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Das Ruhrgebiet ist ein wichtiges Ziel für Zuwanderung aus Osteuropa. Die Stadt Hagen hat mit ihrem integrativen Ansatz zahlreiche Erfolgsgeschichten produziert. Ein Interview mit Martina Soddemann, Erste Beigeordnete der Stadt Hagen.
Mit der EU-Osterweiterung 2004 und der Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit 2014 ist das Ruhrgebiet zu einem wichtigen Ziel für osteuropäische Einwanderer geworden. Die Stadt Hagen hat mit ihrem integrativen Ansatz zahlreiche Erfolgsgeschichten produziert. Andere Städte können von der gezielten Förderung und der engen Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung, sozialen Einrichtungen und Zugewanderten lernen. Wir haben mit Martina Soddemann, Erste Beigeordnete der Stadt Hagen, gesprochen.
Martina Soddemann: Die Zuwanderung aus Südosteuropa nach Hagen begann spätestens 2014 mit dem Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien. Die Herkunftsregionen haben sich im Laufe der Zeit verändert; aktuell stammen viele Rumän:innen aus Regionen wie Ialomița und Galați, viele Bulgar:innen aus Plovdiv und Sofia. Die Zugewanderten, darunter viele Roma-Familien, siedelten sich überwiegend in sozial benachteiligten Stadtteilen wie Altenhagen, Wehringhausen und Eilpe an – dem sogenannten „Hagener Armutsgürtel“. Dort ist der Wohnraum noch günstig.
Die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien wird durch die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit in den Herkunftsländern, insbesondere in ländlichen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und schwachen sozialen Sicherungssystemen, aber auch durch die dort alltägliche Diskriminierung der Roma begünstigt. Hagen bietet durch relativ hohe Wohnungsleerstände günstigen Wohnraum, allerdings in stark sanierungsbedürftigen Immobilien. Die niedrigen Lebenshaltungskosten und bereits bestehende soziale Netzwerke erleichtern das Ankommen, wodurch Hagen für weitere Zuwanderung attraktiv wird. Der Integration in die Mehrheitsgesellschaft ist dies nicht immer dienlich.
Die Themen, mit denen wir heute konfrontiert sind, haben sich seit 2014 kaum verändert. Zu den größten Herausforderungen gehörte anfangs der organisierte Sozialleistungsbetrug, bei dem die Antragsstellenden selbst eher ausgebeutet wurden. Das sehen wir heute nicht mehr ganz so stark.
Die Wohnungsknappheit und die Vermietung von „Schrottimmobilien“ sowie Bildungsdefizite bei Kindern sind aber auch heute noch die größten Baustellen. Trotz gesetzlicher Maßnahmen und verstärkter Kontrollen ist die Erwerbsquote niedrig und viele Menschen verbleiben in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen. Spannungen in benachteiligten Stadtteilen, insbesondere durch überbelegte Wohnungen und sozialisierungsbedingte Unterschiede, führen zu Frust auf allen Seiten. Die Anzahl der Menschen, die aus Rumänien und Bulgarien kommen, ist nach wie vor hoch und die gleichzeitig hohe Fluktuation erschwert das Ankommen und die Integration in die kommunalen Infrastrukturen.
Die Stadt Hagen ergreift unterschiedliche Maßnahmen gegen die Vermietung von Schrottimmobilien an Zugewanderte aus Südosteuropa. In Kooperation führen unterschiedliche Behörden gemeinsame Kontrollen durch, um bauliche Mängel und den melderechtlichen Status der Bewohner:innen zu überprüfen. Die Hagener Erschließungs- und Entwicklungsgesellschaft kauft problematische Immobilien auf, saniert sie oder lässt sie abreißen, wenn eine Sanierung nicht möglich ist. Durch Änderungen im Baugesetzbuch kann die Stadt Eigentümer:innen nun zur Sanierung verpflichten und bei Nichterfüllung den Abriss veranlassen. Diese kombinierten Maßnahmen zielen darauf ab, die Wohnsituation zu verbessern und betroffene Stadtteile langfristig aufzuwerten.
Neben Programmen, die spezifisch auf Wohnraum, Arbeit, Gesundheit oder Bildung, vor allem muttersprachliche Bildungsmediation, im Zusammenhang mit Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien ausgerichtet sind, war das Programm zur Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration von Menschen aus Südosteuropa seit 2017 zentral. Im Rahmen dieses Programms wurde das Quartiersmanagement gegründet und neben zwei pädagogischen Fachkräften acht muttersprachliche Sprach- und Kulturvermittelnde, überwiegend mit Roma-Hintergrund, eingestellt. Deren Aufgabenfeld ist lebensbereichsübergreifend angelegt und schließt auch die Konfliktvermittlung auf nachbarschaftlicher Ebene mit ein. Zudem wurden verschiedene Kooperationsverträge mit Trägern geschlossen. Bedauerlicherweise hat das Land NRW diese wichtige Förderung Ende 2024 eingestellt.
Zudem wurden Vereine wie Romano Drom Hagen e.V. gegründet und eine Task Force zur Bekämpfung von Sozialleistungsbetrug eingerichtet. Die Stadt nimmt an Forschungsprojekten teil, um ihre Integrationsarbeit zu verbessern und hat einen neuen Fachbereich für Integration und Wohnraumsicherung geschaffen. Hagen arbeitet mit anderen Ruhrgebietsstädten an spezifischen Konzepten für einzelne Quartiere. Wichtig ist, restriktive politische Maßnahmen mit einer Intensivierung von Integrationsangeboten zu verbinden.
Die Stadt Hagen bringt ihre Anliegen zur Zuwanderung aus Südosteuropa über die AG „Zuwanderung aus Südosteuropa“ des Deutschen Städtetages in die Bundespolitik ein. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach besseren Ankommensstrukturen für EU-Bürger:innen sowie der zügigen Integration in Ausbildung und Arbeitsmarkt, wie es die Arbeitnehmerfreizügigkeitsverordnung vorsieht. So sollten die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter als Behörden der bestehenden Regelsysteme alle Unionsbürger:innen durch ganzheitliche Beratung, Betreuung und aufsuchende Arbeit aktiv begleiten. Von der Bundesregierung wird erwartet, einen Anspruch für Unionsbürger:innen auf kostenfreie Integrations- und berufsbezogene Sprachkurse u.a. mit den Schwerpunkten Grundbildung und Alphabetisierung mit Teilnahmeverpflichtung und Rückführung bei Ablehnung zu verankern und zu finanzieren. Zudem benötigen die von verstärkter Zuwanderung aus Südosteuropa besonders betroffene Kommunen finanzielle Unterstützung.
Bezogen auf das Land NRW bedarf es insbesondere einer Unterstützung bei der Integration dieser Zielgruppe in das Kita- und Schulsystem. So wird in der Stadt Hagen derzeit in Kooperation mit dem Land ein spezielles Vorhaben für schulverweigernde Jugendliche in Klasse 9 umgesetzt. Solche Maßnahmen benötigen aber eine systematische Unterstützung seitens des Landes, um sie flächendeckend umzusetzen und möglichst vielen Kindern und Jugendlichen eine Perspektive zu geben.
Martina Soddemann ist Erste Beigeordnete der Stadt Hagen. Nach ihrer Tätigkeit bei der Bertelsmann Stiftung nahm sie 2004 ihre Arbeit bei der Kreisverwaltung Herford auf, wo sie in unterschiedlichen Funktionen im Bereich Bildung wirkte. Seit 2022 verantwortet sie in Hagen den Vorstandsbereich 3 mit den Themen Jugend, Soziales, Bildung, Integration und Kultur.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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