vom sozialistischen Mäzen Carl Höchberg als Referent zu sich in die Schweiz abgeworben, kam er nicht mehr dazu, seine geplante Promotion einzureichen.
Verheiratet war Kautsky zweimal, von 1883 bis 1889 mit Louise (geb. Strasser, 1860–1950), die nach der Scheidung in London als Privatsekretärin bei Engels (S. 105-111) tätig war, und mit Luise (geb. Ronsperger, 1864–1944), die von 1890 bis zu seinem Tod im Jahr 1938 an seiner Seite blieb. Luises Wirkung als Gefährtin ihres Mannes ist kaum zu unterschätzen. Sie war Diskussionspartnerin, Mittelpunkt des intellektuellen Lebens im Hause Kautsky, Organisatorin seiner und ihrer umfangreichen eigenen Korrespondenz und betätigte sich als Übersetzerin sozialistischer Schriften.
1883 riefen in Stuttgart Kautsky und der sozialdemokratische Verleger Johann Heinrich Wilhelm Dietz »Die Neue Zeit« ins Leben. Kein Publikationsorgan in der Geschichte der internationalen Sozialdemokratie sollte jemals wieder eine solche Bedeutung für die Entwicklung der Grundsatzdebatten erhalten, wie das von Kautsky über mehrere Jahrzehnte hinweg redigierte Blatt. Als Chefredakteur agierte Kautsky offen, plural und an ernsthaften Auseinandersetzungen interessiert. Zugleich verstand er es sehr geschickt, Debatten zu erkennen und die eigene Position zu profilieren. Bereits in Stuttgart hatte sich Kautsky mit dem einige Jahre älteren Eduard Bernstein (S. 60-66) angefreundet, der zu den regelmäßigen Autoren der »Neuen Zeit« gehörte. Gemeinsam mit Bernstein arbeitete Kautsky am Entwurf für das 1891 auf dem Parteitag in Erfurt angenommene Programm der SPD, dessen führender Interpret er durch einen weitverbreiteten Kommentar (»Das Erfurter Programm«, Stuttgart; viele Auflagen seit 1892) bald selbst wurde.
Kautsky war ein enorm produktiver Autor. Er arbeitete an Texten zur Frühgeschichte des Sozialismus (»Thomas More und seine Utopie«, Stuttgart 1888; »Vorläufer des neueren Sozialismus«, 2 Bde., Stuttgart 1895) und schrieb eine Einführung in das ökonomische Denken von Karl Marx (»Karl Marx’ ökonomische Lehren«, Stuttgart; viele Auflagen seit 1887). In späteren Jahren befasste er sich mit ethischen Fragen des Marxismus und versuchte, im zweibändigen Werk »Die materialistische Geschichtsauffassung« (Stuttgart 1927) seine Gesellschaftstheorie zusammenhängend herauszuarbeiten. Seine Texte boten vielen Sozialdemokraten einen ersten ernsthaften Einstieg in das Denken von Marx (S. 221-227) und Engels. Der Vorwurf, Kautsky habe dabei das gedankliche Gebäude von Marx und Engels bis zur Unkenntlichkeit vereinfacht, trifft nicht zu. Kautsky verstand politisches Denken im Anschluss an Marx als einen dynamischen Prozess, der aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen in die Theoriebildung mit einzubeziehen hat.
Seit dem Ende der Sozialistengesetze im Jahr 1890 führte die Sozialdemokratie immer intensivere Debatten über ihre politische Strategie und den Weg zur Macht. In seiner Schrift »Parlamentarismus und Demokratie« (1893) vertrat Kautsky gegenüber der in Teilen der Partei erhobenen Forderung nach direkter Demokratie das parlamentarische, repräsentative System. Der demokratische Staat biete das Schlachtfeld, auf dem der Entscheidungskampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat am ehesten ausgefochten werden könne.
Zur Jahrhundertwende verstärkte sich der innerparteiliche Streit um die passende politische Strategie der Sozialdemokratie. Bernstein warf der Partei vor, keine adäquate Strategie zum Umgang mit der parlamentarischen Demokratie und dem entstandenen Fortschritt an Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Der »Revisionismusstreit« sollte für die nächsten Jahre zu intensiven Parteitagsdebatten führen. Kautsky reagierte auf die Kritik von Bernstein hart, was für einige Jahre zur gegenseitigen Entfremdung der beiden Freunde führen sollte.
In »Der Weg zur Macht« (Stuttgart 1909) versuchte Kautsky, seine Vorstellung der sozialdemokratischen Strategie weiter zu präzisieren. Ausgehend von der Frage »Was ist Revolution?« stellte er fest, dass die Sozialdemokratie in erster Linie deshalb eine revolutionäre Partei sei, weil sie als Verfechterin der Klasseninteressen des Proletariats für die Überwindung des Privateigentums an den Produktions- und Machtmitteln sowie die Ersetzung der Privatproduktion durch gesellschaftliche Produktion kämpfe (Der Weg zur Macht, S. 15). Kautsky ging davon aus, dass die permanenten Umwälzungen der ökonomischen Verhältnisse durch technische Erneuerung, internationale Konkurrenz und die Kämpfe der Arbeiterbewegung das kapitalistische System erschüttern würden. Im Zuge lang andauernder politischer Kämpfe könnte der Arbeiterbewegung dann eine Neuordnung von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gelingen, wenn sie es schaffe, die Mehrheit der Menschen hinter sich zu bringen. Kautskys Strategie des Abwartens war also nicht gleichzusetzen mit dem Warten auf den Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung, sondern vor allem mit der Vorstellung, dass ein Übergang zum Sozialismus erst nach Erreichen eines bestimmten kapitalistischen Entwicklungsstadiums durch harte Auseinandersetzungen zwischen den gesellschaftlichen Klassen und mithilfe einer klaren Mehrheit erreicht werden könne.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs plädierte Kautsky als Gastredner in der SPD-Reichstagsfraktion gegen eine Zustimmung zu den Kriegskrediten. Von der Parteiführung zunehmend entfremdet, gehörte er 1917 mit Eduard Bernstein zu den Mitgründern der Unabhängigen Sozialdemokratie (USPD), worauf hin er die Leitung der »Neuen Zeit« abgeben musste.
Intensiv befasste Kautsky sich mit der Frage der Kriegsschuld und veröffentlichte noch 1919 mit »Wie der Weltkrieg entstand« eine erste kritische Studie zur deutschen Verantwortung für die Entfesselung des Weltkrieges. Nach 1922 Mitglied der wiedervereinigten SPD blieb Kautsky geachteter Intellektueller der europäischen Arbeiterbewegung, auch wenn seine Relevanz in den politischen Debatten nachließ. Zunehmend kränkelnd zogen die Kautskys 1924 nach Wien, wo schon die drei Söhne lebten.
Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 zwang Karl und Luise Kautsky im hohen Alter ins Exil. Über Prag konnten Freunde das Ehepaar nach Holland bringen, wo Kautsky kurz nach der Ankunft im Herbst 1938 verstarb. Luise blieb in Holland, um ihrem seit 1937 in Konzentrationslagern internierten Sohn Benedikt nahe zu bleiben. 1944 wurde sie verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo sie kurz darauf starb.
Karl Kautsky war in seiner Rhetorik nicht radikal. Er war kein Agitator. Sein Stil ist eher der eines nüchternen Analytikers, der darzustellen versucht, was aktuell gesellschaftlich geschieht und wie politisch darauf reagiert werden müsste. Genau diese Gabe macht Kautsky auch heute noch lesenswert. Seine Texte zeigen, wie eine an Marx geschulte und orientierte Methode des politischen Nachdenkens produktiv sein kann.