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Ein Interview mit Dr. Sabine Fandrych, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung, anlässlich unseres 100. Geburtstages.
Es ist fast genau 23 Jahre her, dass ich als FES-Vertreterin in Angola das Ende des langen Bürgerkrieges miterlebt habe. Damals wurde es möglich unter schwierigsten Bedingungen Landesteile zu besuchen, die zuvor nicht zugänglich waren. Es war erschreckend zu sehen, unter welchen Bedingungen dort Vertriebene ausharren mussten. Die humanitären Bedingungen waren extrem prekär. Auch in den Städten wuchs mit der Zeit die Zahl der intern Geflüchteten, ohne dass es einen guten Plan gegeben hätte, wie man damit umgeht. Wie in anderen Regionen der Welt auch zeigte sich hier: die meisten Vertriebenen und Geflüchteten bleiben in der Nähe ihrer Herkunftsorte, oder in den Nachbarländern. Es ist wichtig, sie dort zu unterstützen und ihre Perspektiven dort zu stärken.
Seit den 1970ern und 80ern arbeitet die FES zu Migration: Damals fokussierte sie ihre Arbeit auf die Situation der sogenannten Gastarbeiter:innen und ihren Familien. Diese waren wegen fehlenden Sprach- und Bildungskonzepten mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. In der Folge hat die FES Personen mit Zuwanderungsgeschichte als eine neue Zielgruppe gesehen. Dabei nahm die Friedrich-Ebert-Stiftung immer wieder explizit weibliche Eingewanderte in den Blick, so zum Beispiel Mitte der 1980er-Jahre in einem Forschungsprojekt zur sozialen Situation von migrantischen Frauen und Frauen in Nordrhein-Westfalen.
Angesichts der zunehmenden Zahl an Kriegen stieg die Zahl der weltweit Flüchtenden in den Jahren 2015/16 rapide an. Es kamen rund zwei Millionen Menschen in die EU, die meisten von ihnen aus Syrien, Irak und Afghanistan. Als Reaktion haben wir verstärkt zu den Themen Flucht, Migration und Integration gearbeitet und etwa unsere Angebote für Ehrenamtliche in der Geflüchtetenhilfe und für Geflüchtete ausgebaut. So haben wir Einführungsseminare zu Asylrecht, Vernetzungsangebote für Helfer:innen, Qualifizierungsangebote für Grundschullehrer:innen oder Seminare zum demokratischen System der Bundesrepublik auf Farsi oder Arabisch in unsere Programme aufgenommen.
Natürlich passen wir unsere Angebote kontinuierlich an den politischen Kontext an. So rückte ab 2022 zunehmend der Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine in den Mittelpunkt der Betrachtung. Wie eine progressive Migrationspolitik aussehen kann, insbesondere was die faire Anwerbung und die gelingende Integration von Fachkräften angeht, ist und bleibt weiterhin einer unserer Schwerpunkte in der politischen Beratungsarbeit.
Besonders wichtig ist mir der 1971 gegründete spendenfinanzierte Solidaritätsfonds zur Unterstützung geflüchteter und verfolgter Menschen, der hauptsächlich von ehemaligen Stipendiat:innen gespeist wird. Im Kontext der erhöhten Fluchtmigration passte die FES 2017 auch ihre Auswahlkriterien und das Bewerbungsverfahren an. Wir sind stolz darauf, dass ca. 25-30 % unserer Stipendiat:innen Migrationsgeschichte haben.
Fragen von Migrations- und Integrationspolitik haben die deutsche Gesellschaft in den letzten 30 Jahren wie kaum ein anderes Thema polarisiert. Auf der einen Seite steht der Zuwanderungsbedarf in eine alternde Gesellschaft und deren Wirtschaft, die unter Fachkräftemangel leidet. Die Anwerbung von Arbeitskräften ist also dringend notwendig, um Wohlstand zu erhalten und Zukunftsfähigkeit zu sichern.
Auf der anderen Seite führen globale Krisen zu einer Zunahme von Fluchtbewegungen, die auch in Europa und Deutschland deutlich spürbar sind. Sie treffen auf eine zunehmende „Migrationsmüdigkeit“ in der Bevölkerung, die von rechten Kräften gezielt geschürt wird. Migration wird dabei oft als Projektionsfläche für die Herausforderungen in anderen gesellschaftlichen und politischen Bereichen benutzt. Durch sie wird sichtbar, wie stark die Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssysteme nach Jahren einer Sparpolitik ohnehin schon an ihrer Belastungsgrenze sind. Am deutlichsten ist das in den Kommunen, wo die zum Teil hohe Verschuldung, marode öffentliche Infrastruktur und die Wohnungsnot die eigentlichen Faktoren für den Unmut sind.
Dieser komplexen Herausforderung kann nur durch Zusammenarbeit auf internationaler, europäischer, nationaler und kommunaler Ebene begegnet werden. Hier setzen wir als Friedrich-Ebert-Stiftung an. Wie bei unserer internationalen Konferenz „Migration progressiv ausbuchstabieren“ im September 2024 und der damit verbundenen Artikelserie bringen wir auf verschiedenen Ebenen immer wieder wichtige Akteur:innen ins Gespräch. Eine vorausschauende Asyl- und Migrationspolitik erfordert einen kohärenten ebenenübergreifenden Ansatz, der die Bedarfe der Kommunen ebenso in den Blick nimmt, wie eine systematische Kooperation auf Ebene der Ressorts und in Europa. Wer dazu auf dem Laufenden bleiben möchte, dem empfehle ich einen Blick auf unser Internet-Portal.
Diversität ist wichtig, um verschiedene Perspektiven in einer Gesellschaft verstehen zu können. Gerade für den Zusammenhalt ist es notwendig potentiell konfligierende Interessen zu kennen und konstruktiv zu bearbeiten. Die politische Bildung und die Kommunikation mit Zielgruppen müssen diverse Perspektiven aufnehmen können. Insofern ist es für uns ein wichtiger Auftrag, bei der Rekrutierung von Personal noch stärker auf Diversität zu achten.
Das Interview führte Annette Schlicht.
Sabine Fandrych ist seit Juli 2021 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie studierte Politikwissenschaft, Ethnologie und Portugiesische Linguistik an der LMU München. Im Jahr 2000 promovierte sie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg. Zwischen 2000 und 2010 war sie u.a. Leiterin der FES Büros in Angola und Äthiopien. Im Jahr 2010 wechselte sie als Leiterin des FES-Büros in Baden-Württemberg in den Tätigkeitsbereich der FES in Deutschland. Von 2017 bis 2021 leitete sie die Abteilung der Politischen Akademie in Bonn.
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