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Ferdinand Lassalle (1825-1864), Sohn eines jüdischen Kaufmanns, prägte als Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) die frühe deutsche Arbeiterbewegung. Trotz bürgerlicher Herkunft und einem Leben im Wohlstand, setzte er sich für demokratische und soziale Reformen ein. Sein Wirken für das allgemeine Wahlrecht und gegen die soziale Ungerechtigkeit endete tragisch in einem Duell. Lassalles Einfluss auf die Entwicklung der SPD und die Arbeiterbewegung ist bis heute erkennbar.
Hören Sie den Eintrag zu Ferdinand Lassalle auch als Hörbuch. (Hörzeit 10:58 Minuten)
Obwohl Ferdinand Lassalle dem Bürgertum entstammte und einen aufwendigen Lebensstil pflegte, avancierte er zum Wortführer und anerkannten Organisator der frühen deutschen Arbeiterbewegung. Der kommunistischen Revolutionslehre von Karl Marx schenkte er keinen Glauben.
Ferdinand Lassalle (* 11.4.1825 · † 31.8.1864) wurde als Sohn eines jüdischen Seidenhändlers in Breslau geboren. Nachdem er das Gymnasium auf eigenen Wunsch verlassen hatte, besuchte er 1840/41 die Handelsschule in Leipzig, machte aber keinen Abschluss, da er sich als Schriftsteller zu profi lieren gedachte. Letztlich holte Lassalle das Abitur nach und studierte von 1843 bis 1846 in Breslau und Berlin vor allem Geschichte und Philosophie. Gleich zu Beginn seines Studiums trat er der schlagenden Burschenschaft der Raczeks bei, die nationale und konstitutionelle Forderungen vertrat, gemeinsam politische Lyrik las und sich mit den Frühsozialisten auseinandersetzte.
Charakteristisch für Lassalle war die hohe Wertschätzung, die er dem Staat als Idee entgegenbrachte. Sein positives Staatsverständnis speiste sich aus der idealistischen Philosophie Hegels, wonach der Staat die Einheit der Individuen in einem sittlichen Ganzen bilde und die Kräfte aller Einzelnen millionenfach vermehre. Lassalle sah dessen Zweck also nicht allein im Schutz der persönlichen Freiheit und des Eigentums. Vielmehr gehe es darum, vermittels des Staatswesens eine höhere Stufe des Daseins zu erreichen, mithin eine Summe von Bildung, Macht und Freiheit, die einzeln nicht zu erlangen sei.
Unter dem Einfluss von Heinrich Heine wandte sich Lassalle immer stärker demokratischen und sozialistischen Ideen zu. Er begrüßte den Schlesischen Weberaufstand (1844) und wurde im Zuge der Revolution von 1848/49 inhaftiert, weil er an seinem neuen Wohnort Düsseldorf gegen die landesherrliche Gewalt Preußens agitiert hatte.
Lassalles Verhältnis zu Karl Marx (S. 221-227) war zeitlebens ambivalent. Er lernte ihn und Friedrich Engels (S. 105-111) im Jahr 1848 im Düsseldorfer Demokratischen Volksklub kennen. Aufmerksam las er die von Marx herausgegebene Neue Rheinische Zeitung. Allerdings kühlte sich das zunächst freundschaftliche Klima zwischen den beiden schnell ab. Lassalle, der es verstand, öffentlichkeitswirksam aufzutreten, wurde von Marx und Engels zunehmend als Konkurrenz empfunden. Lassalle konnte mit der materialistisch begründeten Marx’schen Revolutionslogik nur wenig anfangen. Dass er alternativ für eine demokratische und soziale Ausgestaltung der preußischen Verfassung und für die Schaffung eines deutschen Nationalstaats eintrat, vertiefte den Konflikt noch.
Anfang 1846 war Lassalle erstmals der mehr als 20 Jahre älteren Sophie Gräfin von Hatzfeldt begegnet. Zwangsverheiratet und von ihrem Ehemann hintergangen, verlangte die Gräfin die Scheidung. Obwohl Lassalle anfangs keinerlei juristische Kenntnisse besaß, vertrat er Hatzfeldt in aufsehenerregenden Prozessen von 1846 bis 1854 vor zahlreichen Gerichten. Sein ausgeprägter Ehrgeiz und seine rhetorische Brillanz führten letztlich zum gewünschten Ergebnis: Die Ehe wurde geschieden, und die aufgrund einer ihr zugesprochenen Apanage wohlhabend gewordene Gräfin setzte für ihn aus Dankbarkeit eine großzügige Rente aus.
Nach gescheiterten Bündnisbemühungen mit der Deutschen Fortschrittspartei warb Lassalle in der Arbeiterschaft um Bundesgenossen, da er seiner Forderung nach einer demokratisch-sozialen Republik mehr Nachdruck verleihen wollte. 1862 legte er in einer viel beachteten Rede nahe Berlin sein »Arbeiterprogramm« dar. Dabei wies er den Arbeitern stark idealisierend eine bedeutende Rolle für den geschichtlichen Fortschritt zu. Sein Blick richtete sich ebenso auf um ihre Existenz kämpfende Handwerker und niedere Beamte. Im Dezember 1862 baten ihn Otto Dammer, Friedrich Wilhelm Fritzsche und Julius Vahlteich, die von Leipzig aus die Einberufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeiterkongresses vorbereiteten, sich an ihre Spitze zu stellen.
Lassalle funktionierte die Arbeiterkongressbewegung in seinem Interesse um. In einem »Offenen Antwortschreiben« forderte er sie auf, eine selbstständige politische Partei zu konstituieren. Der am 23. Mai 1863 gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) bildet den organisatorischen Grundstein der Sozialdemokratie und folgte in seinem Programm den Lassalle’schen Vorstellungen. Höchste Priorität erhielt die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts. Überdies regte Lassalle die Schaffung von Produktivassoziationen mit Staatskredit an, um dem liberalen Genossenschaftsmodell in der Arbeiterschaft das Wasser abzugraben.
Ferdinand Lassalle wurde zum Präsidenten des ADAV mit diktatorischen Vollmachten gewählt, was seinem Führungsverständnis entsprach. Zugleich legte er großen Wert auf den Freiheitsbegriff, den er in doppelter Perspektive definierte: nach innen als die Durchsetzung von Demokratie und Sozialismus, nach außen – im Ringen um einen kleindeutschen Nationalstaat unter der Führung Preußens – als Freiheit zum Nationalismus. Dieser Ansatz zeigt, wie eng Lassalle die Arbeiterschaft mit dem Staat verknüpft sah, der als positive Organisationsform nicht umzustürzen, sondern durch Reformpolitik zu gestalten sei.
Angesichts der Lohnabhängigkeit der Arbeiterschaft formulierte Lassalle das »eherne Lohngesetz«. Demnach pendele sich der durchschnittliche Arbeitslohn in kapitalistischen Gesellschaftsordnungen stets auf das gültige Existenzminimum ein. Den solidarischen Kampf von Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen hielt Lassalle für überflüssig. Allein die von ihm angeregten Produktivassoziationen könnten für eine gerechte Entlohnung sorgen.
Im März 1864 wurde Lassalle vor dem Staatsgerichtshof wegen Hochverrats angeklagt, weil er mit seinem ADAV die Verfassung zu stürzen beabsichtige. Gleichzeitig ließ er sich zu immer einseitigeren Angriffen gegen das liberale Bürgertum hinreißen. Für die oftmals zähe Kärrnerarbeit im Arbeiterverein gab Lassalle sich nicht her, zumal ihn dessen geringe Mitgliederzahl enttäuschte. Bei einer Kur in der Schweiz lernte er die wesentlich jüngere Helene von Dönniges näher kennen. Als sein Heiratsantrag zurückgewiesen wurde, begab Lassalle sich aus gekränktem Stolz in ein Duell, an dessen Folgen er starb.
Nachdem Georg Herwegh anlässlich der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins das »Bundeslied« gedichtet hatte, ergänzte Jacob Audorf die Arbeiter-Marseillaise zur anstehenden Totenfeier um einen neuen Refrain: »Der kühnen Bahn nun folgen wir, die uns geführt Lassalle«, wurde fortan auf zahllosen sozialdemokratischen Veranstaltungen gesungen. Befeuert von der Gräfin von Hatzfeldt, baute sich nach dem Tod des ADAV-Gründers ein regelrechter Lassalle-Kult in der Arbeiterbewegung auf, der bis in die Weimarer Republik anhielt. Heinrich Heine charakterisierte Lassalle als Messias des 19. Jahrhunderts, dessen Verehrung religiöse Züge trage; der Parteitheoretiker Eduard Bernstein (S. 60- 66) stilisierte ihn zum Erwecker der deutschen Arbeiterbewegung.
Trotz dieser überspitzten Urteile steht außer Frage, dass von der ADAV-Gründung eine mobilisierende Wirkung auf die Arbeiterbewegung ausgegangen ist. Die Sozialdemokratie kann seither als Partei auf organisatorische Kontinuität zurückblicken. In diesem Denkhorizont bewegten sich auch August Bebel (S. 54-59) und Wilhelm Liebknecht (S. 199-205), einst selbst ADAV-Mitglied, als sie 1869 ihre Sozialdemokratische Arbeiterpartei in Eisenach als ausdrückliche Gegengründung zur Lassalle’schen Organisation ins Leben riefen. Zwar waren die inhaltlichen Differenzen anfangs groß, letztlich fanden beide Stränge der Arbeiterbewegung jedoch im Jahr 1875 in Gotha zusammen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich der Lassalle-Kult nicht mehr reaktivieren. Allerdings orientierte sich der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher an dem Lassalle’schen Gedankengut, das später im Berliner Aktionsprogramm (1954) die etatistische Ausrichtung der Sozialdemokratie zu begründen half. Zudem ist Lassalles dezidierte Kritik an einem auf die Ökonomie reduzierten Freiheitsbegriff nach wie vor aktuell. Der ADAV-Gründer forderte auch politische Freiheit ein. Zugleich betonte er die Aufgabe des Staats, für größtmögliche Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen.
In der DDR galt Lassalle als dem militaristischen Preußen erlegener Antidemokrat. Ein von Stefan Heym verfasster Lassalle-Roman durfte erst 1974 verspätet erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass sich das SED-Zentralkomitee in den 1970er-Jahren bemühte, Lassalles verfallenes Grabmal von Breslau nach Ostberlin zu verlegen. Dies scheiterte jedoch am Widerstand jüdischer Organisationen. So konnte sich die Friedrich-Ebert-Stiftung der Grabpflege annehmen.
In der Bundesrepublik Deutschland erfuhr Lassalle manche Würdigung seitens der SPD. Die Partei bezog sich – weitgehend ungeachtet historischer Vorläufer, Brüche und Diskontinuitäten – sowohl bei der Feier ihres 100. Jubiläums (1963) als auch 50 Jahre später auf den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Die Bundespost veröffentlichte anlässlich dieser Feierlichkeiten jeweils eine Briefmarke, im ersten Fall mit dem Porträt von Lassalle als Motiv; 2013 mit einer stilisierten Nachbildung der Traditionsfahne der Sozialdemokratie.