Kinderarbeit, Armut, Arbeitslosigkeit – Kann die ILO Krise?

Die International Labour Organization Conference (ILC) ist zurück. Die Folgen der Pandemie offenbarten die Notwendigkeit der dreigliedrigen, internationalen Zusammenarbeit.

Wenn sich der Papst, Joe Biden und der Generalsekretär der International Labour Organization (ILO) Guy Ryder als Redner die – zugegeben virtuelle – Klinke in die Hand geben, dann findet die jährliche ILO Konferenz (engl. ILC) statt. 2021 war vieles anders, die Gründungsidee der Internationalen Arbeitsorganisation (engl. ILO)  hingegen so präsent wie nie: Der weltweite Einsatz für soziale Gerechtigkeit und die Einhaltung und Durchsetzung international anerkannter Menschenrechts- und Arbeitsstandards gewann massiv an Bedeutung.

Nach der 2019 verabschiedeten Jahrhunderterklärung für die Zukunft der Arbeit und dem pandemiebedingten Ausfall 2020, galt die Aufmerksamkeit dieses Jahr im besonderen Maße denjenigen, die mit den Folgen der Pandemie besonders zu kämpfen und die schwerste Last zu tragen haben. Die Auswirkungen für Arbeitnehmer_innen sind dramatisch: Neben dem Verlust von 100 Millionen Vollzeit-Arbeitsplätzen, wuchs der Anteil der Kinderarbeit zum ersten Mal seit fast 20 Jahren, die Gefahr in Armut zu fallen, stieg und die prekäre Situation in der Sorgearbeit führt in vielen Regionen der Welt zum Kollaps der sozialen Sicherungssysteme.

Die Profiteure von Informalität

Die Crux: Niedrige Lohnkosten, der Druck globaler Unternehmen und die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten führen insbesondere im Globalen Süden zu einem hohen Anteil informeller Arbeit. Es fehlt jegliche Absicherung im Krisenfall. Eine Forderung der Arbeitnehmer_innen galt deswegen erneut der Formalisierung von Arbeit. Soziale Sicherung, hieß es unisono, müsse als Investition und nicht als Kosten begriffen werden. Dass private Vorsorge in diesem Rahmen keine Rolle spielen dürfe, wurde seitens der Arbeitgeber_innen nur zähneknirschend hingenommen – und mit Augenrolle der Gegenseite kommentiert. ist die private Vorsorge doch aus offenkundigen Gründen im Mandat der ILO gar nicht erst enthalten. Eine Auseinandersetzung, die mittlerweile fast zum guten Ton gehört.

Auf der Suche nach Geld

Die Einsicht, dass soziale Sicherungssysteme nicht von heute auf morgen aufgebaut werden und damit das akute Leid kaum lindern können, führte zu einem vorsichtig revolutionären Vorschlag: Im Rahmen eines Global Social Protection Funds (GSPF) sollen Regierungen weltweit einen Fond errichten, der den Aufbau und die Etablierung sozialer Sicherungssysteme  besonders schwacher Länder (low-income-countries) unterstützt.

Die Initiative hierzu entstand während der Pandemie 2020 und wird von über 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit getragen. Der ILO wird in der Umsetzung eines solchen neuen Finanzmechanismus nun eine wichtige Rolle zukommen. Obgleich keine Einigung über ganz konkrete Maßnahmen erzielt werden konnte, so geht sie doch gestärkt aus den Verhandlungen: Ihr wird die Rolle zukommen, Gespräche zu initiieren und Vorschläge zur Ausgestaltung eines GSPF zu machen. Dabei richtet sich das Augenmerk nicht nur auf Regierungen, sondern auch auf Weltbank und IWF.

Sorgenkinder: Das Streik- und Versammlungsrecht und der Umgang mit Myanmar

Herzkammer der ILO ist der Normenanwendungsausschuss, in dem die Einhaltung der von den Mitgliedsstaaten ratifizierten internationalen Arbeitsnormen überprüft, sowie Versäumnisse staatlichen Handelns beanstandet werden. Für Arbeitnehmer_innen und Gewerkschafter_innen von maßgeblicher Bedeutung sind die Bestimmungen zur Vereinigungsfreiheit und dem Recht zu Kollektivverhandlungen, die seit einigen Jahren zunehmend unter Beschuss geraten. So auch 2021. Gravierende Verletzungen wurden in Äthiopien, Belarus, Hongkong, Kambodscha, Kolumbien und Rumänien festgestellt. Der Militärputsch in Myanmar veranlasste die ILO dazu, keine Repräsentant_innen des Regimes für die Konferenz zu akkreditieren und im Rahmen einer Resolution fundamentale, demokratische Rechte einzufordern. Lediglich die chinesische und die russische Regierung wollten den Text nicht unterstützen – zu massiv der Eingriff in nationale Angelegenheiten, so das im internationalen Kontext durchaus bekannte Argument.

Quo vadis, ILO?

Trotz Virtualität, geringer medialer Aufmerksamkeit und dem Vormarsch autoritärer politischer Regime, hat die Internationale Arbeitsorganisation ihre Rolle in einer multilateralen Welt gestärkt: Die ILO kann Krise!

Im Herbst beginnt der zweite Teil der Konferenz und es wird sich zeigen, wie engagiert die Beschlüsse aus dem Sommer angegangen worden sind. Zu häufig blieb es bislang bei reinen Bekenntnissen und freundlichen Absichtserklärungen. Die diesjährige ILO Konferenz hat in ihrem ersten Part - trotz aller Schwächen und der legitimen Kritik an ihrer Durchschlagskraft - gezeigt, dass die institutionelle Dreigliedrigkeit eine unmittelbare und einmalige Chance birgt. Die Chance auf einen gleichwertigen Dialog. Um es mit den Worten des Papstes zu sagen: „Eines der Wesensmerkmale eines wahrhaftigen Dialogs ist, dass diejenigen, die den Dialog führen, ein gleiches Maß an Rechten und Pflichten haben. (…). Das ist die Gewähr für einen echten Dialog.“

 

Die ILO ist eine Sonderorganisation im System der Vereinten Nationen und in ihrer Struktur einmalig. In ihr und ihren Gremien sind neben Regierungsvertreter_innen auch Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen gleichberechtigt vertreten. Diese Dreigliedrigkeit spiegelt sich auch in den auf der Internationalen Arbeitskonferenz zusammenkommenden Gremien wider, in denen Arbeitnehmer_innen von deutscher Seite durch den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Arbeitgeber_innen durch den Bund Deutscher Arbeitgeber (BDA) und die Regierung durch Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vertreten werden.

Andrea Fischer ist Projektassistentin im Regionalen Gewerkschaftsprojekt der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis.

Ann Bauschmann ist Projektassistentin der Friedrich-Ebert-Stiftung und derzeit in Vorbereitung für das Regionale Gewerkschaftsprojekt in Lateinamerika und der Karibik mit Sitz in Montevideo.


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Mirko Herberg
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FES@COP28

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