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Hören Sie das fünfte Kapitel auch als Hörbuch. (Hörzeit 5:47 Minuten)
Die Weimarer Republik (1918–1933) war die erste Demokratie in Deutschland. In ihr kam die Sozialdemokratie erstmals zu Regierungsverantwortung. Für die Debatte darum, was eigentlich demokratischer Sozialismus sein könnte und was das im konkreten Leben eines Menschen bedeute, waren die 1920er eine fruchtbare Zeit. Viele Ideen, die zum Teil erst Jahrzehnte später ihre Wirkmacht entfalten konnten, wurden in dieser Phase durchdacht.
Hermann Heller (1891–1933) war ein junger Staatsrechtler in der Weimarer Republik. Er gehörte zu den wenigen Vertretern seiner Zunft, die unzweifelhaft für die Demokratie eintraten und die neue Republik bejahten (Scholle, 2023). Und mehr noch: Ihm ging es darum, die Demokratie auszubauen und weiterzudenken. Entscheidend für ihn war dabei die Idee eines «sozialen Rechtsstaates». Mit dieser Idee verband Heller die Ausdehnung des Rechtsstaatsgedankens auf die Arbeits- und Wirtschaftsordnung, die «rechtsstaatliche Vergesetzlichung der Wirtschaft» (Heller, 1971: 461). Das meint, dass sich die demokratischen Rechte nicht nur auf politische Beteiligung erstrecken sollten – zum Beispiel Wahlfreiheit oder Meinungsfreiheit – sondern dass auch die wirtschaftlichen Verhältnisse durch demokratische Spielregeln beeinflusst werden sollten – zum Beispiel durch eine Sozialbindung des Eigentums.
Ob die Produktionsmittel vergesellschaftet werden müssen oder nicht, diese Frage verlor an Bedeutung angesichts der Idee, dass man mit einem demokratischen Verfassungsstaat die Regeln für die Wirtschaft so gestalten kann, dass Ausbeutung überwunden würde. Mithilfe des demokratischen Staates – zum Beispiel durch Arbeitsrecht, durch Wettbewerbsrecht, durch Mitbestimmung, durch Steuerrecht, durch Tarifrecht – könne die Wirtschaftsordnung so gestaltet werden, dass nicht nur einige wenige, sondern viele in der Gesellschaft von ihrem wirtschaftlichen Erfolgen profitieren.
Damit veränderte sich auch der Blick auf den Staat. Sahen die Frühsozialisten oder auch Marx und Engels im Staat vor allem ein Herrschaftsinstrument der Mächtigen, wurde nun in einem demokratischen Staat die Chance zur Verwirklichung sozialistischer Ideen gesehen. Nicht mehr Unterdrückung von Meinungen durch den Repressionsstaat, sondern Garantie der Meinungsfreiheit durch den Staat – um nur ein Beispiel zu nennen. Heller brachte es auf den Punkt: «Sozialismus ist nicht Aufhebung, sondern Veredelung des Staates.» (Heller in Krell, 2015: 145)
Die Kritik an sozialer Ungleichheit blieb. Denn eine wirklich gleichberechtigte Demokratie, in der alle die Chance haben, die gemeinsamen Angelegenheiten in gleichem Umfang zu beeinflussen, die braucht auch in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eine Begegnung auf Augenhöhe. Sonst werden die Reichen ihr Geld auch zu politischem Einfluss ummünzen können, während die Armen im täglichen Überlebenskampf keine Kraft mehr für demokratische Mitbestimmung finden. Heller forderte deshalb eine Soziale Demokratie, in der neben den politischen Rechten auch soziale und wirtschaftliche Rechte – wie das Recht auf Arbeit oder gesundheitliche Versorgung – als einklagbare Rechte für jeden garantiert werden. Die Begriffe Sozialismus und Soziale Demokratie hatten deshalb für Heller die gleiche Bedeutung.
Spätestens hier müssen wir die Frage in den Blick nehmen, um was es denn jetzt eigentlich geht: Demokratischer Sozialismus oder Soziale Demokratie. Beide Begriffe gehen zurück bis in 19. Jahrhundert. Das Wort von den «Sozial-Demokraten» kommt aus der 1848er-Revolution. Seit 1890 führte die SPD den Namen «Sozialdemokratische Partei Deutschlands». In den 1920er-Jahren wurde es für die demokratische Arbeiterbewegung immer wichtiger, sich von antidemokratischen Tendenzen abzugrenzen. Die totalitären Regime, die im Osten Europas und in anderen Teilen der Welt versuchten, mit Marx und Engels Unterdrückung und Unfreiheit zu rechtfertigen, brachten auch diejenigen in Misskredit, die für die freiheitlichen und emanzipatorischen Ideen des demokratischen Sozialismus einstanden. Oft genug wurde die sprachliche Nähe im politischen Wettbewerb missbraucht, wie Willy Brandt (1913–1992) schrieb: «Das Bekenntnis zu einem Demokratischen Sozialismus [ist für Sozialdemokraten, CK] selbstverständlich und bedürfte keiner besonderen Erläuterung, wenn nicht durch die politischen Gegner immer wieder Begriffsverwirrungen gestiftet worden wäre.» (Brandt, 1986: 120)
Die Situation spitzte sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1990 zu. Sozialismus klang nun ungefähr so attraktiv wie Honeckers Cordhüte. In der politischen Kommunikation verzichteten Parteien wie die SPD oder auch die britische Labour Party zunehmend auf ein offensives Zurschaustellen des Begriffs «Demokratischer Sozialismus». Zu groß schien die Notwendigkeit, immer erst klarzustellen, was nicht gemeint ist, bevor man für die eigentlichen Ziele werben konnte. In der politischen Substanz sind die Unterschiede zwischen beiden Begriffen ehedem schwer auszumachen. Es geht um eine Gesellschaft, in der Menschen frei, gleich und selbstbestimmt leben können und um eine Politik, die die Voraussetzungen dafür schafft.
Prof. Dr. Christian Krell (1977) lehrt Politikwissenschaften und Soziologie. Er hat zur Europapolitik sozialdemokratischer Parteien promoviert und war von 2006 bis 2018 Angestellter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort leitete er die Akademie für Soziale Demokratie und das Büro für die Skandinavischen Länder in Stockholm. Von 2018 bis 2021 war er Professor für Staatsrecht und Politik an der Hochschule des Bundes, seit 2021 ist er an der HSPV NRW. Die Zeitschrift Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte wird von Krell mitherausgegeben, und er ist Honorarprofessor der Rheinischen Wilhelms-Universität Bonn.