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Archiv der sozialen Demokratie

 

Jupp Darchinger - Das Auge der Republik

Geht es um die „Bonner Republik“, stößt man unweigerlich auf Jupp Darchingers Fotografien – ganz besonders in diesem Blog. Eine Ausstellung im LVR-Landesmuseum Bonn zeigt zum 100. Geburtstag des bedeutenden Fotojournalisten Bilder aus seinem Lebenswerk, das seit 2008 im AdsD bewahrt wird.

Nur ein Schritt nach vorn und Betrachtende könnten, so scheint es, auf dem freien Stuhl in der sommerlichen Kabinettssitzung im Garten des Palais Schaumburg teilnehmen. Momentaufnahmen wie diese sind es, die Josef Heinrich Darchingers (1925-2013) Fotografien auszeichnen. Wie kein zweiter begleitete der Fotojournalist – in rheinischer Art häufig nur Jupp genannt – die Persönlichkeiten und gesellschaftlichen Entwicklungen der Bundesrepublik. Vom „Wirtschaftswunder“ der Adenauer-Ära bis in die Anfangsjahre des wiedervereinigten Deutschlands, von Staatsgäst:innen bis Fabrikarbeiter:innen, vom historischen Moment bis zum Porträt: Bereits seit den 1980er-Jahren gilt Jupp Darchinger als einer der bedeutendsten Chronist:innen seiner Zeit und manchem Bild, wie jenem vom berühmten Güstrower Hustenbonbon, wird Ikonenstatus zugesprochen.

Am 6. August 2025 würde Darchinger 100 Jahre alt werden. Dieses Jubiläum ist ein Anlass, sein Lebenswerk zu würdigen und zugleich neue Blicke auf seinen Nachlass im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu wagen. Die Ausstellung „Jupp Darchinger. Das Auge der Republik“ stellt die Vielseitigkeit des Fotografen vor, nimmt insbesondere den Wirkungskreis Bonn unter die Lupe und thematisiert erstmals seine Strategien fotojournalistischen Arbeitens. Denn an den teils noch nie gezeigten Presseabzügen sind nicht nur der Bildinhalt und die fotografische Perspektive von Interesse. Auch als Objekte erzählen die Fotografien Geschichten.

Unterwegs im „Bundesdorf“

Ob ein knapper Ausschnitt eines intimen Dialogs oder der Blick auf die vermeintlichen Randbereiche des Geschehens – in über fünf Jahrzehnten Berufstätigkeit ging es Darchinger weder um das Skandal- noch um das repräsentative Handschlagfoto. Vielmehr suchte er – auch den Anforderungen der Bildredaktionen folgend – nach dem besonderen Augenblick und der ungewöhnlichen Perspektive. Ihm lag vor allem an der spezifischen Stimmung eines Moments, die er durch Verwendung allein des gegebenen Lichts einfing. Dokumentarisch, manchmal aber auch mit einem Blick für das Witzige und Absurde der Politblase im „Bundesdorf“ und außerhalb lichtete er die Kultur und Räume, in denen in der Bonner Republik Debatten geführt, Allianzen geschlossen, kurz: Politik gemacht wurde, ab.

Das Porträt – ob dynamisch-situativ oder repräsentativ – blieb für Darchingers gesamte Karriere maßgeblich. Bekannt dafür, bei Fototerminen selbstbewusst die Regie zu übernehmen, begegnete er auch Konzernvorsitzenden und Staatsoberhäuptern auf Augenhöhe und brachte sie dazu, ihre Persönlichkeit hinter der gesellschaftlichen Rolle sichtbar werden zu lassen. Darchinger selbst nannte diese Fähigkeit, schnell eine Verbindung zu Personen aufbauen zu können, seine „Menschenfängermethode“. Dabei achtete er jedoch auf eine Balance zwischen persönlicher Nähe und journalistischer Distanz, weswegen er nicht nur bei den Abgelichteten geschätzt war. Manche Politiker:innen, wie Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Richard von Weizsäcker, begleitete Darchinger über Jahrzehnte. Zugleich sicherte ihm die überzeugende Arbeit ein solides berufliches Netzwerk zu den Redakteur:innen bedeutender Magazine und Zeitungen sowie den Pressereferent:innen in Ministerien.

Aus Bonn-Endenich in die Welt

Der Weg eines Fotos von der Aufnahme bis zum Erscheinen in der Presse war zu Zeiten der analogen Fotografie noch ein anderer als heute. So fanden im Bonner Wohnhaus Jupp Darchingers viele Arbeitsschritte statt, in die seine ganze Familie eingebunden war. Ihre gemeinsame Verlässlichkeit und Schnelligkeit waren neben seinem fotografischen Blick wichtige Auszeichnungsmerkmale der „Marke“ Darchinger auf dem Bildermarkt.

So war für eine anschließende Verwendung der Fotografien durch die Bildredaktionen der Printmedien eine aussagekräftige Beschriftung essenziell, bei der die Ehefrau und ausgebildete Fotolaborantin Ruth sowie die Söhne Frank und Marc mithalfen. Damit erzählen die Rückseiten der Presseabzüge auch etwas über ihre Entstehungs- und Verwendungskontexte. Die Darchingers verschlagworteten beispielsweise all jene Motive mit dem Begriff „Themenbild“, die ein gesellschaftspolitisches Thema symbolisch und möglichst zeitlos verdichteten. Eine surrealistisch wirkende Nahaufnahme zahlreicher Glasaugen etwa löst ein beklemmendes Gefühl der Überwachung aus und verleiht dadurch den rückseitig assoziierten Themen der Kontrolle und Sicherheit einen negativen Beigeschmack von Überwachung. Das Bild könnte in den 1970er- und 1980er-Jahren insofern all jene Artikel bebildert haben, in denen deutsch-deutsche Spionage-Affären, die Fahndung nach der linksterroristischen Gruppe Rote Armee Fraktion oder die Skepsis gegenüber neuen Technologien in der staatlichen Datenerhebung und -verarbeitung diskutiert wurden. Von „steigenden Krankenhauskosten“ bis „Frauenarbeit“ – in der Zusammenschau bilden Darchingers „Themenbilder“ ein Panorama westdeutscher Geschichte und verdeutlichen, was die Bundesrepublik bewegte.

Das Herzstück der heimischen Arbeitsräume aber bildete die Dunkelkammer: Mit Perfektionismus feilte Jupp Darchinger dort an seinen Abzügen, reduzierte den entscheidenden Bildausschnitt auf das Wesentliche und schärfte die markanten Schwarz-Weiß-Kontraste. Weil er ohne Blitz fotografierte, erforderte die Ausarbeitung mancher nur schwach belichteter Aufnahmen besondere Aufmerksamkeit, ließ ihm aber zugleich den Gestaltungsspielraum, der zu der charakteristischen, fokussierten Bildästhetik beiträgt.

Das lebendige Archiv

Aufgrund seiner langjährigen Beziehungen zur SPD übergab Jupp Darchinger im Jahr 2007 sein Bildarchiv an das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sein fotografischer Nachlass umfasst rund 1,6 Millionen Negative, 60.000 Positive und 30.000 Dias. Bis heute gehen zahlreiche Anfragen zum Bestand im Archiv ein, das auch die Nutzungsrechte an den meisten Fotografien verwaltet und dadurch maßgeblich zum Nachleben Darchingers beiträgt. In Print- und Online-Medien bleiben seine Bilder somit weiterhin präsent und prägen nachhaltig unser Gedächtnis der Bonner Republik.

Anlässlich der Ausstellung im LVR-Landesmuseum Bonn wurde der erschlossene Darchinger-Bestand in der Visual Library des AdsD online zugänglich gemacht. Während der Laufzeit vom 12. Juni bis 14. September 2025 lädt eine Recherchestation inmitten der ausgestellten Abzüge zur erweiterten digitalen Erkundungstour durch das Werk des Ausnahmefotografen ein, die auch hier recherchiert werden können.

Klara Niemann, Co-Kuratorin der Ausstellung „Jupp Darchinger. Das Auge der Republik“

 

Neben regulären Führungen bietet das Rahmenprogramm der Ausstellung viele Sonderveranstaltungen, beispielsweise:

 

Cocktailführung mit Kuratorinnen

11.07. um 17:30 Uhr. Kosten: 9€ zzgl. Eintritt (inkl. Getränk)

Foto-Walk

04.07. | 22.08., jeweils von 16:30 bis 21 Uhr: Foto-Walk durch das Bonner Regierungsviertel zu den Schauplätzen von Jupp Darchingers Motiven mit der Fotografin und Medienkünstlerin Heidi Pfohl und der Historikerin Ulrike Just. Der Rundgang startet in der Ausstellung und endet in der Bundeszentrale für politische Bildung. Ab 18 Jahren. Digitalkamera oder Smartphone sind erforderlich. Kosten: 35€ (inkl. Getränk)

100. Geburtstag – Jupp Darchinger

06.08. um 14 und 16 Uhr: Ausstellungsrundgang mit Marc Darchinger

06.08. um 15 Uhr: Vorstellung der ausstellungsbegleitenden Publikation u.a. mit Frank Darchinger

Podiumsdiskussion »Zwischen Nähe und Distanz: Politischer Bildjournalismus im Wandel«

27.08. um 18 Uhr: In Zusammenarbeit mit der laif Agentur für Photos & Reportagen. Mit Daniel Pilar (Fotograf, laif) Henner Flohr (Leiter Bildredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) sowie Prof. Dirk Gebhardt (FH Dortmund, Studiengang Fotojournalismus), Moderation: Silke Frigge (Geschäftsführerin, laif) und Klara Niemann (Co-Kuratorin der Ausstellung). Kosten: 10€ zzgl. Eintritt

 

Alle Veranstaltungen zur Ausstellung finden Sie hier.

 

Ein ausstellungsbegleitender Katalog erscheint im August im Dietz-Verlag.


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