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Ein Schritt vor, zwei zurück? Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Außenpolitik

Wie geht es mit Geschlechtergerechtigkeit in deutscher Außenpolitik nach der Abschaffung der Feministischen Leitlinien weiter?

 

Außenminister Johann Wadephul hat mit Amtsübernahme einen neuen Dreiklang etabliert: Sicherheit, Freiheit, Wohlstand. In Abgrenzung zur feministischen Außenpolitik (FAP) seiner Vorgängerin Annalena Baerbock leitete er damit eine „Realitätspolitik" der neuen Bundesregierung ein. Doch feministische Außenpolitik, und in ihrem Kern Geschlechtergerechtigkeit, ist kein Widerspruch zu diesem neuen Akkord, sondern im Gegenteil deren Grundvoraussetzung.

Die Forschung ist eindeutig: Geschlechtergerechtigkeit gilt als stärkster Indikator für die Friedfertigkeit eines Landes nach außen und innen. Friedensabkommen sind stabiler und umfassender. Länder mit höherer Geschlechtergerechtigkeit führen seltener Kriege und entwickeln sich wirtschaftlich stärker. Statt eines Gegensatzes zwischen „Krisen bewältigen" und „feministischer Politik" müsste eine wirklich ergebnisorientierte Außenpolitik genau hier ansetzen. Im Koalitionsvertrag beruft sich die Regierung darauf, zumindest die Agenda 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ fortführen zu wollen. Was bedeutet also das Ende der FAP für Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Außenpolitik? Dem wird in der neuen Publikation „Ein Schritt vor, zwei zurück? Geschlechtergerechtigkeit in deutscher Außenpolitik nach der Abschaffung der Feministischen Leitlinien“ nachgegangen.

 

Ambitionierte Vision mit lückenhafter Umsetzung

Das Auswärtige Amt war 2023 mit ambitionierten Leitlinien feministischer Außenpolitik angetreten: intersektional und auf alle Politikbereiche angewandt. Doch die Umsetzung blieb hinter dem Anspruch zurück. Strukturelle Schwachstellen bremsten eine umfassende und tragfähige Umsetzung aus. Politisch gravierend waren die eklatanten Widersprüche zwischen feministischen Prinzipien und tatsächlicher deutscher Außenpolitik, im Besonderen in Bezug auf Gaza.

Trotz Schwächen, Widersprüchen und Kritik: Die Abkehr von FAP ist ohne Frage ein Rückschritt für Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Außenpolitik. Denn gleichwohl wurden Fortschritte erreicht, wenngleich maßgeblich auf operativ-institutioneller Ebene, besonders hinsichtlich der internen Organisation des Auswärtigen Amtes, Leuchtturmprojekten und Schlüsselinstrumenten feministischer Programmarbeit, sowie Stärkung multilateraler Plattformen.

 

Was bleibt – und was verloren geht

Während sich bestimmte Elemente relativ unkompliziert auf einen Prä-FAP-Ausgangspunkt zurücksetzen lassen, haben andere strukturelle Elemente Beharrungskräfte. Neu aufgebautes Wissen und Diskursdynamiken, der Ausbau von Geschlechterparität und

Diversität im Ministerium lassen sich weniger einfach umkehren. Ebenso bestehen internationale Erwartungen, aber auch Verpflichtungen fort und bieten Anknüpfungspunkte für die Stärkung von Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Außenpolitik. Auch wenn Handlungsräume angesichts ausbleibender politischer Priorisierung und Militarisierungstendenzen kleiner zu werden scheinen.

 

Handlungsräume nutzen statt kapitulieren

Wie können also Ansatzpunkte gestaltet, wo an roten Linien festgehalten und wie intersektional-feministisches Arbeiten von Wissenschaft und Zivilgesellschaft weiterhin eingebracht werden?

Konkrete Empfehlungen:

  •  Systematische Evidenz schaffen: Ohne Ergebnisbilanz trägt Ergebnisorientierung nicht. Systematische Evaluierung über erfolgreiche FAP-Instrumente sollte am Anfang stehen.
  •  Bewährtes fortführen – und finanzieren: Wirksame Instrumente, Programme und Maßnahmen sollten unideologisch fortgeführt werden. So sollte Gender Budgeting, ohnehin OECD-weiter Standard, fortgeführt werden, besonders in Zeiten von Haushaltskürzungen.
  •  Gender Expertise nutzen: Aufgebaute Kompetenz im Auswärtigen Amt, zivilgesellschaftliches Wissen und akademische Forschung müssen systematisch in Politikgestaltung einfließen – auch im neuen Nationalen Sicherheitsrat.
  •  Internationale Verpflichtungen einhalten: Deutschland muss in EU und UN aktiv für Geschlechtergerechtigkeit eintreten, besonders als Gegengewicht zu Staaten und Akteur:innen, die etablierte Rechte und Normen unterminieren. Informelle Erwartungen, aber auch rechtliche Verpflichtungen binden.
  •  Feministische Diskurse offenhalten: Bundestag und Fachöffentlichkeit sollten weiter sowohl geschlechtergerechte als auch feministische Impulse einbringen, angesichts des 25-jährigen WPS-Jubiläums, drohender Diskursverengung und antifeministischer Pushbacks.

 

Das Paradox der „Realpolitik"

Deutschland muss nicht von Feministischer Außenpolitik sprechen, um geschlechtergerecht zu handeln. Aber die demonstrative Abkehr sendet ein verheerendes Signal. In Zeiten multipler Krisen wäre eine Außenpolitik gefragt, die Komplexität anerkennt, auf nachhaltige Lösungen setzt und die Handlungsfähigkeit resilienter Akteur:innen stärkt. Das wäre feministische Außenpolitik gewesen und es wäre echte Realpolitik. Dafür ist es noch nicht zu spät.

 

Publikation

Mittelhammer, Barbara

Ein Schritt vor, zwei zurück?

Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Außenpolitik nach der Abschaffung der feministischen Leitlinien

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Über die Autorin

Barbara Mittelhammer ist eine unabhängige politische Analystin. Ihre Arbeit konzentriert sich auf menschliche Sicherheit, feministische Außenpolitik sowie die Rolle von Gender und Zivilgesellschaft in Außen- und Sicherheitspolitik. Sie hat zur Entwicklung und Anwendung feministischer Außenpolitik publiziert, u.a. in Bezug auf Iran und Syrien, und arbeitet mit Thinktanks, Stiftungen, internationalen Organisationen, Ministerien, Parlamentarier:innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Darüber hinaus ist sie ausgebildete Mediatorin.

 

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor:innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.

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