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Hören Sie das achte Kapitel auch als Hörbuch. (Hörzeit 7:17 Minuten)
Hochöfen, Bergwerke, Spinnereien und Chemiefabriken – die Orte, an denen die sozialistische Bewegung ihre Anhängerinnen und Anhänger fand, waren häufig Zentren der industriellen Produktion. Die Parteien des demokratischen Sozialismus wurden oft als Arbeiterpartei verstanden. Den Tatsachen entsprach so ein enges Label nie. Es waren immer unterschiedliche Gruppen, die die Parteien getragen haben. In ihren Anfängen waren neben der breiten Basis der Arbeiter z. B. auch Handwerker wichtig. Es stimmt aber, dass zahlreiche Forderungen sich zunächst auf die Arbeiter und Arbeiterinnen bezogen. Zugleich war damit immer ein universeller Anspruch verbunden. Es ging nicht darum, neue Privilegien nur für eine Gruppe in der Gesellschaft zu erkämpfen, sondern Freiheitsspielräume für möglichst alle zu erreichen.
Zu dem industriellen Kapitalismus, der die Entstehung der sozialistischen Ideen und Gruppen so sehr prägte, bestand ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits war dort Ausbeutung allgegenwärtig und die Arbeitsbedingungen waren hart. Andererseits lieferten die Arbeitsplätze dort auch Lohn und Brot, und die Arbeiterbewegung war lebensweltlich eng verbunden mit dieser Form der Arbeit. Wenn heute auf Parteitagen Lieder aus dem Bergbau gesungen werden, werden die Spuren dieser Verbindung besonders sichtbar. Umso erstaunlicher ist, dass es schon in den Anfängen der sozialistischen Bewegung einzelne Stimmen gab, die die Auswirkungen industrieller Produktion auf die Natur anprangerten.
Richtig Fahrt nahm die Debatte nach der Veröffentlichung des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums (1972) auf. In einem bemerkenswerten Buch diskutierte Erhard Eppler (1975) die planetaren Grenzen des Wirtschaftswachstums. Er fragte, ob wir zu einer grundlegenden Wende in der Lage sind oder ob wir dem existenziellen Ende des Menschen auf diesem Planeten entgegensehen. Es war auch Eppler, der schon einige Jahre zuvor die Gleichsetzung von ständigem Wachstum und Fortschritt ablehnte. Ausgerechnet auf einer Tagung der IG Metall hielt er ein aufsehenerregendes Referat unter dem Titel Die Qualität des Lebens (1972). Ein ständiges Weiterwachsen der Wirtschaften in den Industrieländern sei, so Eppler, schon damals nicht mehr möglich. Unser Planet gibt das schlicht nicht mehr her. Aber: Es ist auch gar nicht nötig. Denn für die Qualität des Lebens oder gar das Glück des Einzelnen ist rein quantitatives Wachstum zumindest ab einer gewissen Wohlstandsschwelle nicht entscheidend. Materielle Sicherheit ist gewiss eine entscheidende Bedingung für ein gutes Leben. Sozialdemokratische Parteien müssen sich für diese Sicherheit einsetzen. Aber es braucht neue Maßstäbe jenseits des BIP-Wachstums, um mehr Lebensqualität zu erreichen.
Die Auseinandersetzung darüber ist bis heute nicht abgeschlossen. Es gab seit dem unzählige Kommissionen, Tagungen und Initiativen, um jenseits des rein quantitativen Wirtschaftswachstums Messgrößen für den Fortschritt in unseren Gesellschaften zu entwickeln. Über Zeitreichtum, Glück oder ein Leben im Einklang mit der Natur wurde gesprochen. Vom Thron gestoßen wurde das BIP aber noch nicht.
Was kann der demokratische Sozialismus zur Bewältigung der Klimakrise beitragen? Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst verstehen, dass die Klimakrise eng verbunden ist mit der Art und Weise, wie wir wirtschaften. Niclas Stern, der für die britische Regierung einen Bericht (Stern, 2006) zu den Kosten des Klimawandels verfasst hat, hat es auf den Punkt gebracht: „Climate change is a result of the greatest market failure the world has seen.“ (Stern, 2007) Der Klimawandel sei deshalb das Ergebnis von Marktversagen, weil diejenigen, die treibhausschädliche Emissionen verursachen in der Regel nicht diejenigen seien, die die damit verbundenen Kosten tragen würden.
Noch grundsätzlicher formuliert es die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser: „Die kapitalistische Wirtschaft ist systematisch darauf ausgerichtet, von einer Natur zu profitieren, die sich nicht wirklich unbegrenzt selbst erneuern kann, und steht deshalb immer kurz davor, ihre eigenen ökologischen Bedingungen der Möglichkeit zu destabilisieren.“ (Fraser, 2023: 142) Wer den dramatischen Entwicklungen des Planeten etwas entgegensetzen will, muss sich also auch mit der dort dominanten Wirtschaftsform auseinandersetzen.
Die ständige Steigerungslogik des Kapitalismus stößt also an harte, planetare Grenzen. Endloses Wachstum ist auf einem begrenzten Planeten nicht möglich. Spätestens an dieser Stelle kommt der demokratische Sozialismus wieder ins Spiel. Denn diese Bewegung hat sich ja seit ihrer Entstehung mit der Frage befasst, wie man den Kapitalismus so gestalten und einbetten kann, dass er den Menschen dient und nicht zerstörerisch wirkt. Nicht allein die Frage der Ausbeutung des Menschen steht nun im Vordergrund, sondern auch die der Ausbeutung der Natur.
Kein Wunder also, dass sich in den 1980ern eine Strömung im demokratischen Sozialismus intensiv mit Fragen der Ökologie befasste. Ossip Flechtheim, Fritz Vilmar, Klaus-Jürgen Scherer und andere forderten, dass der demokratische Sozialismus zu einem Ökosozialismus werden müsse (Scherer/Vilmar, 1983). Es ginge nun, so formulierten es die Ökosozialisten, nicht mehr nur darum, die Welt zu verändern, sondern darum, sie zu erhalten. Und zugleich würde ein ökologischer Umbau der Gesellschaften nicht ausreichend Unterstützung finden, wenn er nicht auch die soziale Frage in den Blick nimmt. Heute, nachdem die Welt vier Jahrzehnte weiter an gefährliche, klimatische Kipppunkte herangerückt ist, gibt es eine Renaissance der ökosozialistischen Ideen (exemplarisch: Dörre, 2021).
Nancy Fraser nennt deshalb gleich drei Prioritäten für diejenigen, die sich heute Sozialisten nennen: „Sie müssen die Pflege der Menschen, den Schutz der Natur und die demokratische Selbstverwaltung als höchste gesellschaftliche Prioritäten einführen, die wichtiger sind als Effizienz und Wachstum.“ (Fraser, 2023: 243)
Erhard Eppler konnte nur ahnen, wie aktuell seine Forderungen nach wie vor sind: Es geht nicht um industriell erzeugten, materiellen Wohlstand oder um dessen Vervielfältigung. Es geht nicht um immer größere Autos auf immer breiteren Straßen, nicht um immer aufwendigere Verpackungen für immer fragwürdigere Konsumgüter. Es kann nur da um Wachstum gehen, wo es wirklich die Lebensqualität der Menschen steigert. Angesichts der Klimakrise muss man ergänzen: Es kann nur das Wachsen, was unsere Lebensgrundlagen als Menschen auf diesem Planeten sichert. Damit hat Eppler geholfen, dass die alten Parteien der Arbeiterbewegung, die eng verbunden waren mit der Industrialisierung, ein Fortschrittsverständnis für die postindustrielle Ära entwickeln konnten.
Prof. Dr. Christian Krell (1977) lehrt Politikwissenschaften und Soziologie. Er hat zur Europapolitik sozialdemokratischer Parteien promoviert und war von 2006 bis 2018 Angestellter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort leitete er die Akademie für Soziale Demokratie und das Büro für die Skandinavischen Länder in Stockholm. Von 2018 bis 2021 war er Professor für Staatsrecht und Politik an der Hochschule des Bundes, seit 2021 ist er an der HSPV NRW. Die Zeitschrift Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte wird von Krell mitherausgegeben, und er ist Honorarprofessor der Rheinischen Wilhelms-Universität Bonn.