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Jakob Kaiser (1888-1961), christlicher Gewerkschafter und CDU-Mitbegründer, beeinflusste trotz Differenzen mit Adenauer die Sozialpolitik der jungen Bundesrepublik und die Arbeitnehmerverankerung in der CDU. Als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und später Minister für gesamtdeutsche Fragen, setzte er sich für ein vereintes Deutschland und einen christlichen Sozialismus ein. Kaisers Gründung der Sozialausschüsse hinterließ ein bleibendes sozialpolitisches Erbe.
Hören Sie den Eintrag zu Jakob Kaiser auch als Hörbuch. (Hörzeit 11:46 Minuten)
In den Auseinandersetzungen mit Konrad Adenauer um den Kurs der CDU konnte sich der christliche Gewerkschafter Jakob Kaiser nicht durchsetzen. Dennoch hat Kaiser das soziale Profil der jungen Bundesrepublik und die organisationspolitische Verankerung der Arbeitnehmerinteressen in der CDU maßgeblich geprägt.
Jakob Romuald Kaiser (* 8.2.1888 · † 7.5.1961) wuchs in einem stark katholisch geprägten Elternhaus auf. Früh kam er durch seinen Vater in Kontakt mit den Ideen des katholischen »Gesellenvaters« Adolph Kolping. Beeinflusst von der katholischen Soziallehre engagierte sich der gelernte Buchbinder in den Christlichen Gewerkschaften (vgl. Schneider 1996: 14). In der Weimarer Demokratie übernahm Kaiser zunehmend wichtigere Funktionen. Ab 1924 war er Landesgeschäftsführer der christlichen Gewerkschaften für das Rheinland und Westfalen, er wurde zweiter Vorsitzender des Zentrums im Rheinland und mit der Wahl vom März 1933 schließlich Mitglied des Reichstags. In dieser Funktion stimmte er für das nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz – gegen seine in einer Probeabstimmung bekundete Überzeugung, aber unter dem Druck der Mehrheit seiner Fraktion. Er selbst hat dieses »Ja« später als moralisches Versagen beschrieben (vgl. Kosthorst 1967: 172).
Um der Eingliederung der Gewerkschaften in den nationalsozialistischen Staat zu entgehen, versuchte Kaiser, u. a. im Verbund mit dem ihm freundschaftlich verbundenen sozialdemokratischen Gewerkschafter Wilhelm Leuschner, die Richtungsgewerkschaften in einer konfessions- und parteiübergreifenden Einheitsgewerkschaft zusammenzuführen. Das Vorhaben misslang, und nachdem Kaiser im Mai 1933 die Unterschrift zur »freiwilligen« Gleichschaltung der christlichen Gewerkschaften verweigert hatte, wurde er kurzerhand abgesetzt.
Arbeitslos geworden, übernahm er die Aufgabe, die Interessen entlassener Gewerkschaftsmitarbeiter zu vertreten. Die mit dieser Tätigkeit verbundenen umfangreichen Reisen nutzte er, um Kontakte zu Widerstandsgruppen zu pflegen. Kaiser war einer der Gewerkschaftsvertreter in der Widerstandsgruppe um Carl Goerdeler. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 musste er untertauchen und konnte sich bis zum Kriegsende in einem Keller in Berlin-Babelsberg verstecken.
Kaiser gehörte zu den Mitbegründern der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Ende 1945 wurde er mit Ernst Lemmer Vorsitzender der CDU in der SBZ, 1947 allerdings wieder von der Sowjetischen Militäradministration abgesetzt.
Als »Kaiser ohne Land« verließ er die SBZ, um in der westdeutschen CDU seine Arbeit fortzusetzen. Der Erfolg seines Wirkens in der jungen Bundesrepublik ist schwer zu bemessen. Einerseits erreichte er hohe Ämter, Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender der Sozialausschüsse der CDU (1949–1957), schließlich Minister für Gesamtdeutsche Fragen (1949–1957), allerdings hatte der Einfluss Kaisers seinen Zenit bald überschritten. Seine Ideen eines christlichen Sozialismus waren in der West-CDU nicht mehrheitsfähig, und in der Deutschlandpolitik geriet sein unbedingtes Festhalten an der Wiedervereinigung in immer größeren Gegensatz zur Adenauer’schen Westintegration.
»Zersplitterung macht schwach« (Kaiser 1955 in Mayer 1988: 626). Die Erkenntnis, dass Interessen wirkmächtiger sind, wenn sie gebündelt werden, beschäftigte Kaiser zeitlebens. Schon in der frühen Weimarer Republik kam er in Kontakt zu den Ideen des späteren Reichsarbeitsministers Adam Steigerwald. Dieser strebte eine konfessionsübergreifende Volkspartei an. In den 1940er-Jahren griffen diese Ideen auch in den Widerstandskreisen um sich. Eine am Vorbild der britischen Labour Party orientierte Partei, die mithin weit weniger marxistisch inspiriert war als die deutsche Sozialdemokratie, sich aber an den Arbeitnehmerinteressen orientierte, wurde für die nachnationalsozialistische Phase diskutiert. Es müssten, »die konfessionellen Verschiedenheiten im Volke, die das deutsche politische Leben so lange beunruhigt und gestört haben, überwunden werden« (Kaiser 1946 in Mayer 1988: 212).
Mit dem raschen Wiederaufbau der SPD unter Kurt Schumacher nach 1945 wurde die Vorstellung obsolet, in die zu schaffende Volkspartei auch die Sozialdemokratie zu integrieren. Die Gründung der Christlich Demokratischen Union ist allerdings vom konfessions- und klassenübergreifenden Sammlungsgedanken geprägt und damit Ausdruck dieser Überlegungen.
Für Kaiser war es typisch, den Sammlungsgedanken auch auf die Gewerkschaften zu beziehen. War der von ihm vorangetriebene Versuch einer Einheitsgewerkschaft noch 1933 gescheitert, so blieb der Gedanke daran nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und dem gemeinsamen Widerstand weitverbreitet. Nichts zuletzt Wilhelm Leuschners unmittelbar vor seiner Hinrichtung durch die Nationalsozialisten hinterlassenes Vermächtnis »Schafft die Einheit!« trug dazu bei, dass sich 1949 der Deutsche Gewerkschaftsbund gründete und damit die weltanschauliche Spaltung der Gewerkschaften überwand.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war für Kaiser offensichtlich, dass »die Zeit der bürgerlichen Ordnung […] vorbei« sei (Kaiser 1946 in Mayer 1988: 217). Aus seinem jahrzehntelangen gewerkschaftlichen Engagement und seiner Orientierung an der katholischen Soziallehre war ihm klar, dass es »einer Neuausrichtung unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung [bedarf], […] deren Wesensmerkmal das Soziale ist. Wer das bejaht […], tut einen Schritt zum Sozialismus« (Kaiser 1946 in Mayer 1988: 255 f.).
In Kaisers Konzeption eines christlichen Sozialismus war die Vorstellung einer »freien, sich ihrer Würde bewussten Persönlichkeit« (Kaiser 1946 in Mayer 1988: 220) zentral. Persönlichkeits- und Freiheitsbewusstsein müsse den Menschen zurückgegeben werden und Maßstab des Handelns sein. Entsprechend grenzte sich dieser Sozialismus aus christlicher Verantwortung einerseits deutlich von den kollektivistischen Vorstellungen eines marxistisch geprägten Sozialismus ab, wie er ihn verstand (vgl. Conze 1969). Andererseits grenzte sich dieser Sozialismus aber auch von einer kapitalistischen Ordnung ab, die das Individuum dem Wirtschaftsprozess unterordnet.
Die individuellen Freiheitsrechte könnten nur gewährleisten werden in einer auf das Gemeinwohl orientierten Ordnung. »In dieser neu zu schaffenden Sozial- und Wirtschaftsordnung wird nicht mehr vom Interesse der einzelnen auszugehen sein, sondern vom Interesse der Gesamtheit« (Kaiser 1946 in Mayer 1988: 219).
Die Vorstellung eines Sozialismus aus christlicher Verantwortung war in den Gründungskreisen der CDU durchaus populär und entsprach der sozialistischen Grundstimmung der unmittelbaren Nachkriegsphase (vgl. Krell 2012: 86). Die Forderung nach einem christlichen Sozialismus fand sich entsprechend in den Kölner Leitsätzen der CDU aus dem Juni 1945 wieder. Bereits im Ahlener Programm der CDU von 1947 fand der Begriff keine Verwendung mehr.
Dennoch spielten Kaisers wirtschafts- und sozialpolitische Vorstellungen auch in einer immer stärker von Adenauer dominierten CDU eine wichtige Rolle, was nicht zuletzt an der von Kaiser vorangetriebenen organisationspolitischen Verankerung der Arbeitnehmerinteressen in der CDU lag. Für ihn als Gewerkschafter und Parteipolitiker war es naheliegend, die christliche Arbeiterbewegung auch institutionell mit der CDU zu verzahnen. Mit den 1947 gegründeten Sozialausschüssen der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft sollte diese Funktion erfüllt werden. Von 1949 bis 1957 war Kaiser Vorsitzender der Sozialausschüsse und konnte als führender Repräsentant des linken Flügels der CDU die Ausgestaltung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland mitprägen.
Kaisers Denken und Handeln war nicht nur sozial, sondern immer auch national orientiert.
Seine Antwort auf die nach 1945 immer deutlicher werdende Teilung Deutschlands war sein »Brückenkonzept«. Deutschland sollte eine verbindende Brücke sein, um »die Synthese zwischen östlichen und westlichen Ideen zu finden.« (Kaiser 1946 in Mayer 1988: 218) In dieser blockfreien Position sah Kaiser die einzige Chance für Deutschland, als Nation erhalten zu bleiben.
Je stärker sich die ehemals Alliierten zu wiederstreitenden Blöcken formten, desto stärker zeichnete sich ab, dass West- und Ostdeutschland nicht eine Brücke bildeten, sondern vielmehr zu unterschiedlichen Brückenköpfen konkurrierender Systeme wurden (vgl. Mayer 1988: 69).
Als Minister für gesamtdeutsche Fragen (1949–1957) versuchte er, die deutsche Wiedervereinigung aktiv voranzutreiben. Als unter dem Eindruck der Westintegration Adenauers »aus der Wiedervereinigungspolitik […] Wiedervereinigungsrhetorik« wurde (Mayer 1988: 114), geriet Kaiser mehrfach in Konflikt zu Adenauer.
In seinen letzten Lebensjahren, als ihn die Folgen eines Herzinfarkts 1957 zum Ausscheiden aus der aktiven Politik zwangen, bekannte sich Kaiser nochmals symbolisch zur deutschen Einheit. Er zog zurück nach Berlin. Für ihn war es der Ort, an dem der Ausgleich zwischen Ost und West zu erfolgen hatte.
Adenauers Bemerkung gegenüber Kaiser war bezeichnend: »Sie sind ein solcher Idealist, daß sie von anderen Leuten ohne Weiteres annehmen, auch diese seien Idealisten [...]« (Adenauer in Kleinmann 1991: 36). Zwischen der prinzipienfesten Haltung Kaisers und dem Pragmatismus Adenauers lagen Welten. Der christliche Sozialismus Kaisers wurde in Zeiten des beginnenden Wirtschaftswunders rasch und vollständig aus den Programmentwürfen der CDU getilgt und Kaisers Vorstellung eines geeinten Deutschlands als Brücke zwischen Ost und West schien in der CDU unter den Bedingungen der absoluten Westintegration Adenauers gestrig. Und doch hat Kaiser Bleibendes hinterlassen. Die Gründung der Sozialausschüsse der CDU und Kaisers arbeitnehmerorientiertes Engagement haben dazu beigetragen, dass in der Politik der Wirtschaftswunderjahre Arbeitnehmerinteressen Eingang in die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft gefunden haben. Mithin hat Kaiser die konkrete Gestalt Sozialer Demokratie in Deutschland, etwa bei der Montanmitbestimmung, nachhaltig geprägt. Mit der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft wurden diese Interessen dauerhaft in der CDU verankert.