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Peter Glotz (1939-2005) war ein vielseitiger deutscher Politiker und Wissenschaftler, der als SPD-Bundesgeschäftsführer und Professor wirkte. Er engagierte sich für Bildung, Medienpolitik und digitale Transformation, warnte früh vor den Herausforderungen der Digitalisierung und setzte sich für ein vereintes Europa ein. Glotz war bekannt für seine Fähigkeit, politische Entwicklungen vorauszusehen und thematisierte früh die Risiken einer digital dominierten Welt sowie die Notwendigkeit europäischer Kooperation.
Hören Sie den Eintrag zu Peter Glotz auch als Hörbuch. (Hörzeit 9:39 Minuten)
Peter Glotz (* 6.3.1939 · † 25.8.2005) wurde 1939 als Sohn eines tschechischen Vaters und einer deutschen Mutter im böhmischen Eger geboren. 1961 trat der Kommunikationswissenschaftler als überzeugter »Godesberger« in die SPD ein, wurde 1970 in den bayerischen Landtag gewählt, 1972 in den Bundestag. Im ersten Kabinett Helmut Schmidts wurde er 1974 unter Minister Helmut Rohde zum Parlamentarischen Staatssekretär ins Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft berufen. 1977 wurde er Wissenschaftssenator in Berlin. 1981 holte ihn der SPD-Vorsitzende Willy Brandt (S. 67-72) als Bundesgeschäftsführer nach Bonn. Aus diesem Amt schied er 1987, nach dem Rücktritt Brandts vom Parteivorsitz, aus. Er blieb bis 1996 Bundestagsabgeordneter, ging dann zurück in die Wissenschaft: Von 1996 bis 1999 war er Gründungsrektor der Universität Erfurt, dann folgte er einem Ruf des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen. Von 1982 bis zu seinem Tod war Glotz Chefredakteur der Zeitschrift »Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte«. Er starb mit 66 Jahren 2005 in St. Gallen.
Wer politische Weggefährten oder journalistische Begleiter nach einer Einschätzung der Leistung Peter Glotz’ befragt, der wird überhäuft mit Beurteilungen wie Vordenker, Schnelldenker, Querdenker. Beschrieben wird seine intellektuelle Kraft, seine Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Entwicklungen vorauszuahnen. All das ist richtig, aber merkwürdigerweise fehlt in den meisten Beurteilungen die andere Seite von Peter Glotz, die seiner langjährigen Arbeit als »erster Diener der Partei«, als Bundesgeschäftsführer der SPD von 1981 bis 1987. In der schwierigen Zeit des Machtverlusts der Regierung Schmidt, den Brüchen des alten Dreiparteiensystems durch das Aufkommen der Grünen, der Neuaufstellung der SPD in der stärker gewordenen Öko- und der bestimmenden Friedensbewegung.
Nicht selten werden diese Jahre als Episode, gar als eine Art Irrweg und Hemmnis im kreativen Schaffen des Kommunikationswissenschaftlers und Kommunikationsgenies, des Bildungswissenschaftlers und -politikers Glotz betrachtet und nicht als die inhaltliche Auffüllung und Aufwertung dieses Amtes durch seine Intellektualität und seinen Ideenreichtum. Dass Glotz das anders als eine Episode sah, darauf deutet eine Bemerkung in seiner Autobiografie »Von Heimat zu Heimat« hin, in der er darauf hinweist, diesen Job länger als alle seine Vorgänger ausgefüllt zu haben. Und bis heute sind seine sechs Jahre in der »Baracke« als Geschäftsführer für Willy Brandt nur getoppt worden von dem Bundesgeschäftsführer und späteren Generalsekretär Franz Müntefering, der auf diesem Posten für die Vorsitzenden Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder arbeitete, bevor er selbst den Parteivorsitz übernahm.
Wer die Jahre des Bundesgeschäftsführers Glotz Revue passieren lässt, wird nicht umhin kommen, sie als eine Epoche – vielleicht die letzte – zu sehen, in der die Volksparteien noch die Debatten der Republik bestimmen oder wenigstens anstoßen konnten. Peter Glotz und Heiner Geissler, sein Gegenüber im Konrad-Adenauer- Haus, konkurrierten um die Themenhoheit in Medien und Öffentlichkeit. Der eine mit intellektueller Schärfe, der andere häufig mit polemischer Provokation.
Glotz verstand sich als einer, der die Partei zu einem Ort kreativen Streits machen wollte. Die Gegner – auch und vor allem die innerparteilichen – müssten ernst genommen werden, war sein Credo. Die Partei kampagnefähig machen, die Besetzung des vorpolitischen Raums nicht vernachlässigen: Das waren für ihn mehr als Wortschöpfungen, mit denen er die SPD auf der Höhe der Zeit halten wollte. Falls das nicht gelinge, so war er schon in den 80er- Jahren sicher, werde die Partei im Zwanzigerturm enden. Eine Weitsicht, die sich leider bestätigt hat.
Richtig ist allerdings auch, dass die Kreativität und Nonkonformität nicht überall in der Partei gewürdigt wurden. Ein wenig war er über die Jahre seiner Geschäftsführung in die Außenseiterrolle, abseits des Stallgeruchs, gedrängt. Eine ihm zugeschriebene Position, die er auch Jahre später noch als ungerechtfertigt betrachtete. Schließlich, so merkte er in seiner Autobiografie an, sei er in dieser Zeit intensiver als irgendein anderer Repräsentant der Partei in den Ortsvereinen an der Basis präsent gewesen.
»Ich lief, ich gebe es zu, in meinen Maßanzügen herum. Ich roch falsch; manche Genossen vermissten ›Stallgeruch‹. Aber ich rufe den heiligen Antonius, zu dem meine Großmutter immer betete, als Zeugen an: Ich verbrachte mein Leben – diesen Teil meines Lebens – mit den Bezirkssekretären, den Bezirksvorsitzenden, den Mandatsträgern und den Unterbezirken. Ich wollte die SPD wieder ›kampagnenfähig‹ machen; sie sollte in der Lage sein, ein Thema aufzuwerfen und vor dem Volk zu vertreten.«
Der Tanker SPD war und wurde aber nie so beweglich, wie ihn Peter Glotz sich gewünscht hätte. Vor allem befürchtete er, die SPD bewege sich zunehmend in der für ihn zu engen Fahrrinne der sozialen Gerechtigkeit und verliere ihre aufklärerische, bürgerrechtliche Tradition aus dem Blick. Schon gar nicht konnte der Tanker SPD Glotz mit der – im positiven Sinne – vorausschauenden Beweglichkeit dienen, die er selbst an den Tag legte. Während die Partei eher auf Sicht fuhr, waren es immer über den Horizont herausreichende Ziele, die er anpeilte.
Als Bildungs- und Wissenschaftspolitiker sprach er sich schon in den 70er-Jahren dafür aus, an Universitäten und Hochschulen einen Raum für Eliten zu schaffen – in der SPD bis weit in die 90er-Jahre ein tabuisiertes Ansinnen. Als Medienpolitiker (Glotz beanspruchte für sich, in der Bundesrepublik als Erster diesen inzwischen etablierten Politikbereich besetzt zu haben), sah er es in den 80er- Jahren – im Gegensatz zu großen Teilen seiner Partei – als Anachronismus an, die private Konkurrenz zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten aufzuhalten.
Und als Netzpolitiker – der Begriff war noch gar nicht geboren – malte er schon Mitte der 90er-Jahre aus, dass die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaften am tief greifendsten die Arbeitswelt verändern werde. Der »digitale Kapitalismus«, so mahnte er 1995 in dem Essay »Die Änderung des Schaltplans« werde die »Zweidrittelgesellschaft« manifestieren und den Ruf nach Vollbeschäftigung für das Verliererdrittel als blindes Versprechen entlarven. Während in Deutschland die Debatte über die Digitalisierung noch harmlos – als lediglich für den Unterhaltungssektor relevant – dahinplätscherte, forderte Glotz regulatorische Eingriffe des Staates für »Datenschutz, Datensicherheit und Urheberrecht« ein. Silicon Valley als Topos der digitalen Machtkonzentration schlummerte noch als Experimentierfeld junger Netzaktivisten vor sich hin, da ahnte Glotz bereits das Entstehen großer virtueller Firmen und forderte in eben diesem Essay, veröffentlicht in dem Sammelband »Gelebte Demokratie«, die politischen Akteure auf, sich dieser Entwicklung anzunehmen, da es nicht sinnvoll sein könne, »die wichtigste Branche des 21. Jahrhunderts einer Handvoll internationaler Großkonzerne auszuliefern« (Glotz 2006 [2000]: 127). Gleichzeitig war ihm klar, dass der einzelne Nationalstaat mit der Bändigung solcher Netzgiganten überfordert sei und diese nur übergreifend, zum Beispiel durch eine vertiefte Zusammenarbeit der EU-Staaten, zu bewerkstelligen sei.
Europa, das war das letzte große Thema, dem das Engagement des aktiven Politikers Glotz galt. Sein Leben lang war es sein Ziel, Deutschland in eine europäische Union einzubinden. Ein Europa, das die gemeinsame Handlungsfähigkeit stärken und für die Bürger transparenter machen müsse, ohne die jeweilige nationale Identität aufzugeben. Ein Europa, so zeichnete er schon 1992 die Konsequenzen aus dem Zerfall Jugoslawiens auf, das sich nicht auf eine »Balkanisierung«, auf die Zerschlagung staatlicher Gebilde einlassen dürfe. Sonst, so schrieb er 1992 in einem Beitrag für die Berliner »taz«, dürfte Europa vor einer Fülle »kleiner Kriege« stehen –
»einer hässlichen Abfolge grausamer ethnischer Konflikte, bei denen immer wieder innerstaatliche Deportationen, Vertreibungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sogar Völkermord vorkommen werden«.
Eine Befürchtung, die vor allem in Osteuropa nach dem Zerfall der Sowjetunion – von Tschetschenien über Georgien bis zur Ukraine – zur traurigen Realität geworden ist. Und wer die jeweilige Propaganda gerade im Ukrainekonflikt verfolgt, kommt nicht umhin, auch die folgende Mahnung von Glotz als allzu gerechtfertigt zu betrachten:
»Die Parteien in diesen Kriegen werden mit systematischen Desinformationen arbeiten; die Zeit der (kleinen) Goebbels und Münzenbergs ist leider nicht vorbei; sie ist 1989 wieder angebrochen«.
In seinem letzten Zeitschriftenbeitrag, wenige Tage vor seinem Tod, schrieb Glotz in »Cicero«, er habe nie eine richtige Heimat gehabt und sei dabei, sich im schweizerischen St. Gallen in seiner siebten Heimat einzunisten. Nicht nur geografisch ist er von Heimat zu Heimat gezogen, auch in seinem beruflichen Schaffen hat er immer wieder neue Heimaten, neue Herausforderungen, neue zu gestaltende Aufgaben gefunden: Peter Glotz, der Parteimensch, der Medienwissenschaftler und vermutlich erste Medienpolitiker der Bundesrepublik, der Hochschullehrer und der unermüdliche Publizist. Peter Glotz, in vielen Themen und an vielen Orten zu Hause. »Wo genau der Ort für Peter Glotz war, von dem aus er etwas in Gang setzen wollte, lässt sich gar nicht bestimmen […]«, schrieb Gunter Hofmann in der »Zeit« zu dessen Tod. Und kommt zu dem Schluss, dass Worte, der unvergleichlich schlagfertige, passgenaue Umgang mit ihnen, sein wahrer, sein fester Wohnsitz waren.
Viele Themen, die Glotz angestoßen hat, sind heute von unverminderter Aktualität. Die These von der Zweidrittelgesellschaft hat nichts an Brisanz verloren. Vor allem aber hat er mit seinen frühen Anmerkungen zur Digitalisierung der Gesellschaft eine Thematik aufgegriffen, die erst jetzt in den Mittelpunkt der politischen Debatte vorgedrungen ist.