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Renate Lepsius (1927-2004) war eine Pionierin der Frauenpolitik in der SPD, die sowohl Parteiprogrammatik als auch gesetzliche Regelungen beeinflusste. Nach einer anfänglichen Position als Stenotypistin, stieg Lepsius durch ihr Engagement in der SPD und ihre Arbeit im Parlament zu einer Schlüsselfigur in der Frauenpolitik auf. Sie setzte sich besonders für die soziale Sicherung von Frauen, die Reform des § 218 und die Gleichberechtigung in Beruf und Politik ein. Lepsius, die gegen traditionelle Rollenbilder und für die Rechte von Frauen kämpfte, hinterließ bleibende Veränderungen in der deutschen Gesellschaft und Politik.
Hören Sie den Eintrag zu Renate Lepsius auch als Hörbuch. (Hörzeit 11:55 Minuten)
Jünger, intellektueller, aus der Mittelschicht. Renate Lepsius (* 21.6.1927 · † 28.6.2004) gehörte in der SPD der Nachkriegszeit einer neuen Frauengeneration an. Sie machte sich Frauenpolitik zum Beruf, als dies anderen noch als kleinerer »Nebenwiderspruch« im grundsätzlichen Konflikt von Kapital und Arbeit erschien. (Vgl. Meyer 1997: 110) Renate Lepsius hat die Soziale Demokratie in Deutschland in der Programmatik, aber dank ihrer Arbeit im Parlament auch mit konkreten Regelungen geprägt.
Renate Lepsius wird 1927 als Renate Meyer in Berlin geboren. Ihre Eltern sind an Kunst und Literatur, aber auch an Politik interessiert. Ihr Vater ist bis 1933 Oberstudiendirektor eines Gymnasiums, entschiedener Verfechter der Weimarer Verfassung und ein Anhänger Friedrich Naumanns. Ihre Mutter ist eine Anhängerin Adolf Damaschkes und tritt für eine Bodenreform ein. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten verliert der Vater seine Arbeit, gemeinsam mit Freunden verstecken die Eltern reihum eine jüdische Freundin (vgl. hier u. i. F. Meyer 1997 u. Lepsius 1987).
1947 erkämpft sich Renate Lepsius in Berlin gegen gesellschaftliche und familiäre Vorbehalte einen Studienplatz für Literatur-, Geschichts- und Sozialwissenschaft. 1948 wechselt sie nach Freiburg, auch um sich vom Einfluss des Vaters zu entfernen. Der hatte 1945 die Berliner CDU mitgegründet und die Familie zum Parteibeitritt animiert. Nur Renate weigerte sich. Von Freiburg geht sie auf Einladung des German Educational Reconstruction nach London. Erstmals erfährt sie dort, dass Demokratie mit gefüllten Läden zusammengehen kann. Sie schließt ihr Studium mit Promotion in Berlin ab und arbeitet zunächst in Bonn.
Sie sucht die Nähe zur Politik, findet trotz ihrer Qualifikation zunächst aber nur eine Stelle als Stenotypistin beim Deutschen Akademischen Austauschdienst. Eingeprägt hat sich bei ihr: Nach der Kündigung ihres Vorgesetzten übernimmt sie dessen Arbeit mit, wird dafür aber nicht anders als zuvor entlohnt. Sie kündigt, wird Referentin bei Inter Nationes (später im Goethe-Institut aufgegangen) und dort auch Betriebsrätin. 1956 tritt sie der SPD bei – auch in Reaktion auf die Politik der Wiederaufrüstung und Westbindung Adenauers.
1958 im Alter von 31 Jahren heiratet sie Rainer Lepsius. Die beiden hatten sich bereits in London kennengelernt. Sie ziehen nach München, wo Rainer sich habilitiert. Die promovierte Renate Lepsius wird Hausfrau, was ihr aber – so beschreibt sie es selbst – den Raum für ihr folgendes politisches Engagement eröffnet. In München wird Renate Lepsius als ehrenamtliche Bezirksrichterin und im Bezirkssozialausschuss aktiv. In der SPD wird sie 1962 in den Frauenausschuss beim Parteivorstand berufen.
Als 1964 ihr Sohn geboren wird, zieht sich Renate Lepsius zunächst aus der Politik zurück. 1965 nimmt ihr Mann einen Ruf an die Universität Mannheim an, die Familie zieht nach Weinheim. 1972 kandidiert Renate Lepsius erfolgreich für den Bundestag. Sie gehört ihm bis 1983 und noch einmal von 1984 bis 1987 an. Mit 60 Jahren verzichtet Renate Lepsius auf eine erneute Kandidatur.
Sie engagiert sich lokal in der Kunstförderung und stirbt 2004 im Alter von 77 Jahren in Weinheim.
In dem Jahr, in dem Renate Lepsius aus dem Bundestag ausscheidet, erscheint ihr Buch »Frauenpolitik als Beruf«. Unter diesen Sammelbegriff kann man auch ihre programmatisch-konzeptionellen Beiträge zur Programmatik und Praxis der Sozialen Demokratie fassen. Die Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit waren die soziale Sicherung von Frauen und die Reform des § 218 des Strafgesetzbuches.
Schon 1973 veröffentlicht Renate Lepsius als neue Bundestagsabgeordnete einen viel beachteten Artikel: »Das Proletariat auf kleinen Füßen«. Darin prangert sie die schlechte Versorgungslage für Kinder geschiedener Mütter an. In ihrer Tätigkeit in München hatte sie erlebt, wie schwer Frauen oft um den Unterhalt ihrer Kinder kämpfen mussten. Sie forderte u. a. die Festsetzung eines Regelunterhalts, die Überprüfung von Unterhaltsleistung von Amts wegen und die Einführung von Unterhaltsvorschusskassen, die vorübergehend für säumige Väter einspringen. Tatsächlich wurde die Unterhaltssituation geschiedener Kinder 1977 entscheidend verbessert.
Renate Lepsius’ wichtigstes parlamentarisches Projekt war aber die Einführung des Versorgungsausgleichs. Unter Versorgungsausgleich versteht man die Regelung, dass sich die ehemaligen Partner im Falle einer Scheidung die jeweiligen Ansprüche für eine Altersversorgung teilen.
Renate Lepsius saß im Bundestag im »Unterausschuss Ehe- und Familienrecht«, gleichzeitig im Rechtsausschuss und dem Ausschuss für »Arbeit und Soziales« – für die Begleitung des Versorgungsausgleichs eine optimale Kombination. Die bis 1976 gesetzlich festgeschriebene »Hausfrauenehe« hatte dazu geführt, dass Frauen in der Zeit der Ehe keine Rentenansprüche erwarben. Die Reform und Liberalisierung des Ehe- und Familienrechts von Juni 1976 hob die Festschreibung der »Hausfrauenehe« auf.
Gleichzeitig trat bei Scheidungen das Zerrüttungsprinzip an die Stelle des Schuldprinzips. Das hatte Auswirkungen auf Unterhaltsregelungen, aber eben auch auf die Altersversorgung. Scheidungen waren nun leichter zu realisieren, die Absicherung der Frauen, die ihren Beruf für die Ehe aufgegeben hatten, aber darauf noch nicht eingestellt. Es gelang Renate Lepsius und anderen, die Formel »Kein Zerrüttungsprinzip ohne Versorgungsausgleich« durchsetzen und im Gesetz zu verankern. Weitere Erfolge ihrer parlamentarischen Arbeit waren die Dynamisierung des Geschiedenenunterhalts und die Einführung eines Mutterschaftsurlaubsgesetzes.
Schließlich engagierte sich Renate Lepsius nicht erst in ihrer Zeit als Abgeordnete für eine Reform des § 218 des Strafgesetzbuches, der die strafrechtlichen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs regelt. Seit 1969 war die favorisierte Lösung der sozialliberalen Koalition die sogenannte Indikationslösung. Eine Indikationslösung stellt einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe, nur im Falle unzumutbarer körperlicher oder seelischer Belastung der Mutter gibt es davon Ausnahmen. Renate Lepsius plädierte dagegen für eine Drei-Monats-Regelung, die Gustav Radbruch (S. 269-275) bereits 1922 vorgeschlagen hatte. Innerhalb dieser Frist sollte die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch in der Verantwortung der Frau liegen und straffrei sein.
Bereits 1971 hatte sich Renate Lepsius mit »Bemerkungen zu juristischen Argumenten in der Reformdiskussion des § 218« in die Diskussion eingeschaltet. Im selben Jahr ist sie auch an der Besetzung der Evangelischen Akademie Bad Boll beteiligt. Bei einer Veranstaltung dort waren ausschließlich Männer eingeladen worden, um zum Thema zu diskutieren. Mit der Besetzung erzwangen Renate Lepsius und ihre Mitstreiterinnen die Öffnung des Podiums.
Eine Fristenregelung wird vom Bundestag schließlich tatsächlich 1974 mit knapper Mehrheit verabschiedet, vom Bundesverfassungsgericht allerdings 1975 verworfen, sodass die heutige Regelung erst in den 1990er-Jahren – wiederum mit Anrufung des Bundesverfassungsgerichts – Gesetz wurde.
Bemerkenswert ist schließlich ein Referat von Renate Lepsius, das sie bereits 1974 auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe hält. Unter dem Titel »Frau und Politik« zeigt sie auf, dass die geringere Beteiligung und das geringere Interesse von Frauen an der Politik keinesfalls das Resultat einer natürlichen Neigung ist. Dem Klischee der unpolitischen Frau und ihrer Orientierung an Küche, Kindern und Kirche hält sie soziologische Befunde entgegen. Sie zeigt, dass die geringere politische Beteiligung von Frauen die Folge ihrer Benachteiligungen im Bereich der Bildung, der beruflichen Stellung und der Eingliederung in Verbände und Organisationen ist. Ihre These lautete: »Das Verhältnis der Frauen zur Politik ist charakteristisch für den Stand der inhaltlichen Demokratie in unserer Gesellschaft« (Lepsius 1964: 97). Eine zentrale Rolle der Mutter bei der Erziehung der Kinder stellt sie aber nicht infrage.
Eine Position, die für Renate Lepsius durchaus typisch ist. Radikale Vorschläge, wie etwa die ersatzlose Streichung des § 218 machte sie sich nicht zu eigen. Die Institution der Ehe stellte sie, anders als neomarxistische Frauengruppen und Strömungen, die teilweise auch in die SPD und die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) hineinreichten, nie infrage (vgl. Meyer 1997: 130-131). Ihre Arbeit wurde von dem bestimmt, was sie in der sozialliberalen Koalition für durchsetzbar hielt, weniger von theoriegeleiteten Auseinandersetzungen. Mit ihren Positionen traf sie daher nicht nur auf männlichen Widerstand. Auch von Frauen, etwa aus der ASF, wurde sie kritisiert. In diesem Fall als zu pragmatisch und mit Blick auf ihre Positionen in anderen Politikbereichen (Notstandsgesetze, Nato-Mitgliedschaft, Kernenergie) als zu konservativ (vgl. Meyer 1997: 130).
Familien- und gleichstellungspolitische Fragen sind noch immer aktuell und umstritten. Beim Ehegattensplitting, dem als »Herdprämie« bekannten Betreuungsgeld, bei Kitaplätzen und Kitapflicht prallen unterschiedliche Wertvorstellungen ungebremst aufeinander. Was kann der Gesetzgeber vorgeben, fördern, verbieten? Was muss gesetzlich geregelt werden, was ist privat?
Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes führt aus »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« und seit 1994 weiter: »Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.«
Wenn man aus Renate Lepsius’ Schaffen einen Auftrag folgern will, dann den, diese beiden Sätze durch kluge Instrumente mit Leben zu füllen. Die Soziale Demokratie muss sich in jeder Zeit immer wieder neu Positionen erarbeiten, die die tatsächliche Gleichberechtigung von Frau und Mann fördern und die gesellschaftlich getragen werden.
Renate Lepsius hat sich der Aufgabe in ihrer Zeit angenommen. Vieles hat sie selbst erreicht: Die Realisierung einiger Forderungen, etwa einer Quote für Frauen, hat sie in Bezug auf die SPD noch erleben können. Die Realisierung ihrer Forderung nach einer Quote für Frauen im Erwerbsleben steht noch aus.