Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Mit der Einführung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Deutschland und anderen Ländern wurde ein weltweiter Paradigmenwechsel vollzogen: Unternehmen, die global agieren, können nicht länger auf freiwillige Maßnahmen setzen, um Mensch und Umwelt in globalen Lieferketten zu schützen. Stattdessen wird dies nun durch Gesetze geregelt.
Lieferkettengesetze sind ein entscheidender Baustein auf dem Weg zu einer nachhaltigen, resilienten und sozial gerechteren Globalisierung. Für Beschäftigte sind sie ein wichtiger Hebel, um ihre Rechte durchzusetzen. Denn für viele Menschen sind unfaire Löhne, Ausbeutung, Kinderarbeit, sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz, eingeschränkte Gewerkschaftsrechte oder mangelhafte Brand- und Gebäudesicherheit gelebter Alltag. Für Unternehmen schaffen die Gesetze eine seit Langem geforderte Rechtssicherheit und damit auch ein sogenanntes Level Playing Field.
Während im letzten Jahrzehnt vor allem nationale Lieferkettengesetze verabschiedet wurden, gelang progressiven Kräften aus Politik, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und Wirtschaft 2024 der Durchbruch zu einer europäischen Lieferkettenrichtlinie. Damit gibt es neben zahlreichen nationalen Lieferkettengesetzen nun endlich auch entsprechende Vorgaben auf EU-Ebene, die 2027 in Kraft treten.
Unsere Karte mit Texten von Robert Grabosch (Rechtsanwalt, COSU LEGAL) zeigt, welche gesetzlichen Verpflichtungen zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht es gibt, in welchen Ländern sie gelten und welche Unterschiede zwischen ihnen bestehen.
Von Anfang an wurde die Debatte um unternehmerische Sorgfaltspflichten von zahlreichen Fehlbehauptungen und Mythen dominiert. Der Schutz von Mensch und Umwelt wird dabei immer wieder mit „Bürokratie“ gleichgesetzt. Hier legen wir in 10 Punkten dar, warum Lieferkettengesetze für eine nachhaltige und soziale Wirtschaft unumgänglich sind.
Der Schutz von Menschenrechten in globalen Lieferketten darf nicht allein auf dem freiwilligen Engagement von Unternehmen beruhen. Das hat die Vergangenheit deutlich gezeigt. Seit Jahrzehnten dokumentieren Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen ausbeuterische Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit globalen Wertschöpfungsketten: von Bränden in Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan über Exporte giftiger Pestizide nach Indien und Paraguay bis hin zu Arbeitnehmerrechtsverletzungen in den USA und Europa. Einige Fälle haben es dabei zwar an die Öffentlichkeit geschafft, doch zahlreiche andere sind bis heute unbekannt.
Rund 450 Mio. Menschen arbeiten in der internationalen Arbeitsteilung. Für viele Beschäftigte weltweit sind unfaire Löhne, Ausbeutung, Kinderarbeit, sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz, Beschränkungen der Gewerkschaftsrechte oder mangelhafte Brand- und Gebäudesicherheit gelebter Alltag. Frauen und migrantische Beschäftigte sind häufig besonders schwer betroffen. Versuche, Arbeitsbedingungen mit freiwilligen Initiativen zu verbessern und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, blieben erfolglos. Daher verabschiedete der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen 2011 die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (VNLW). Sie bestätigen die staatliche Pflicht zum Menschenrechtsschutz und zur Regulierung von Wirtschaftsunternehmen und schreiben Unternehmen eine eigene Verantwortung zur Achtung von Menschenrechten zu.
Als Folge der VNLW haben zahlreiche Länder sogenannte Nationale Aktionspläne für Wirtschaft und Menschenrechte sowie gesetzliche Regelungen zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht eingeführt. In 20 Ländern weltweit gibt es inzwischen solche Aktionspläne, in elf weiteren wird daran gearbeitet. Ein wichtiger Vorreiter ist dabei Frankreich: 2023 noch Deutschlands zweitgrößter Handelspartner für Exporte, gehörte das Land 2017 zu den ersten, die ein umfassendes Lieferkettengesetz (Loi relative au devoir de vigilance) einführten. Doch auch beispielsweise in Großbritannien, Norwegen, der Schweiz, Australien, Kanada und Mexiko gibt es verschiedene nachhaltigkeitsbezogene gesetzliche Regelungen für Unternehmen. In anderen Ländern wie Südkorea, Japan und Brasilien werden sie derzeit diskutiert. Unternehmen in Deutschland sind mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) daher keinesfalls die ersten, die gesetzlich zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sind. Wahr ist vielmehr, dass Deutschland damit einen längst überfälligen Schritt gegangen ist. Denn mit den nationalen Vorgaben und der künftigen EU-Lieferkettenrichtlinie kommen Staaten schlicht ihren menschenrechtlichen Schutzpflichten nach – wie in den international abgestimmten Menschenrechtspakten vorgesehen.
Wir überschreiten die Grenzen unseres Planeten auf verschiedene Weise und gefährden damit unsere Lebensgrundlagen – eine Folge unseres Wirtschaftsmodells, das fast ausschließlich auf Wachstum und steigende Produktion ausgelegt ist. Damit einher geht die Notwendigkeit, ständig Produktionskosten zu reduzieren, wodurch wir uns in einen Wettlauf nach unten („race to the bottom“) begeben: Menschen müssen zu immer niedrigeren Löhnen und prekären Arbeitsbedingungen arbeiten und immer neue natürliche Ressourcen müssen erschlossen und ausgebeutet werden.
Die Umsetzung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten trägt hingegen dazu bei, unsere Ökosysteme und die Lebensgrundlage von Menschen zu erhalten. Eine zukunftsfähige, progressive Wirtschaftsordnung muss die Interessen von Mensch und Natur entlang der gesamten Wertschöpfungskette achten und sie effektiv in die Gestaltung der Produktionsprozesse einbeziehen. Gesetze wie das deutsche und französische Lieferkettengesetz oder die künftige EU-Lieferkettenrichtlinie ermöglichen genau das: Sie verpflichten Unternehmen dazu, ihre Geschäfts-, Produktions- und Einkaufspraktiken im Sinne menschenrechtlicher Standards zu überarbeiten und Beschäftigte und Umwelt präventiv zu schützen. Krisen und einschneidende Veränderungen können dadurch besser antizipiert und überstanden werden. Somit trägt unternehmerische Sorgfaltspflicht dazu bei, Unternehmensprozesse widerstandsfähiger (resilienter) zu machen. Lieferkettengesetze fördern damit einen fairen Wettbewerb, in dem nachhaltiges Wirtschaften kein Wettbewerbsnachteil, sondern ein -vorteil ist.
Meinungsumfragen zeigen: Eine Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen will nicht von Ausbeutung profitieren. Stattdessen möchten Konsument_innen wissen, unter welchen Bedingungen Waren hergestellt werden. So zeigt etwa eine Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbz), dass Verbraucher_innen ein starkes Lieferkettengesetz fordern. Über 85 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet werden und für die Verletzung dieser Pflichten haften sollen. Fast genauso viel Zustimmung gibt es für die Aussage, dass Unternehmen Umweltzerstörung im Ausland vermeiden müssen und existenzsichernde Löhne gewährleisten sollen. Eine weitere Umfrage im Auftrag der Nichtregierungsorganisation Germanwatch zeigt, dass zwei Drittel der Befragten auch eine EU-weite Lieferkettenrichtline befürworten. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass Verbraucher_innen eine grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen fordern, in dem wirtschaftliches Handeln stattfindet, um einen fairen und nachhaltigen Konsum für alle überhaupt erst zu ermöglichen.
Nachhaltiger Konsum sollte aber nicht nur denen offenstehen, die ihn sich finanziell leisten können oder die Ressourcen haben, sich über nachhaltige Produkte zu informieren. Stattdessen sollte er für alle bezahlbar und umsetzbar sein. Gesetzliche Vorgaben wie Lieferkettengesetze können dafür sorgen, dass soziale und ökologische Standards für alle Produkte gelten und zugänglich sind.
Für immer mehr global agierende Unternehmen gehört die Einhaltung menschen- und umweltrechtlicher Sorgfaltspflichten zu ihren Zielen. Unternehmen wie Tchibo, Ritter Sport, Nestlé Deutschland und Hapag-Lloyd haben sich öffentlich für das deutsche Lieferkettengesetz ausgesprochen und betont, dass transparente und faire Lieferketten langfristig zur Sicherung ihrer Geschäftsmodelle beitragen. Zahlreiche weitere Unternehmen haben sich direkt an die Regierung gewandt. Auch mit Blick auf die EU-Lieferkettenrichtlinie setzen sich immer mehr in Europa tätige Unternehmen für umfassende Sorgfaltspflichten ein. Ihre Zustimmung hat mehrere Gründe: Für manche Unternehmen zählt nachhaltiges Wirtschaften schlicht zu ihrer Unternehmensphilosophie und ist ein Anspruch, den sie seit Jahren verfolgen.
Andere Unternehmen sehen, dass von ihnen Machbares erwartet wird. Denn beim deutschen oder dem europäischen Lieferkettengesetz geht es um eine sogenannte Bemühenspflicht – keine Erfolgspflicht. Entscheidend ist, dass die Unternehmen nachweisen, dass sie Risiken erkannt haben und diese umfassend angehen. Und auch wenn Wirtschaftsverbände in der Öffentlichkeit ein anderes Bild zeichnen: Unternehmerische Sorgfaltspflicht ist bezahlbar. So schätzt eine EU-Studie die Kosten der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten für große Unternehmen auf durchschnittlich 0,005 Prozent ihrer Umsätze und für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auf 0,07 Prozent.
Wieder andere Unternehmen wollen Reputationsschäden verhindern. Denn Unternehmen, die heute direkt oder indirekt in Umwelt- oder Menschenrechtskatastrophen involviert sind, müssen mit Kampagnen, Presseberichten und auch juristischen Schritten gegen sie rechnen. Wie groß und langwierig Reputationsschäden für Unternehmen sein können, haben beispielsweise die Katastrophen in Textilfabriken in Pakistan und Bangladesch 2012 und 2013 gezeigt.
Grundsätzlich kann es für Unternehmen wirtschaftlich von Vorteil sein genau zu wissen, welche problematischen Rohstoffe in ihrem Produkt verarbeitet werden und wie sie vor Ort zu einer Verbesserung der Produktionsbedingungen beitragen können. Denn Wertschöpfungsketten, in denen Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden, sind nachhaltiger und widerstandsfähiger. Streiks und Lieferausfälle sind unwahrscheinlicher, wenn Beschäftigte unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen zu angemessenen Löhnen arbeiten. Und wenn das Management eines Zulieferbetriebs verlässliche Vertragsbeziehungen pflegt, können Krisen besser antizipiert und überstanden werden. Das haben die Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie eindrücklich gezeigt. Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz sind also kein optionales Beiwerk – sie gehören zum Kern unternehmerischer Verantwortung.
Ein häufiges Argument gegen Lieferkettengesetze ist die Sorge vor übermäßiger Bürokratie, besonders für kleine und mittlere Unternehmen. Doch genau das verhindert der sogenannte risikobasierte Ansatz, den das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz anstrebt – und der in der künftigen EU-Lieferkettenrichtlinie voraussichtlich noch konsequenter angewendet wird. Damit ist gemeint, dass ein Unternehmen sich auf drängende Probleme, Risiken und konkrete Beschwerden konzentrieren muss, egal ob diese am Anfang oder Ende der Lieferkette auftreten. Durch diese Priorisierung wird unnötiger Aufwand reduziert und gleichzeitig die Wirksamkeit des Gesetzes erhöht.
Im Entstehungsprozess des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes haben Wirtschaftsverbände und die CDU die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Zulieferbetrieben in das Gesetz hineinverhandelt. Damit wurde der risikobasierte Ansatz verwässert und eine unzweckmäßige Fokussierung der Berichtspflichten in die Breite befördert. In der Praxis führt das dazu, dass Unternehmen zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht nun möglichst alle Vorlieferanten abdecken, anstatt sich auf die problematischen Bereiche ihrer Lieferkette zu konzentrieren. Die EU-Lieferkettenrichtlinie greift diese Problematik in ihrer bisherigen Fassung auf. Sie verhindert, dass Unternehmen unreflektiert zahlreichen Zulieferern standardisierte, automatisierte Fragebögen zusenden. Stattdessen haben Unternehmen entsprechend ihrer Lieferketten die Möglichkeit, sich auf genau die Aspekte der Lieferkette zu konzentrieren, die problematisch für Mensch und Umwelt sind. Dieser Ansatz knüpft an etablierte internationale Rahmenwerke und darauf beruhende Standards an und stärkt damit die internationale Regelungskohärenz und Synergieeffekte für Unternehmen.
Entgegen der oft vorgebrachten Kritik werden Unternehmen bei der Umsetzung menschen- und umweltrechtlicher Sorgfaltspflichten nicht allein gelassen. So stellt die deutsche Bundesregierung etwa seit Jahren zahlreiche Hilfestellungen und Unterstützungsangebote bereit: Seit Inkrafttreten des LkSG veröffentlichte die zuständige Behörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), immer wieder praxisnahe Handreichungen zur Anwendung und Auslegung des Gesetzes. Zur Umsetzung ihres eigenen Nationalen Aktionsplans für Menschenrechte und Wirtschaft hat die Bundesregierung bereits davor sogenannte Branchendialoge ins Leben gerufen, seit 2020 etwa im Bereich Automobil- und Energiewirtschaft. Ziel der Dialoge ist es, Unternehmen in Branchen mit besonderen menschenrechtlichen Herausforderungen Orientierung zu bieten und sie dabei zu unterstützen, die Anforderungen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht angemessen umzusetzen. Zudem gibt es in Deutschland einen gut ausgestatteten Helpdesk, dessen Aufgabe es ist, Unternehmen bei Fragen zum LkSG zu beraten.
Auch die OECD veröffentlicht seit Jahrzehnten regelmäßig sogenannte Leitfäden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht, um verantwortungsvolle Lieferketten in einzelnen Sektoren, wie etwa der Bekleidungs- und Schuhindustrie, gezielt zu fördern. Für die EU-Lieferkettenrichtlinie sind ähnliche Begleitmaßnahmen geplant. So soll für in der EU tätige Unternehmen etwa ein Helpdesk eingerichtet werden. Darüber hinaus gibt es konkrete technische Werkzeuge, die Unternehmen bereitstehen, darunter der CSR Risk Check oder der BHR Navigator.
Zudem wird den Unternehmen reichlich Zeit eingeräumt, um ihre Geschäftsprozesse entsprechend den gesetzlichen Vorgaben und den Anforderungen der VNLW effektiv umzustellen. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte wurden bereits vor über zehn Jahren (2011) verabschiedet. Das deutsche Lieferkettengesetz wurde zunächst jahrelang im Bundestag verhandelt, 2021 beschlossen und trat schließlich 2023 in Kraft. Der Berichtszeitraum für Unternehmen wurde mehrfach verschoben. Die EU-Lieferkettenrichtlinie wurde 2024 beschlossen und tritt jetzt nach dem Omnibus-Verfahren ebenfalls noch ein Jahr später – statt 2026 nun voraussichtlich 2027 – in Kraft. Verbände und Unternehmen können sich also langfristig auf die neuen Anforderungen einstellen.
Lieferkettengesetze stellen in Produktionsländern – auch jenen mit schwacher Rechtsstaatlichkeit – eine Möglichkeit für wirtschaftliche Entwicklung und soziale Veränderungen dar. Sie sind ein Instrument, Ausbeutung und Lohndumping in Produktionsländern zu stoppen und stattdessen ein soziales Upgrading herbeizuführen – etwa in Form von Gesundheitsschutz, der Einhaltung von Mindestlöhnen und Gewerkschaftsrechten. Denn entgegen der Behauptung von Wirtschaftsverbänden zwingen Lieferkettengesetze Unternehmen gerade nicht, sich aus Produktionsländern oder von Zulieferbetrieben zurückzuziehen, sobald Probleme auftreten. Im Gegenteil: Die gesetzlich festgelegte Bemühenspflicht sieht vor, sich im Dialog mit Rechteinhabenden, Beschäftigten und den Gewerkschaften vor Ort mit den Bedingungen in den Zulieferbetrieben auseinanderzusetzen und schrittweise Verbesserungen einzuführen. Unter anderem sehen die Gesetze vor, dass Unternehmen ihre Einkaufspraktiken verändern, um es den Betrieben in den Produktionsländern zu ermöglichen, Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten. Das heißt auch, dass Lieferzeiten und Stückzahlen besser zusammenpassen müssen.
Ebenso tragen Lieferkettengesetze dazu bei, dass angemessene Mindestlöhne gezahlt werden, was sich langfristig wiederum positiv auf die wirtschaftliche Gesamtsituation eines Landes auswirken kann. Lieferkettengesetze zielen also auf prozesshafte und systemische Veränderungen ab – nicht auf Sanktionen oder Rückzug. Berichte, wonach Unternehmen sich wegen Lieferkettenregelungen rasch aus ganzen Produktionsländern zurückziehen würden, sind nicht belegbar. Vielmehr zeigen erste Beschwerdefälle bei der zuständigen deutschen Behörde (BAFA) wie auch Verhandlungen über die Verbesserung von Arbeitsbedingungen in Produktionsstätten im Rahmen von unternehmensinternen Beschwerdeverfahren, dass es ganz unbürokratische Wege gibt, wie sich deutsche Unternehmen mit Beschäftigten und anderen Betroffenen in ihren Lieferketten auseinandersetzen und im Dialog für konkrete Verbesserungen vor Ort sorgen können.
Lieferkettengesetze sind für Gewerkschaften ein entscheidender Hebel, um ihre Rechte durchzusetzen. Gleichzeitig fördern sie transnationale Kooperationen zwischen Gewerkschaften entlang der Lieferketten und können so die internationale Gewerkschaftsbewegung als Ganzes stärken.
Erste Erfahrungen mit dem französischen oder dem deutschen Lieferkettengesetz zeigen bereits eine positive Wirkung. In Frankreich nutzen Gewerkschafter_innen die Sorgfaltspflichtenpläne der Unternehmen, um auf fehlendes Handeln und Missstände hinzuweisen. Die mögliche zivilrechtliche Haftung wurde in 14 Fällen bereits erfolgreich genutzt. Ein Beispiel ist die Einigung zwischen dem Unternehmen Danone und mehreren Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Februar 2025. Danone wurde vorgeworfen, nicht ausreichend gegen Plastikverschmutzung vorzugehen. Die Einigung führte dazu, dass das Unternehmen Maßnahmen zur Reduzierung von Plastik in seinen Produkten ergriff.
Auch in Deutschland nutzen Gewerkschaften und Rechteinhabende die Möglichkeit, bei der zuständigen nationalen Stelle (BAFA) oder auch im Rahmen unternehmensinterner Beschwerdemechanismen Beschwerden und Hinweise einzureichen. Wo ihnen möglich, bringen sie sich mit ihrer Expertise in die unternehmensinterne Risikobewertung und auch die Abhilfe mit ein. Das LkSG hat es einzelnen Gewerkschaften ermöglicht, gegenüber ihren Produktionsstätten die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten (etwa Zahlung eines angemessenen Mindestlohns, Einhaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen, Achtung der Gewerkschaftsfreiheit) zu fordern und dabei gleichzeitig die vom LkSG betroffenen Unternehmen in die Pflicht zu nehmen.
Ein Beispiel: Die Missstände im Fall der LKW-Fahrer_innen von Gräfenhausen konnten dank Lieferkettengesetz zügig abgestellt werden. Fernfahrer_innen aus Osteuropa waren zuvor in einen Hungerstreik wegen illegal niedriger Löhne und Nichtzahlung von Löhnen getreten. Mithilfe des BAFA konnten die Forderungen der Betroffenen tatsächlich erfüllt werden.
Die Behauptung, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz würde von Rechteinhabenden nicht genutzt werden, ist also schlicht falsch. Die Eingänge von Beschwerden und Hinweisen beim BAFA und bei Unternehmen belegen das Gegenteil. Zudem passiert vieles nicht öffentlich. Denn die Gesetze ermöglichen es Gewerkschaften gerade auch fernab der Öffentlichkeit, ihre Verhandlungsmacht auszuüben.
Gleichzeitig braucht es Zeit und Ressourcen, bis die Gesetze unter Gewerkschaften und Rechteinhabenden etabliert sind. Die neuen gesetzlichen Möglichkeiten müssen nachvollzogen und erprobt werden. Transnationale Kooperationen zwischen Gewerkschaften und Zivilgesellschaften müssen sich erst festigen. Zudem sind Gewerkschafter_innen häufig einem erheblichen Risiko von Repressionen durch lokale Arbeitgeber_innen ausgesetzt, wenn sie sich in ein Beschwerdeverfahren begeben. Hier braucht es dringend einen stärkeren Schutz. Und auch die Unterstützungsmaßnahmen für Gewerkschaften müssen sich verbessern: Während Unternehmen zahlreiche (finanzielle) Möglichkeiten haben, benötigen Gewerkschaften dringender denn je staatliche Maßnahmen und finanzielle Unterstützung zur effektiven Nutzung der Gesetze.
Die EU hat mit der Einführung der EU-Lieferkettenrichtlinie die Möglichkeit, mehrere Ziele gleichzeitig zu erreichen. Sie kann der lang vorgebrachten Forderung vieler Wirtschaftsverbände und Unternehmen in Europa nachkommen und für in der EU tätige Unternehmen Rechtssicherheit und durch einheitliche Vorgaben auch ein sogenanntes level playing field, d. h. gleiche Ausgangs- und Wirtschaftsbedingungen, schaffen. Statt 27 unterschiedlichen nationalen Gesetzen gilt für alle Mitgliedsländer die europäische Richtlinie. Unternehmen erhalten Rechtsklarheit darüber, was sie tun müssen und was nicht und welche Sanktionen sie bei Nichteinhaltung erwarten. Eine einheitliche europäische Regelung verhindert, dass Unternehmen, die Umwelt- und Menschenrechtsstandards einhalten, gegenüber weniger regulierten Unternehmen benachteiligt werden.
Darüber hinaus schafft die EU mit der Richtlinie ein entscheidendes Instrument, um die Wirtschaftstätigkeiten multinationaler Unternehmen in der globalisierten Welt nachhaltig zu regulieren. Die EU gibt damit ein deutliches Zeichen an ihre globalen Partner: Sie setzt sich für eine soziale, nachhaltige und resiliente Globalisierung ein. Damit kann die EU sich einen wichtigen Wettbewerbsvorteil sichern – denn sie hebt sich dadurch explizit von geopolitischen Großmächten wie China ab und bietet ihren globalen Bündnispartnern verlässliche Angebote, die Menschenrechte und Umweltschutz achten.
Auch viele Länder im Globalen Süden sind für eine Regulierung unternehmerischer Sorgfaltspflichten. Das zeigt nicht zuletzt ihr Bestreben, ein internationales Menschenrechtsabkommen zur Regulierung von Unternehmen und ihrer Wertschöpfungsketten auf den Weg zu bringen. Der Prozess läuft seit 2014 und wurde allen voran von Südafrika und Ecuador ins Leben gerufen. Ende 2024 sind zuletzt 74 Staaten im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) zusammengekommen, um über das Abkommen zu verhandeln. Die EU hat dabei bis heute kein offizielles Verhandlungsmandat beantragt, um den Prozess aktiv mitzugestalten.
Kritiker_innen stellen der Einführung von Lieferkettengesetzen immer wieder entgegen, dass diese zu überbordender Bürokratie führen und Unternehmen mit zahlreichen sich doppelnden und nicht sinnhaften Berichtspflichten belegen. Auf EU-Ebene geht diese Kritik so weit, dass mit dem sogenannten Omnibus-Verfahren bereits beschlossene Regelungen mit dem Ziel der Entbürokratisierung wieder geöffnet werden. Verkannt wird dabei: Die Gesetze sind jung, kaum erprobt und müssen sich erst in der Praxis bewähren. Während es durchaus notwendig ist, doppelte Berichtspflichten anzugehen und nicht zielführende Fragebögen für Unternehmen zu überarbeiten, darf die Substanz der Gesetze – nämlich der Schutz von Mensch und Umwelt – nicht untergraben werden. Die aktuellen Entwicklungen auf EU-Ebene laufen Gefahr, statt zu einer Vereinfachung zu einer Deregulierung auf Kosten von Mensch und Umwelt zu führen. Diese Entwicklungen sorgen bei progressiven Unternehmen für Irritationen, was die zahlreichen Statements für eine effektive CSDDD zeigen. Statt der gewünschten Planungssicherheit verursachen die Entwicklungen Unruhe und Planungslosigkeit bei Unternehmen. Auch auf globaler Ebene kann das Infragestellen der bereits verabschiedeten EU-Lieferkettenrichtlinie bei staatlichen, zivilgesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Akteuren zu einem Vertrauensverlust in die EU führen.
Umso wichtiger ist es jetzt, sowohl in Deutschland als auch in der EU schnell Klarheit zu schaffen. In Ländern mit bereits existierenden Lieferkettengesetzen wie Deutschland darf es keine regulierungsfreie Zeit – sprich keine Rechtslücken – geben. Sollte etwa das LkSG geändert werden, müssen durchweg internationale Standards wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte eingehalten werden. Bis zur Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie in deutsches Recht darf es keine Zwischenphase geben, in der die bisherigen Lücken und Versäumnisse in der Anwendungspraxis verstärkt werden. Das LkSG muss vom BAFA weiterhin ambitioniert umgesetzt werden, um den Zielen des präventiven Menschen- und Umweltschutzes nachzukommen.
Auf europäischer Ebene dürfen die Änderungen der Richtlinie hin zu weniger Bürokratie für Unternehmen nicht dazu führen, dass die Richtlinie weniger effektiv im Schutz für Beschäftigte und Umwelt ist. Deutschland und Frankreich haben sich bereits mit dem Schutzniveau ihrer Gesetze einen menschenrechtlichen Standard gegeben, hinter dem sie nicht zurückfallen dürfen. Sprich: Die EU-Lieferkettenrichtlinie muss anwendungsfreundlich sein, darf aber nicht hinter ihr Schutzniveau zurückfallen. Dafür ist es entscheidend, dass der risikobasierte Ansatz beibehalten wird, eine europaweite zivilrechtliche Haftung eingeführt wird, Obergrenzen für Sanktionen harmonisiert werden und der Anwendungsbereich der Regelung nicht beschnitten wird. Denn nur eine wirksame Richtlinie trägt zu echtem Wandel bei – zu unternehmerischem Handeln, das weltweit Menschenrechte schützt.
Die Verabschiedung der EU-Lieferkettenrichtlinie durch das EU-Parlament war ein langer Weg. Was sie für Unternehmen auf dem europäischen Markt bedeutet, zeigt unsere neue Publikation.
Arbeitnehmer:innenrechte sind Menschenrechte. Ein neues gewerkschaftliches Kompetenzzentrum soll sie künftig in globalen Wertschöpfungsketten stärken. Was haben wir als Friedrich-Ebert-Stiftung damit zu tun?
Eine neue Perspektive der FES in Kooperation mit dem ECCHR zeigt, wie Brancheninitiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen können.
Multinationale Unternehmen sind die Antreiber unserer global vernetzten Welt. Sie haben erhebliches ökonomisches und politisches Gewicht und bestimmen über weitreichende globale Wertschöpfungsnetzwerke. Selbst die multiplen Krisen und Kriege der letzten Jahre haben keine grundlegende Kehrtwende gebracht: Globale Produktions- und Wertschöpfungsketten wurden nicht massiv zurückverlagert. Nearshoring, Reshoring und Friendshoring sind nicht in dem Maße eingetroffen wie erwartet.
Stattdessen sind immer noch rund 450 Millionen Menschen in globalen Wertschöpfungsketten beschäftigt. Im Kampf um lukrative Produktionsbedingungen, Abbaurechte oder billige Rohstoffe werden Menschenrechts- und Umweltstandards dabei immer wieder verletzt. Dazu kommt, dass die Betroffenen von Katastrophen und Menschenrechtsverletzungen zumeist keine Möglichkeiten haben, gegen die verantwortlichen Unternehmen vorzugehen.
Um Mensch und Umwelt präventiv zu schützen, hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen 2011 die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (VNLW) verabschiedet. Sie bestätigen die staatliche Pflicht zum Menschenrechtsschutz und zur Regulierung von Unternehmen und schreiben diesen eine eigene Verantwortung zur Achtung von Menschenrechten zu. Als Folge der VNLW haben zahlreiche Länder nationale Lieferkettengesetze eingeführt. Auch die EU hat in den letzten Jahren verschiedene Instrumente verabschiedet, die die Resilienz und Nachhaltigkeit in globalen Wertschöpfungsketten garantieren sollen (Verlinkung Karte).
Lieferkettengesetze stehen für eine progressive Wirtschaftspolitik, die Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit verbindet. Was konservative Akteure aus Politik und Wirtschaft in ihrer scharfen Kritik solcher Gesetze verkennen: Lieferkettengesetze dienen auch wirtschaftlichen Zielen – denn nur ein nachhaltiges Unternehmen ist auch langfristig tragfähig.
Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte
+49 30 269 35-7469 franziska.korn(at)fes.de