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Unser Menschenrechtspreis 2025 geht an International Detention Coalition. Zeit, gängige Mythen über Haftpraktiken im Migrationskontext zu entlarven und Alternativen aufzuzeigen!
Wir zeichnen mit unserem Menschenrechtspreis 2025 International Detention Coalition (IDC) aus. IDC setzt sich weltweit dafür ein, Haftpraktiken zu verbessern oder diese gänzlich abzuschaffen. Durch Forschung, Vernetzung und Lobbyarbeit trägt IDC dazu bei, dass humanere Alternativen zum Einsatz kommen. Auch das Hinterfragen gängiger Narrative und damit die öffentliche Wahrnehmung auf das Thema sind Teil ihrer Arbeit.
Geschichten sind wirkmächtig. Die Geschichten, die wir uns als Individuen, Gesellschaften und Kulturen erzählen, prägen unsere Sicht auf die Welt. Sobald diese Geschichten in den öffentlichen Diskurs Eingang finden, entwickeln sie ein Eigenleben – sie beeinflussen politische Entscheidungen und wirken sich unmittelbar auf das Leben der Menschen aus.
Umso wichtiger ist es, gängige Narrative zu hinterfragen und dafür zu sorgen, dass politische Entscheidungen faktenbasiert getroffen werden. In besonderer Weise gilt das für das kontroverse, politisierte und grundlegend missverstandene Thema Migrationshaft (immigration detention).
Migrationshaft bedeutet, dass Menschen inhaftiert, festgehalten oder anderweitig in ihrer Freiheit beschränkt werden, während sie auf eine Entscheidung über ihr Bleibe- oder Aufenthaltsrecht in einem Land warten oder bis ihre Abschiebung erfolgt. Diese Praxis wird weltweit in zahlreichen Ländern angewendet, betrifft eine Vielzahl von Menschen und wird oft als notwendiges Übel zur Steuerung der Migration dargestellt – wobei letzteres nur einer von vielen Mythen ist, die sich um das Thema ranken.
Es ist höchste Zeit, mit den falschen Vorstellungen aufzuräumen und in den Blick zu nehmen, was Migrationshaft wirklich bedeutet.
Niemand weiß genau, wie viele Menschen weltweit in Migrationshaft sind, denn wir bewegen uns hier in einem intransparenten Politikbereich, über den es keine zuverlässigen Daten gibt. Viele Regierungen halten Zahlen unter Verschluss, sodass keine exakten Statistiken erstellt werden können. Fest steht jedoch: Die Zahl der gegenwärtig von Migrationshaft betroffenen Menschen ist hoch, und jedes Jahr sind Millionen weitere von ihr bedroht.
Hinzu kommt, dass nicht nur die Inhaftierten selbst betroffen sind. Auch für ihre Familien und Gemeinschaften hat sie gravierende Folgen, denn sie verlieren Eltern, Kinder, Versorger_innen und Freund_innen.
Die weit verbreitete Annahme, Migrationshaft sei eine Strafmaßnahme für Gesetzesverstöße, ist in der Regel unzutreffend. Vielmehr ist ein Großteil der Betroffenen in die komplexen Abläufe der Einwanderungsverfahren geraten.
In den meisten Ländern gibt es für Menschen in Migrationshaft tatsächlich weniger Rechte und Schutzmechanismen als für Menschen in Strafhaft. Sie haben keinen Zugang zu rechtlicher Vertretung, bekommen kein Gerichtsverfahren und wissen nicht, wann sie freikommen.
Dass Kinder in Migrationshaft genommen werden, ist bittere Realität.
Jährlich werden Tausende Kinder inhaftiert – ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht einschliesslich der internationalen Menschenrechtsnormen und internationale Kinderschutzstandards. Nach diesen Standards verletzt Haft im Migrationskontext die Menschenrechte von Kindern und liegt niemals im besten Interesse des Kindes. Häufig werden Kinder von ihren Eltern und Gemeinschaften getrennt und unter äußerst belastenden Bedingungen Bedingungen festgehalten. Von International Detention Coalition (IDC) durchgeführte Studien belegen die verheerenden Auswirkungen von Haft auf das Kindeswohl.
Manche Betroffene kommen nach kurzer Zeit frei, andere warten Monate oder sogar Jahre auf ihre Freilassung. In vielen Ländern gibt es keine feste Obergrenze für die Dauer der Migrationshaft.
Wer staatenlos ist – also von keinem Staat als Bürger_in anerkannt wird oder keine Ausweispapiere besitzt, kann in einigen Ländern auf unbestimmte Zeit in Migrationshaft festgehalten werden. Manchen Regierungen fehlen auch die Ressourcen für Abschiebungen – dann bleiben Menschen oft jahrelang ohne jede Aussicht auf Freilassung in Haft.
Auch die weit verbreitete Vorstellung, Menschen in Migrationshaft führten auf Kosten des Staates ein luxuriöses Leben, entspricht nicht der Realität. Untersuchungen legen immer wieder die unzumutbaren Haftbedingungen offen, denen die Betroffenen ausgesetzt sind.
Als Haftorte dienen Gefängnisse, Polizeistationen, Flughäfen, Hotels, Schiffe und provisorische Lager.
In Großbritannien werden Zentren, in denen Einwandernde festgehalten werden, wegen gefängnisähnlicher Bedingungen, schlechter Belüftung und unzureichender psychologischer Betreuung kritisiert. In den Vereinigten Staaten wurden die „schrecklichen, unmenschlichen, als Strafmaßnahme gedachten und rechtswidrigen Zustände“ und auch die unzulässige Einzelhaft in solchen Einrichtungen durch eine Sammelklage ins Bewusstsein gerückt.
Die Inhaftierung von Menschen, die einwandern, ist extrem kostenintensiv – einige Regierungen geben Milliarden aus, um dieses unmenschliche und ineffektive System am Laufen zu halten. Oft übernehmen private Firmen den Betrieb – ein millionenschweres Geschäft.
Sowohl in Großbritannien als auch in den Vereinigten Staaten liegen die durchschnittlichen Kosten für die Inhaftierung von Migrant_innen derzeit zwischen 130 und 150 US-Dollar pro Tag. Hochgerechnet auf ein Jahr entspricht dies rund 50.000 US-Dollar pro Person; in Australien fallen mit etwa 400.000 US-Dollar jährlich sogar noch deutlich höhere Kosten an.
Für die abschreckende Wirkung der Migrationshaft gibt es wenig Belege. Nach Einschätzung des Migration Policy Institute wirken Faktoren wie Krieg, Verfolgung und Armut stärker auf Migrationsentscheidungen als die Androhung von Haft.
Nach internationalem Recht dürfen Staaten Migrationshaft nur als äußerstes Mittel anwenden und sollten stattdessen Alternativen nutzen. Zudem verbietet das Völkerrecht ausdrücklich die Inhaftierung von Kindern aus migrationsbedingten Gründen. Trotzdem praktizieren viele Regierungen die Inhaftierung von Migrant_innen und Geflüchteten weiterhin als Standard, statt auf Maßnahmen zu setzen, die nicht mit Freiheitsentzug verbunden sind.
Im Gegenteil: Diese Menschen tragen in den Aufnahmestaaten oftmals wesentlich zu Wirtschaftswachstum und kultureller Vielfalt bei.
Eine Auswertung von Daten, die in den vergangenen dreißig Jahren in Westeuropa gesammelt wurden, zeigt: Innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Ankunft leisten Geflüchtete und Migrant_innen einen positiven Beitrag zur Wirtschaft ihrer Aufnahmeländer. Aus einem separaten Bericht geht hervor, dass Migrant_innen in den USA über 400 Milliarden Dollar Steuern zahlten und über erhebliche Kaufkraft verfügten. Untersuchungen in Südafrika belegen positive Effekte auf Arbeitsplätze und Löhne – jede eingewanderte Arbeitskraft schafft im Durchschnitt zwei Jobs für südafrikanische Staatsbürger_innen.
Es gibt sehr wohl praktikable Alternativen zur Inhaftierung, die humaner, kostengünstiger und effektiver sind. Statt in Haft zu sitzen, könnten Betroffene in der Gesellschaft des Aufnahmelandes leben, während ihr Fall geprüft wird. In dieser Zeit könnten sie arbeiten, zur Schule gehen und Unterstützungsleistungen wie Rechtsbeistand oder engagierte Sozialbetreuer_innen in Anspruch nehmen.
Laut einer unabhängigen Studie könnten die Vereinigten Staaten von den insgesamt zwei Milliarden US-Dollar, die sie für Haftmaßnahmen ausgeben, mehr als 1,44 Milliarden US-Dollar einsparen, wenn sie auf Alternativen zurückgreifen würden. In Australien kostet die Migrationshaft pro Person und Tag 98 Prozent mehr als alternative Lösungen.
Es geht allerdings nicht nur um finanzielle Aspekte: Studien zeigen, dass Menschen sich seltener einem Verfahren entziehen, wenn ihre Grundbedürfnisse gesichert sind. Sie sind eher bereit, die Entscheidung über ihren Fall zu akzeptieren, auch wenn diese nicht zu ihren Gunsten ausfällt. Dadurch sinkt die Zahl derjenigen, die Berufung einlegen oder einen erneuten Einreiseversuch unternehmen, was wiederum zur Entlastung der Einwanderungssysteme beiträgt. Eine Auswertung von Pilotprogrammen in Bulgarien, Zypern und Polen belegt zudem, dass gesellschaftliche Unterstützung und Fall-Management Wohlbefinden und Resilienz der an den Programmen beteiligten Personen stärken.
Alternativen zur Haft sind zweifelsfrei für alle Beteiligten die bessere Lösung – für die Steuerzahler_innen, für politische Entscheidungsträger_innen und auch für Migrant_innen und Geflüchtete. Es ist an der Zeit, das Narrativ, das sich um das Thema Migrationshaft rankt, zu verändern und die Diskrepanz zwischen Mythos und Realität aufzulösen.
*Das Artikelbild stammt ursprünglich von einem Kunstprojekt der Kampagne End Child Detention, das anlässlich des fünfjährigen Bestehens der Kampagne im Jahr 2017 ins Leben gerufen wurde und bei dem viele Künstler_innen mitwirkten. Auf eindrückliche Weise werden darin Geschichten von Kindern mit Hafterfahrung weltweit erzählt. Zum Kunstprojekt
International Detention Coalition (IDC) ist ein international agierendes Netzwerk, das sich seit Jahren mutig, unermüdlich und erfolgreich für die Rechte aller Menschen einsetzt, die von Migrationshaft betroffen sind. IDC engagiert sich national und international für Gesetzesänderungen und arbeitet mit Regierungen, der Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen zusammen, um Haftpraktiken zu verbessern oder diese gänzlich abzuschaffen. IDC hat im Jahr 2012 die weltweite Kampagne "End Child Detention" ins Leben gerufen.
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Der Artikel ist im Original auf Englisch bei IDC erschienen.
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