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Kapitel 3: Frauenwahlrecht! Wie Rosa Luxemburg für die Emanzipation einstand

Am Ende ist es ganz einfach: Es geht darum, ein Mensch zu sein. Und zwar, ohne dass andere einem einen Stempel aufdrücken, wer und wie man zu sein hat. Christian Krell

Hörbuch

Hören Sie das dritte Kapitel auch als Hörbuch. (Hörzeit 4:20 Minuten)


Wenn alle Menschen frei und gleich leben, dann bedeutet das auch, dass Männern und Frauen gleiche Rechte zustehen und dass Menschen aller Geschlechter die gleichen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Die gesellschaftliche Realität war und ist davon freilich weit entfernt. Im 19. Jahrhundert war etwa die Vorstellung populär, dass Frauen alleine aufgrund ihrer körperlichen Beschaffenheit nicht rational denken und deshalb auch nicht wählen sollten.

Die Emanzipation der Frauen und das gleichberechtigte Miteinander der Geschlechter gehören zu den Kernbausteinen des demokratischen Sozialismus. Weitreichende Forderungen dazu finden sich bereits in den Schriften der Frühsozialisten. Für Charles Fourier (1772–1837) war der Stand der Emanzipation der Frauen ein Gradmesser für den gesellschaftlichen Fortschritt. Und der langjährige Vorsitzende der SPD, August Bebel (1840–1913), schrieb das wahrscheinlich auflagenstärkste Buch in der Geschichte der demokratischen deutschen Arbeiterbewegung ausgerechnet zur Frage der Emanzipation: Die Frau und der Sozialismus (1879) wurde allein bis 1913 53 Mal aufgelegt und entwickelte sich zu einem „realutopischen Kult- und Kursbuch der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in ganz Europa“ (Grebing, 2015: 56).

„Her mit dem Frauenwahlrecht!“ – unmissverständlich brachte Rosa Luxemburg (1871–1919) ihre Forderung beim II. sozialdemokratischen Frauentag 1912 auf den Punkt. Sie war wahrscheinlich nicht die bekannteste Vertreterin der Frauenbewegung zu dieser Zeit. Ihre Schriften und Reden befassten sich mit Ideen zu einer sozialistischen Demokratie, und sie bekämpfte leidenschaftlich den Nationalismus. Aber dass mit ihr eine Frau über Jahrzehnte hinweg zur Spitze der SPD gehörte, das hatte auch eine hohe symbolische Wirkung. In einer Zeit, in der die Vorstellung vorherrschte, dass Frauen sich um Kinder, Küche und Kirche zu kümmern haben und aufgrund ihrer vermeintlichen Emotionalität gar nicht in der Lage seien, politisch zu denken, war sie der Prototyp einer modernen Spitzenpolitikerin.

Kein Wunder also, dass die Parteien des demokratischen Sozialismus in ihrer Programmatik und Praxis Fragen der Gleichberechtigung aufnahmen. Im Erfurter Programm der SPD (1891) wurde das aktive und passive Frauenwahlrecht gefordert. 1918 war es in Deutschland endlich so weit. Als 1948 das Grundgesetz beraten wurde, war aber immer noch umstritten, ob die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ so ins Grundgesetz aufgenommen werden sollte. In den Beratungen um ein neues Grundgesetz orientierte man sich zuerst an der Formulierung aus der Weimarer Reichsverfassung. Dort hieß es: „Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten.“ Es brauchte mit Elisabeth Selbert eine engagierte Sozialdemokratin, um die viel weitergehende Formulierung nach der tatsächlichen Gleichheit von Mann und Frau in allen Bereichen durchzusetzen.

Auch modernere Konzepte des Feminismus nehmen immer wieder Bezug zu Ideen des demokratischen Sozialismus. Die „vielleicht wichtigste Stichwortgeberin des modernen Feminismus“ (Misik, 2015: 94), Simone de Beauvoir (1908–1986), stand sozialistischen Ideen nahe. Die von ihr gegründete Widerstandsgruppe gegen die nationalsozialistische Besatzung Frankreichs trug den Namen Socialisme et Liberté. Ihre ebenso eindrucksvolle wie klare Feststellung war folgenreich: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (Beauvoir, 1951: 265)

Am Ende ist es ganz einfach: Es geht darum, ein Mensch zu sein. Und zwar, ohne dass andere einem einen Stempel aufdrücken, wer und wie man zu sein hat.


Über den Autor

Prof. Dr. Christian Krell (1977) lehrt Politikwissenschaften und Soziologie. Er hat zur Europapolitik sozialdemokratischer Parteien promoviert und war von 2006 bis 2018 Angestellter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort leitete er die Akademie für Soziale Demokratie und das Büro für die Skandinavischen Länder in Stockholm. Von 2018 bis 2021 war er Professor für Staatsrecht und Politik an der Hochschule des Bundes, seit 2021 ist er an der HSPV NRW. Die Zeitschrift Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte wird von Krell mitherausgegeben, und er ist Honorarprofessor der Rheinischen Wilhelms-Universität Bonn.


Werk

  • Krell, C. (2024). Eine Idee für morgen: Über die Aktualität des Demokratischen Sozialismus. Schuren.
    ISBN 978-3-7410-0288-5.

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