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Daten - Rohstoff der digitalen Gesellschaft

Ein Interview mit Prof. Dr. Johannes Caspar (Dezember 2011)

Warum kennt Facebook alle meine Kollegen? Warum weiß Google, was ich suche, bevor ich einen Begriff eingebe? Und wie hängt Stuttgart 21 damit zusammen?

Dank der Kommunikationsmittel des digitalen Zeitalters haben wir die Kontrolle über die Gesellschaft selbst übernommen.Während der Staat mit seinen demokratischen Abstimmungsprozessen den rasanten Innovationen nicht mehr folgen kann, überwacht die Gesellschaft sich mittels Mini-Videokamera und Facebook selbst. Das verändert nicht nur unser Zusammenleben, sondern auch unsere Anforderungen an die Informationspolitik der Behörden und Institutionen.

Professor Dr. Johannes Caspar, hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, spricht deshalb von einer Überwachungsgesellschaft, die mit dem modernen Rohstoff Daten sowohl an der Börse als auch auf dem Schulhof handelt.


Gehen wir in Deutschland mit unseren Daten kritischer um als die Einwohner anderer europäischer Länder?

Der Datenschutz ist in unserer Gesellschaft zentral und wichtig. Seine Tradition geht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur informellen Selbstbestimmung zurück. Diese starke Tradition liegt außerdem in unserer jüngeren Geschichte begründet, in der wir Erfahrungen mit zwei undemokratischen Regimen gemacht haben, die personenbezogene Daten zur Unterdrückung missbrauchten.


Facebook hat im November 2011 in ein Abkommen mit der amerikanischen Wirtschaftsaufsicht eingewilligt und sich damit einem strengen Datenschutz unterworfen. Ist diese Entscheidung ein Umbruch im Umgang mit unseren Daten?

Wir begrüßen grundsätzlich die Entscheidung der FTC, der amerikanischen Aufsichtsbehörde. Es zeigt sich, dass auch in den USA der Datenschutz einen gewissen Stellenwert hat. Andererseits ist es nach unserem Verständnis aber eher eine Selbstverständlichkeit, dass eine Änderung von Nutzungsbedingungen von einer wirksamen Zustimmung der Nutzer abhängig gemacht werden muss. Hier gab es in der Vergangenheit bei Facebook große Defizite. Die Datenschutzpositionen der Nutzer wurden mit den Änderungen der Nutzungsbedingungen in den letzten Jahren schrittweise abgebaut, um stärker auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen zugreifen zu können. Für deutsche bzw. europäische Nutzer von Facebook gelten insgesamt strengere Regeln als in den USA. An diese ist Facebook – unabhängig von der Vereinbarung mit der FTC – gesetzlich gebunden.


Sie haben bei der Diskussion in der FES von einer Überwachungsgesellschaft gesprochen. Warum neigt die Gesellschaft dazu, sich selbst zu überwachen?

Wir haben im digitalen Zeitalter zwei wichtige Entwicklungen. Zum einen herrscht ein immenser Innovationszyklus im Bereich digitaler Technik. Immer größere Speicherkapazitäten machen es möglich, Datenmengen in immer größerem Maße zu erzeugen und global jederzeit abzurufen. Zum anderen haben wir es mit einer nie gekannten Kommerzialisierung von personenbezogenen Daten zu tun. Wir bekommen im Internet die Dienste scheinbar gratis. Tatsächlich bezahlen wir mit unseren Daten. Beide Entwicklungslinien durchdringen und verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung.


Die Gesellschaft ist demnach viel mehr an unseren Daten interessiert als der Staat?

Daten sind als Rohstoff der digitalen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Sie sind ökonomisch wertvoll. Facebook hat einen geschätzten Börsenwert von 100 Milliarden Dollar. Aber Facebook produziert weder Autos, noch verleiht es Geld. Der Konzern macht sein Geschäft mit den Daten seiner Nutzer und schafft es, wirtschaftliche Erwartungen auf sich zu ziehen, wie bisher kein anderes Unternehmen. Tatsächlich haben die sozialen Netzwerke und zuallererst natürlich Facebook den Gedanken der Werbung revolutioniert. Mit dem Wissen über Vorlieben, Interessen und Hobbys der Nutzer gelingt der Werbung eine Punktlandung ins Herz des Verbrauchers. Deshalb besteht aufseiten der Werbeindustrie eine so große Nachfrage nach Daten.

Gleichzeitig haben wir es mit einer Privatisierung von Überwachungstechnologien zum Zweck der sozialen Kontrolle zu tun. Digitalkameras werden für billige Preise in Elektronikmärkten gekauft. Diese können zum Ausspähen anderer benutzt werden. Unsere Gesellschaft eignet sich Techniken und Methoden an, die früher dem Staat vorbehalten waren.


Wie verändert sich unsere Gesellschaft, wenn wir so viel übereinander wissen?

Anhänger der Post-Privacy-Bewegung sind der Meinung, je mehr personenbezogene Daten wir haben, desto weniger werden sie von Interesse sein. Wenn alle über alle alles wissen, sei kein Missbrauch mehr zu befürchten. Das hat für mich einen utopischen Charakter und scheint naiv. In einer Welt, in der es darum geht, mit Daten soziale Kontrolle oder ökonomische Vorteile zu erlangen, müssen wir sehr bewusst entscheiden. Ähnlich illusorisch ist die Haltung, sich gänzlich aus allen Formen digitaler Kommunikation zurückzuziehen und gar nichts mehr von sich preiszugeben. Wir brauchen stattdessen intelligente Konzepte für ein selbstverantwortliches Datenschutzmanagement. Dazu gehören Informationen und Aufklärung der Einzelnen. Gerade junge Menschen sollten in der Schule über die Hintergründe der digitalen Welt und über die ökonomischen sowie sozialen Gefahren und Risiken eines regellosen, exzessiven Gebrauchs von Daten unterrichtet werden.


Die nächste Stufe des Internets, das semantische Web, soll die von Menschen genutzten Informationen in einen Zusammenhang bringen. Wird Google in Zukunft bereits wissen, was wir suchen, bevor wir einen Begriff eingeben?

Das ist etwas spekulativ. Meine Gedanken sind nach wie vor ausschließlich bei mir, auch wenn ich vor dem Computer sitze. Aber es stimmt, Nutzerautomatismen können aus der Vergangenheit abgeleitet werden. Wenn Benutzer X immer bestimmte Suchbegriffe eingibt, kann man einen Schlüssel finden, wie die Person sich verhält und was sie im Internet sucht. Das folgt letztlich allein aus dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit und der Nutzerbeobachtung.

Es gibt Versuche, Trends vorherzusagen. So betreibt Google zum Beispiel eine Webseite für Grippetrends. Aus der Häufigkeit bestimmter Suchbegriffe werden Anhaltspunkte für Grippefälle abgeleitet und Prognosen aufgestellt. Das ist zwar nicht datenschutzrelevant, weil der Einzelne nicht mit seinen personenbezogenen Daten in die Untersuchung eingeht. Dennoch zeigt sich, dass gesellschaftliche Strömungen aus der Beobachtung von Informationen über die Nutzung des Internets abgeleitet werden können.


Wie verändert sich unser Demokratieverständnis durch die neuen Kommunikationsmittel?


Wir haben viel mehr Möglichkeiten, die Informationen und Dokumente der öffentlichen Stellen transparent zu machen. In dem Moment, in dem wir uns als Bürger über Informationen der Verwaltung selbst informieren können, sind wir in der Lage, demokratische Prozesse anzustoßen und stärker selbstbestimmt an den demokratischen Prozessen teilzuhaben.


Zwischen Online-Durchsuchung und Open-Data-Bewegung: Wo beginnt der Abbau von Freiheit zugunsten der Sicherheit?

In dem Moment, wo der Staat zwecks einer Gefahrenabwehr Daten über Bürger generiert, brauchen wir klare Vorgaben, an die der Staat gebunden ist. Diese Aspekte sind unter die beiden genannten Begriffe „Freiheit“ und „Sicherheit“ zu subsumieren. Freiheit bedeutet nicht, dass man frei von jeder Kontrolle ist. Wo der Staat Informationen zur sozialen Kontrolle im Interesse der Sicherheit erhebt, muss dies im Rahmen der Gesetze erfolgen. Hier ist Kontrolle erforderlich.


Welche neuen Gesetze und Regelungen brauchen wir, um unsere Daten in der digitalen Zeit zu schützen?

Unsere Gesetze sind aus der analogen Welt und passen oftmals nicht. Aufgrund der Komplexität der Materie und der hohen technischen Dynamik der Entwicklungen ist der Gesetzgeber partiell überfordert und befindet sich in einem permanenten Nachsteuerungsdilemma. Was der Gesetzgeber anfasst, ist oft schon wieder veraltet, nachdem es durch die gesellschaftlichen und politischen Diskurse gegangen ist. Leider ist aber auch zu konstatieren, dass oft der Wille zu innovativen Regelungen fehlt. Erinnert sei nur an das 2010 vom damaligen Innenminister angekündigte „Rote-Linien-Gesetz“ für den Datenschutz im Bereich des Internets, von dem wir nach wie vor weit entfernt sind.


Abstimmungen auf EU-Ebene sind noch langsamer.


Dieses Problem besteht.Wenn wir heute eine neue Datenschutzverordnung diskutieren, die wohl erst 2014 oder 2015 kommt, ist das beklagenswert. Deswegen brauchen wir Konzepte, die die Entwicklungen antizipieren, und starke Datenschutzbehörden, die den Blick auf die Probleme lenken.


Auf welche Daten der Bürger hat der deutsche Staat bisher Zugriff?

Zunächst haben wir das Problem der Online-Durchsuchung. Diese ist an klare gesetzliche Vorgaben gebunden. Auf die Problematik der Vorratsdatenspeicherung sei hier nur hingewiesen. Darüber hinaus gibt es die Spurensuche der Behörden auch im Internet. Ermittlungsbehörden und die Polizei greifen bereits heute auf die Profile in sozialen Netzwerken zu. Dabei geht es um ganz banale Dinge wie das Abgleichen von Radarfotos von Verkehrssündern, bis hin zu Ausforschungen unter Legende, als verdeckte Ermittler in den sozialen Netzwerken.


Wie kann die Preisgabe unserer Daten im Netz gefährlich werden?

Daten, die wir in sozialen Netzwerken hinterlassen, sind für andere Personen, im Bedarfsfall aber auch für öffentliche Stellen einsehbar. Je mehr Daten wir von uns preisgeben, desto angreifbarer sind wir. Letztlich sind Daten über Personen Mittel zur sozialen Kontrolle. Diese ist bei uns zwar rechtsstaatlich gerahmt. Das Wissen um derartige Daten in nicht demokratischen Regimen eröffnet jedoch Möglichkeiten des Missbrauchs. Das „digitale Tätowieren“ führt häufig in die Opferrolle, etwa durch Cybermobbing oder andere strafrechtlich relevante Verhaltensweisen, und zu Problemen bei der Jobsuche oder am Arbeitsplatz.


Wie würden Sie eine Faustregel zum Umgang mit den persönlichen Daten formulieren?


Es sollte klar sein, dass die personenbezogenen Daten uns durchs Leben begleiten, Teil unserer Persönlichkeit sind und unsere Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten in der Zukunft wesentlich mitbestimmen. Deswegen sollte jeder einen individuellen Plan haben, wie er mit Daten in der digitalen Welt umgeht. Ziel sollte es sein, als mündiger Internetnutzer verantwortungsvoll mit den eigenen und respektvoll mit den Daten Dritter umzugehen.


Prof. Dr. Johannes Caspar protestierte als Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit in Hamburg erfolgreich gegen die Street-View-Fahrten von Google. Caspar lehrt außerdem an der Universität Hamburg zum Thema Datenschutzrecht. www.datenschutz-hamburg.de


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