Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Europas Sicherheitslage verändert sich rasant – geprägt von Krieg, Klimakrise und wirtschaftlicher Unsicherheit. Doch wie sehr Menschen sich bedroht fühlen, hängt stark vom Geschlecht ab. Eine neue Analyse des Regionalbüro Wien zeigt, wie tiefgreifend diese Unterschiede sind – und warum sie in der Sicherheitspolitik stärker berücksichtigt werden müssen.
Çağatay, Selin
about security radar 2025
Zum Download (PDF)
Zur Publikation
Die Sicherheitslage in Europa befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die wachsende Militarisierung vieler Staaten, die ökonomischen Verwerfungen nach Pandemie und Energiekrise, die zunehmenden Folgen des Klimawandels sowie eine instabile transatlantische Ordnung prägen eine Zeit globaler Unsicherheit. Diese Entwicklungen haben nicht nur geopolitische, sondern auch gesellschaftliche Konsequenzen – sie beeinflussen, wie Menschen in Europa Sicherheit wahrnehmen, welche Bedrohungen sie für zentral halten und welche politischen Maßnahmen sie fordern.
Ein entscheidender, aber oft unterschätzter Faktor in diesen Debatten ist das Geschlecht. Geschlechterrollen, soziale Erwartungen und ökonomische Lebenslagen prägen, wie Männer und Frauen Risiken einschätzen und Prioritäten setzen. Während traditionelle Narrative Frauen häufig als „Opfer“ und Männer als „Beschützer“ darstellen, zeigt sich in aktuellen Daten ein sehr viel komplexeres Bild: Frauen und Männer unterscheiden sich zwar signifikant
in ihren Sorgen, Einstellungen und Präferenzen – diese Unterschiede verlaufen jedoch nicht linear. Sie sind eng verwoben mit Alter, Einkommen, Beschäftigungsstatus und dem nationalen politischen Kontext.
Gerade in einer Zeit, in der rechtspopulistische und anti-gender-politische Bewegungen in vielen europäischen Ländern an Einfluss gewinnen, wird sichtbar, wie stark geschlechtsspezifische Perspektiven auf Sicherheit von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen geprägt sind. Militarisierung kann bestehende Ungleichheiten verstärken, indem sie eine männlich dominierte Ordnung reproduziert, in der soziale Absicherung zweitrangig wird. Gleichzeitig führen Kürzungen im Sozialbereich, die Alterung der Gesellschaft und die Klimakrise dazu, dass Frauen – insbesondere in prekären Lebenssituationen – stärker belastet sind.
Die Gender-Analyse des Security Radars 2025 nimmt diese Entwicklungen in den Blick und fragt: Welche Rolle spielt das Geschlecht in der Wahrnehmung von Sicherheit, Krieg und globalen Bedrohungen in Europa? Wie stark wirken sich soziale und nationale Kontexte auf geschlechtsspezifische Einstellungen aus? Und welche politischen Konsequenzen ergeben sich aus diesen Erkenntnissen?
Die vorliegende Analyse basiert auf einer repräsentativen Befragung von mehr als 12.300 Personen in sechs OSZE-Staaten – Frankreich, Deutschland, Polen, Schweden, Türkei und Ukraine – und verbindet eine feministische geopolitische Perspektive mit einer detaillierten empirischen Auswertung. Sie zeigt, dass Frauen sich häufiger und intensiver sorgen – etwa um ihre persönliche Sicherheit, wirtschaftliche Stabilität, den Klimawandel oder Kriege. Zugleich wird sichtbar, dass Männer in bestimmten Bereichen – etwa bei Migration – größere Ängste äußern. Diese Befunde verdeutlichen: Geschlecht ist ein zentraler Schlüssel, um Sicherheitswahrnehmungen zu verstehen. Aber es ist nicht die einzige Variable – vielmehr ergibt sich ein Zusammenspiel von Geschlecht, Alter, ökonomischer Lage und nationalem Kontext.
Damit trägt die Studie nicht nur zum Verständnis aktueller sicherheitspolitischer Debatten in Europa bei, sondern fordert auch ein Umdenken: Pauschale Annahmen, dass Frauen per se friedensorientiert und Männer militärisch geprägt seien, greifen zu kurz. Stattdessen braucht es eine differenzierte Betrachtung, die sicherheits-, sozial- und klimapolitische Fragen miteinander verbindet.
Frauen machen sich deutlich mehr Sorgen um ihre persönliche Sicherheit, wirtschaftliche Lage und Zukunft – besonders in der Altersgruppe 50–59 Jahre sowie unter finanziell benachteiligten Frauen.
Frauen mittleren Alters und Männer mit niedrigem Einkommen bevorzugen eher Investitionen in soziale Sicherheit statt Verteidigung – entgegen gängiger Stereotype.
Präferenzen für Sozialausgaben gegenüber Verteidigungsausgaben in der Gruppe der Einkommensschwachen und der Einkommenslosen sowie der Altersgruppe der 50–59 Jahre. (Anteil derjenigen, die Ausgaben für wirtschaftliche und soziale Belange gegenüber Ausgaben für Verteidigung bevorzugen. Alle Angaben in Prozent.)
Frauen äußern größere Sorgen über Krieg und Klimakrise; Männer sehen in unkontrollierter Migration die größte Bedrohung – diese Muster spiegeln traditionelle Rollenbilder.
Sorgengefälle zwischen den Geschlechtern, nach Thema und für junge Erwachsene. ("Sehr besorgt"- und "etwas besorgt"-Antworten zusammengefasst. Alle Angaben in Prozent.)
Unter jungen Erwachsenen (18–29 Jahre) sind die Unterschiede besonders ausgeprägt: Junge Frauen sorgen sich verstärkt um Klimawandel und Kriege, junge Männer vor allem um Migration.
"Starke Sorgen"-Gefälle zwischen den Geschlechtern nach Thema und für junge Erwachsene. ("Sehr besorgt"-Antworten. Alle Angaben in Prozent)
Männer bewerten die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf NATO und EU positiver als Frauen. Frauen sehen häufiger Vorteile für Russland und blicken pessimistischer in die Zukunft.
Geschlechtsspezifische Ansichten zu den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Stärke der NATO, der EU und Russlands. (Werte zeigen den Anteil derjenigen, die meinen, dass NATO und EU "stärker" und Russland "schwächer" geworden sind. Alle Angaben in Prozent.)
Frauen unterstützen diplomatische Lösungen; in der Zusammenarbeit mit anderen Staaten sind ihnen gemeinsame Werte wichtig.
Geschlechtsspezifische Präferenzen zu internationaler Zusammenarbeit. ("Stimme voll zu"- und "stimme eher zu"-Antworten zusammengefasst. Alle Angaben in Prozent)
Der nationale Kontext überlagert Geschlechterunterschiede bei vielen sicherheitspolitischen Fragen. Faktoren wie die ökonomische Stärke des Landes, Nähe zu Kriegsherden und NATO-Mitgliedschaft sind ausschlaggebend.
Geschlechtsspezifische Ansichten zu Frieden und Sicherheit im eigenen Land, in Europa und weltweit in den nächsten 5 Jahren. ("Wird sich verschlechtern"- und "wird sich etwas verschlechtern"-Antworten zusammengefasst. Alle Angaben in Prozent.)
Sicherheitspolitik muss mehr sein als militärische Abschreckung. Die Ergebnisse der Studie zeigen: Wer Politik zukunftsfähig und inklusiv gestalten will, muss Geschlechterunterschiede ernst nehmen – ohne in stereotype Denkmuster zu verfallen. Die folgenden fünf Empfehlungen richten sich an politische Entscheidungsträger:innen in Europa.
Sicherheit bedeutet nicht nur äußere Verteidigung, sondern auch soziale und ökologische Stabilität. Arbeitsplätze, Bildung, Gesundheitsversorgung und Klimaschutz gehören in den Sicherheitsbegriff integriert.
Ziel: Sicherheitspolitik auf Lebensrealitäten der Menschen ausrichten – nicht nur auf geopolitische Bedrohungen.
Frauen sind nicht automatisch gegen Militärbudgets, Männer nicht zwangsläufig dafür. Politische Kommunikation und Maßnahmen sollten sich an der sozioökonomischen Lage und Lebensphase orientieren – z. B. bei einkommensschwachen Männern oder Frauen im mittleren Alter.
Ziel: Maßgeschneiderte Ansprache statt pauschaler Zuschreibungen.
Die Gender-Worry-Gaps sind themenspezifisch – etwa Klima (Frauen) vs. Migration (Männer). Besonders bei jungen Erwachsenen sind die Unterschiede ausgeprägt. Stereotype Vorstellungen von „Männern als Beschützer“ und „Frauen als Opfer“ müssen aktiv hinterfragt werden.
Ziel: Anti-Gender-Rhetorik entgegenwirken – mit faktenbasierter, inklusiver Kommunikation.
Männer sehen NATO und EU häufiger als gestärkt, Frauen eher als geschwächt. Institutionen wie die NATO sollten sicherheitspolitische Botschaften mit Narrativen verknüpfen, die stärker auf die Werte und Sorgen von Frauen eingehen.
Ziel: Vertrauen in multilaterale Institutionen stärken – durch genderdifferenzierte Ansprache.
Auch wenn Frauen Klimaschutz besonders wichtig finden, setzen sie internationale Kooperation nicht automatisch höher an als Männer. Außenpolitik sollte sowohl rationale Interessen als auch wertegeleitete Motive ansprechen.
Ziel: Kooperationsbereitschaft stärken – ohne moralischen Zeigefinger, aber mit klaren gemeinsamen Zielen.
Eine inklusive Sicherheitsstrategie erkennt an, dass Sicherheit geschlechter-, alters- und einkommensspezifisch erlebt wird. Nur mit diesem Verständnis können tragfähige politische Antworten auf eine unsichere Welt gegeben werden.
Der Security Radar 2025 ist eine regelmäßig durchgeführte Meinungsumfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Ziel ist es, Einstellungen der Bevölkerung in Europa zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen sichtbar zu machen.
Für die vorliegende Analyse wurden im September 2024 über 14.000 Personen in sechs OSZE-Staaten befragt: Frankreich, Deutschland, Polen, Schweden, Türkei und Ukraine.
Die Besonderheit dieser Ausgabe: Sie wirft einen gezielten Blick auf geschlechtsspezifische Unterschiede – von Sicherheitsbedürfnissen über Bedrohungswahrnehmung bis hin zu außenpolitischen Präferenzen.
Wie geht es mit Geschlechtergerechtigkeit in deutscher Außenpolitik nach der Abschaffung der Feministischen Leitlinien weiter?
Die NATO ist stark wie lange nicht! Aber auch geeint? Unsere neue Studie analysiert Debatten zur NATO in 14 Mitglieds- und ausgewählten Nicht-Mitgliedsstaaten. weiter
Der aktuelle Security Radar 2025 umfasst Umfrageergebnisse zur Wahrnehmung von Sicherheit und Bedrohungen aus 12 Ländern Europas sowie den USA & Russland. weiter
Die radikale Rechte vernetzt sich immer effektiver - und zwar weltweit. Was können progressive Kräfte dem entgegensetzen? weiter
Gemeinsames Projekt mit dem GIGA zu Konzepten von Frieden. Mehr auf unserer Website weiter