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Herta Gotthelf (1902-1963) kämpfte als SPD-Frauensekretärin und Redakteurin für Frauenrechte und Sozialismus. Nach ihrer Flucht vor den Nazis setzte sie ihre politische Arbeit im Londoner Exil fort. In der Nachkriegs-SPD prägte sie maßgeblich die Frauenpolitik und trug zur Durchsetzung der Gleichberechtigung im Grundgesetz bei. Gotthelf sah Gleichberechtigung untrennbar mit Sozialismus verbunden und lehnte überparteiliche Frauenzusammenschlüsse ab. Sie forderte die aktive Unterstützung männlicher Parteimitglieder für geschlechterpolitische Ziele.
Hören Sie den Eintrag zu Herta Gotthelf auch als Hörbuch. (Hörzeit 8:27 Minuten)
Herta Gotthelf (* 6.6.1902 · † 13.5.1963) wurde in Breslau geboren. Über ihre Herkunftsfamilie ist wenig bekannt. Gotthelf war in der sozialistischen Jugendbewegung aktiv und trat mit 18 Jahren in die SPD ein. Nach einer Banklehre in Breslau zog sie nach Köln. 1925 wurde sie Freihörerin an der Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main. Darauf ging sie nach Berlin und wurde in die Arbeit des Parteivorstands der SPD integriert. Nach Ausbildung zur Redakteurin stieg sie zur Mitarbeiterin von Marie Juchacz (MdR, PV, Frauensekretärin) auf und wurde Redakteurin der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift »Genossin«.
Die Machtübergabe an die NSDAP erlebte Gotthelf in Berlin. Als Sozialistin, politische Redakteurin und Jüdin geriet sie bald ins Visier der Staatsmacht. Anfang 1934 floh sie mit ihrem Lebensgefährten nach England. In London angekommen setzte Gotthelf unter komplett veränderten Bedingungen ihre antifaschistische Arbeit fort. Ihr Handeln war auf Deutschland ausgerichtet: Sie hielt Verbindung zu Sozialisten und Sozialistinnen im Deutschen Reich, war Kontaktperson für Kuriere und Flüchtlinge, transferierte Gelder ins Deutsche Reich und organisierte Hilfe für Verfolgte. Sie verstand sich als Teil der sogenannten »Offensive der Wahrheit«, klärte über die Gräuel des NS auf und versuchte, die Briten zur Aktion gegen Nazideutschland zu bewegen. Ihr Lebensgefährte verließ London 1938 Richtung USA. Im gleichen Jahr wurde Gotthelf aus dem Deutschen Reich ausgebürgert und damit staatenlos. Sie blieb in London. Als der Parteivorstand der SPD Ende 1940/Anfang 1941 nach London übersiedelte, war sie wichtige Kontaktperson und gehörte zum engeren Kreis der Exilorganisationen der SPD. Sie war Mitglied des PV-Beirats, der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Großbritannien und der »Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien«. Während des Krieges – und auch danach – konnte sie auf ihre internationalen Kontakte aus der sozialistischen Frauenarbeit vor 1933 und den Anfangsjahren in London zurückgreifen. Mitte 1946 kehrte sie mithilfe ihrer politischen Freunde Erich Ollenhauer und Fritz Heine nach Deutschland zurück. Auf dem ersten Parteitag der SPD 1946 wurde Gotthelf zur zentralen Frauensekretärin der SPD berufen, ein Jahr später in den besoldeten Parteivorstand gewählt, dem sie von 1947 bis 1958 angehörte. Als Nachfolgerin von Marie Juchacz leitete sie die Frauenarbeit der SPD mit der Autorität eines gewählten PV-Mitglieds. Als sie 1958 nicht mehr in den PV gewählt wurde, kam es zu einer inhaltlichen und strukturellen Zäsur in der Frauenarbeit der SPD. Gotthelf blieb Redakteurin der GLEICHHEIT. Mit ihrem Lebensgefährten, der aus den USA zurückkehrte, lebte sie bis zu ihrem Tod 1963 in Bonn. 1965 würdigte die letzte Ausgabe der GLEICHHEIT Herta Gotthelf in einer Reihe mit Emma Ihrer, Clara Zetkin und Marie Juchacz (vgl. o. A. 1965: 230).
Bereits an den Programmberatungen der »Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien« war Gotthelf beteiligt. Auf ihr Bestreben hin verpflichtete sich die Union, die Einschränkungen der Gleichberechtigungsgarantie von Männern und Frauen aus der »Weimarer Verfassung« zu bekämpfen. Auf der Wuppertaler Frauenkonferenz der SPD 1948 und während der Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rates gab Gotthelf wichtige Impulse. Sie verhalf der sozialdemokratischen Juristin Elisabeth Selbert (S. 311-316) zu einem Mandat im Parlamentarischen Rat und organisierte die Kampagne zur Durchsetzung von Art. 3 II GG »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«. Damit schufen Gotthelf und Selbert eine der wichtigsten rechtlichen Grundlagen der bundesrepublikanischen Gesellschaft.
Gotthelf arbeitete Seite an Seite mit den männlichen Parteigenossen. Die Zusammenarbeit mit bürgerlichen und kommunistischen Frauen in den sogenannten überparteilichen Frauenausschüssen lehnte sie ab. Sie sprach den selbst autorisierten Frauenvereinigungen die politische Legitimation ab und warf ihnen vor, den Nationalsozialismus und seine antisemitische Ideologie zu verharmlosen. Auch deren Faschismusanalyse, die die Frauen frei von Schuld sprach, kritisierte sie scharf (vgl. Gille/Meyer-Schoppa 1999: 30 ff.). Gotthelfs Ziel, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern innerund außerhalb der Partei, war auf überparteilichem Weg nicht zu erreichen. Denn Gleichberechtigung ohne Sozialismus war für sie nicht denkbar (vgl. Meyer-Schoppa 2004: 267 ff.).
Zwölf Jahre leitete Herta Gotthelf die Frauenarbeit der SPD. Sie organisierte nationale und internationale Frauenkonferenzen, vertrat frauenpolitische Positionen im Parteivorstand, unterstützte sozialdemokratische Funktionärinnen und Mandatsträgerinnen und führte Wahlkämpfe. 1947–1963 gab Gotthelf im Auftrag des Parteivorstands die GENOSSIN heraus, ab 1950 umbenannt in GLEICHHEIT. Die sozialdemokratische Frauenzeitschrift war Schulungsorgan, Diskussionsforum und Spiegel der Arbeit. Gotthelf verfasste unzählige Leitartikel und Debattenbeiträge. Vielfach erinnerte sie in der Zeitschrift an sozialistische »Vorkämpferinnen«. 1958 erschien der von ihr vorbereitete biografische Band »Frauen machen Politik«.
Als Mitglied des besoldeten Parteivorstands war sie eine gewichtige Stimme auf den Parteitagen und lange Jahre meinungsbildend. Vielfach bedrängte Gotthelf mithilfe der sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages die CDU-geführten Regierungen, als diese die Durchführung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in den 1950er-Jahren verschleppten. Sie bereitete damit die durchgreifenden Gesetzesänderungen der sozialliberalen Koalition Ende der 1960erund in den 1970er-Jahren vor, die das Leitmodell der »Hausfrauenehe« durch das Partnerschaftsmodell ersetzten (gemeinsames Entscheidungsrecht statt Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes, keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenverteilung mehr, freie Wahl eines Familiennamens bei der Heirat, Zerrüttungs- statt Schuldprinzip bei Ehescheidungen, gerechtes Scheidungsfolgenrecht ...).
Gotthelf zwang die SPD dazu, sich zu den großen Fragen der Geschlechtergerechtigkeit zu positionieren. Sie legte großen Wert darauf, dass die sozialdemokratische Frauenpolitik von Frauen und Männern getragen wurde. Im Fachausschuss für Frauenfragen beim Parteivorstand der SPD, den Gotthelf leitete, waren daher von Anfang an auch Männer vertreten. Allerdings ließ in der Gesamtpartei die aktive Unterstützung durch männliche Sozialdemokraten aus Sicht Gotthelfs häufig zu wünschen übrig. Das Interesse an der Veränderung überkommener Geschlechterhierarchien war bei den Männern doch wesentlich geringer ausgeprägt als bei den Frauen innerhalb der SPD. Darin unterscheidet sich die Situation der 1950er-Jahre kaum von der heutigen. Die noch ausstehende, vertiefte Auseinandersetzung mit Herta Gotthelfs Positionen könnte geschlechterpolitische Traditionslinien und Brüche aufzeigen, die sowohl das Verständnis der SPD für die eigene Parteigeschichte als auch die geschlechterpolitische Arbeit von heute befördern würden.