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Gert von Eynern (1902-1987) war ein deutscher Politikwissenschaftler und Wirtschaftsexperte, der die „Politische Wirtschaftslehre“ prägte und die Beziehungen zwischen Wirtschaftssystemen und politischer Macht untersuchte. Er wandte sich gegen die Vorstellung einer machtfreien Wirtschaft und betonte die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe zur Sicherung des Wettbewerbs und zur Demokratisierung der Wirtschaft. Von Eynern setzte sich für die gemeinwirtschaftliche Bindung ein, um negative Auswirkungen privater Unternehmertätigkeit zu minimieren, und war ein Verfechter der sozialen Marktwirtschaft. Seine Arbeiten zur Rolle von Zentralbanken und zur Notwendigkeit der öffentlichen Kontrolle großer Wirtschaftsakteure sind auch heute noch von Relevanz.
Hören Sie den Eintrag zu Gert von Eynern auch als Hörbuch. (Hörzeit 9:39 Minuten)
Ein Weggefährte beschreibt Gert von Eynern als »freiheitlichen Sozialisten«, der sich ausgezeichnet habe durch seine »aufrechte und unbestechliche Haltung« und sein »warmes Herz, vor allem für all jene Menschen und Völker, die noch unfrei und unterdrückt sind« (Böhret 1977: 9).
Gert von Eynern (* 29.12.1902 · † 17.9.1987), Spross einer Wuppertaler Kaufmannsfamilie, studierte Volkswirtschaftslehre in München, Freiburg und Bonn, u. a. bei Eduard Heimann und Joseph Schumpeter, 1927 folgte die Promotion. Es schlossen sich Tätigkeiten am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, beim »Magazin der Wirtschaft« und im Statistischen Reichsamt an. Unter dem Nationalsozialismus erlitt von Eynerns Karriere einen Dämpfer; 1936 bis 1945 arbeitete er in der Überwachungsstelle für Lederwirtschaft.
Gegen Kriegsende im illegalen »Planwirtschaftlichen Arbeitskreis « mit Konzepten für ein sozialistisches Nachkriegsdeutschland beschäftigt, übernahm er 1946 nach kurzer Tätigkeit in der Berliner Verwaltung die Wirtschaftsredaktion des »Telegraf«. 1948 hatte er maßgeblichen Anteil an der Wiedergründung der »Deutschen Hochschule für Politik«, später als Otto-Suhr-Institut in die Freie Universität Berlin integriert. Hier entwickelte er sich vom Nationalökonomen zum Politikwissenschaftler, wobei er »[d]as breite Spektrum seiner in vielen Bereichen erworbenen Erfahrungen […] wissenschaftlich verarbeiten und in die junge Disziplin ›Politologie‹ transferieren« konnte (ebd.: 9 f.). Als Begründer der »Politischen Wirtschaftslehre« beschäftigte sich Gert von Eynern mit der Interdependenz von Regierungssystem und Wirtschaftssystem. Besonders in der Lehre scheute er sich nicht davor, »heiße Eisen anzupacken « (vgl. ebd.: 11).
Mehrfach war er Geschäftsführender Direktor des Otto-Suhr- Instituts, des Weiteren Gründungsmitglied und von 1953 bis 1959 Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, Mitbegründer der »Politischen Vierteljahresschrift« sowie Mitglied des wirtschaftspolitischen Ausschusses beim SPD-Parteivorstand. In Letzterem sah von Eynern mitnichten ein Problem für seine professionelles Selbstverständnis: »Wissenschaftliche Redlichkeit erfordert es nicht, Werturteile zu vermeiden, sondern sich zu ihnen zu bekennen« (von Eynern 1972: 200). Böhret (1977: 9) führt von Eynerns starke Wirkung folgerichtig nicht zuletzt darauf zurück, »daß er ein Beispiel gibt für politisches Engagement, dessen Voraussetzungen kritisch durchdacht sind und das wissenschaftliche Objektivität daher nicht hindert.«
Thema seiner Dissertationsschrift war die Reichsbank, seine weiteren Publikationen befassten sich u. a. mit wirtschaftlicher Macht und der öffentlichen Bindung von Unternehmen. Er legte ein Lehrbuch »Grundriß der Politischen Wirtschaftslehre« vor und gab ein »Wörterbuch zur politischen Ökonomie« mit heraus.
Im »Vorschlag eines wirtschafts-politischen Wahl-Programms« unter dem Titel »Was will der moderne Sozialismus?« postulierte von Eynern 1948:
»[N]achdem die revolutionäre Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit verpaßt ist, tut nicht ein Ausreifen des Kapitalismus not, sondern seine Umformung und Entschärfung […]. In das kapitalistische System sind so viel sozialistische Elemente einzubauen wie nur irgend möglich.« (von Eynern 1948: 6)
Zu diesem Zeitpunkt forderte er noch die Sozialisierung starker wirtschaftlicher Machtpositionen wie Bergbau, Eisenindustrie, Banken und Versicherungen, dazu einen möglichst umfassenden Lastenausgleich, eine radikale Bodenreform, eine Beschränkung der Spitzengehälter, billige Massenkonsumgüter und Planwirtschaft. Im Steuerrecht sprach er sich für den Abbau von Umsatz- und Verbrauchssteuern, eine stark gestaffelte Einkommenssteuer sowie hohe Erbschafts- und Vermögenssteuern aus. Zu letzterem Aspekt schrieb er vier Jahre später in »Die wirtschaftliche Macht«:
»Die heutige Verteilung des Vermögens […] ist selbst weitgehend die Folge einer früheren Vermögenverteilung. […] Vielleicht kann man es noch als naturgegeben schweigend dulden, daß einer Frau mit Marlene-Dietrich-Beinen eine glänzende Laufbahn beim Film offensteht […]. Aber daß der mittelbegabte Erbe eines Millionenvermögens ein mächtiger Mann in der Wirtschaft wird, ist keineswegs von der Natur gegeben, sondern ist von den Menschen organisiert.« (von Eynern 1952: 21)
Von Eynern zeigte sich für die Marktwirtschaft zunehmend aufgeschlossen, zog aber den Terminus »Wettbewerbswirtschaft« vor: »Die Bezeichnung ›Marktwirtschaft‹ ist eigentlich nicht gut; denn diesem Typ fremde, ja feindliche Elemente, nämlich Monopole und Oligopole, sind ebenfalls Erscheinungen des ›Marktes‹.« (ders. 1972: 67) Die verbreitete »Vorstellung, das Wettbewerbsleben bewirke automatisch eine natürliche machtfreie Harmonie« sei allerdings »ein idyllischer Traum«. Die Wirtschaft sei vielmehr essenziell von Macht erfüllt:
»Will man die Vorteile des Wettbewerbssystems benutzen, so muß also der Staat eingreifen […]. Er muss mit seiner politischen Macht die Marktmacht der Unternehmer bekämpfen. Das System des Wettbewerbs ist mithin keineswegs etwas ›natürliches‹, es ist vielmehr eine Veranstaltung des Staates. […] Der Wettbewerbswirtschaft entspricht also nicht die politische Form der Anarchie, sondern die der Demokratie.« (ders. 1952: 12)
Als potenziell »elegantes und wirksames wirtschaftspolitisches Instrument« (ders. 1975: 46), um im Rahmen einer grundsätzlich kapitalistischen Wirtschaftsordnung »gesamtwirtschaftlich bedenkliche Folgen einer hemmungslosen privaten Unternehmertätigkeit zu vermeiden« (ebd.: 5), bezeichnete von Eynern die »öffentliche« oder »gemeinwirtschaftliche Bindung« bestimmter Wirtschaftszweige. In diesem Mittel sah er eine aus liberaler Sicht harmlosere und somit leichter durchsetzbare ordnungspolitische Alternative zur Verstaatlichung (vgl. ders. 1958: 12).
Unter »öffentlicher« oder »gemeinwirtschaftlicher Bindung« verstand von Eynern den Erlass besonderer hoheitlicher Vorschriften für die wirtschaftliche Tätigkeit der in den betroffenen Zweigen tätigen Unternehmen und deren dauerhafte Beaufsichtigung durch eine hierzu bestimmte Kontrollstelle (Behörde, Kommission). Als gemeinwirtschaftliche Ziele der Bindung nennt von Eynern den Schutz der Kunden vor Ausbeutung durch ihnen übermächtige Unternehmen (Monopole, starre Nachfrage nach lebenswichtigen Gütern, für Kunden schwer verständliche Geschäftsfelder) sowie vor schweren Schäden im Falle des Zusammenbrechens etwa von Banken oder Versicherungen, sozialpolitische Ziele wie die Erzwingung von Sondertarifen für sozial Schwache, die Vermeidung volkswirtschaftlicher Ineffi zienzen beim Ausbau von Infrastrukturnetzen, die Verhinderung von Machtmissbrauch durch Schlüsselindustrien sowie die gesamtwirtschaftliche Stabilität. Von Eynern warnte vor den zu erwartenden Bestrebungen der Unternehmen, »die Kontrolleure unter die Kontrolle der zu Kontrollierenden zu bringen« (ebd.: 54). Bei der »öffentlichen Bindung« war er seiner Zunft weit voraus, hatte er doch
»die wirtschaftspolitische und wirtschaftstheoretische Bedeutung des Instruments […] erkannt und die politikwissenschaftlichen Aspekte des Problems ausgelotet, bevor der breite Strom der Wirtschaftslehre sich des Themas überhaupt annahm« (Thiemeyer 1983: 18).
Ein weiteres Thema von Eynerns waren Zentralbanken. Seine Promotionsschrift hatte der Reichsbank gegolten. Im Zuge der Umwandlung der Bank deutscher Länder zur Bundesbank lehnte er deren Unabhängigkeit ab und forderte – im Sinne einer öffentlichen Bindung – eine beschränkte Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers auch im Bereich der Kredit- und Währungspolitik (von Eynern 1957: 28 f.). Später monierte er die Intransparenz der Entscheidungsprozesse der Bundesbank (ders. 1977: 56).
»Wenngleich der Begriff heute kaum noch verwendet wird, ist der Geist der gemeinwirtschaftlichen Bindung von Unternehmen und Wirtschaftszweigen, in denen mangelnde Aufsicht gesellschaftlich schädliche Ergebnisse hervorbringen könnte, auch heute noch lebendig.« (Engelhard 2010: 83 f.)
Er manifestiert sich im Bestehen entsprechender Kontrollbehörden wie der Bundesfinanzaufsicht oder der Bundesnetzagentur. Dass öffentliche Kontrolle machtvoller Wirtschaftsakteure nottut, hat die jüngste Wirtschafts- und Finanzmarkkrise noch einmal unmissverständlich aufgezeigt.