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Über den freien Zugang zu Wissen und die kritische Einordnung von Blogs
Von Alvar C.H. FreudeBertolt Brecht hätte sicherlich große Freude am Internet. Denn es bricht die Sender-Empfänger-Beziehung des Rundfunks auf und lässt Brechts Vision, dass jeder Empfänger auch Sender sein kann, realistisch erscheinen.Teilweise ist dies auch tatsächlich bereits heute Realität. Schließlich ist es prinzipiell jedem Nutzer möglich, mit relativ wenig technischem und finanziellem Aufwand selbst Inhalte zu erstellen und zu publizieren. Ein Weblog (kurz: Blog) lässt sich in wenigen Minuten einrichten und befüllen. Das allein jedoch genügt nicht, um die herkömmliche Sender-Empfänger-Hierarchie aufzubrechen – nicht, wenn es zwar viele Sender gibt, der Empfänger aber stummer Konsument bleibt.Es ist die Gesamtkonstellation der Blogs, ihrer Verbindungen und ihrer lebhaften Kommentarkultur, die Brechts Wunsch nach Kommunikation und Austausch von Sender und Empfänger ermöglicht. Blogs, die üblicherweise nicht nur einfach Inhalte hinausposaunen, sondern untereinander vernetzt sind, bilden eine Vielzahl an Gemeinschaften, die sogenannte Blogosphäre. Soziale Netzwerke und Mikroblogging-Dienste wie der Kurznachrichtendienst Twitter verstärken diesen Effekt. Gleichzeitig sind Blogs geprägt von einer nahezu unglaublichen Vielfalt der Themen: von der Selbstreflexion der Szene über Netzpolitik, Wirtschaft, Wissenschaft, Mode, Prominente, Technik bis zu Politik und vielem mehr spiegeln sie das Zeitgeschehen und den Zeitgeist wider und erlauben es den verschiedensten Subkulturen, sich untereinander zu vernetzen. Darüber hinaus erfährt man privates Kleinklein, eine Menge Unfug oder einfach das, was man früher den Freunden anvertraute – und heute eben dem öffentlichen Tagebuch. All das bietet bislang Möglichkeiten für die Meinungsvielfalt, Pluralität und demokratische Teilhabe.Das allein würde vielleicht ungelesen verhallen, doch die zuvor erwähnten, oft kritischen und manchmal exzellenten Betrachtungen über Politik, Gesellschaft und andere Themen, denen sich in den Jahren und Jahrzehnten vor den Blogs nur Journalisten im weiteren Sinne widmeten, macht ebenjenen heute hin und wieder Angst. Spricht man mit Journalisten über Blogs, entfährt ihnen häufig ein reflexartiges „Nur wir sind echte Journalisten“, gerade so, als würden Blogger dies von sich zu häufig behaupten. Andere Vorurteile der an verschiedenste Druckwerke gewöhnten Berufsschreiber umfassen die angeblich mangelnde Recherchefähigkeit der Blogger, oder man bemängelt, diese seien nicht ausgewogen oder neutral genug. Allerdings haben auch diesen Anspruch die wenigsten Blogger an sich selbst.Die Furcht des Journalisten vor dem Blogger ist oftmals auch die Angst der Zeitungsmacher vor dem Medium Internet. Freier Zugang zu Wissen! Jederzeit, kostenlos! Das kann doch nichts sein! Die Tageszeitungsund Magazinpresse betrachtet sich als selbst ernannten Gralshüter der Wahrheit. Schon allein, wie viele Zeitungsmacher – kurz vorm Beißkrampf – von„diesem Internet“ reden! Dabei ist die Bezeichnung „das Internet“ so wenig aussagekräftig wie „das Papier“ für Zeitungen und Zeitschriften: Es bezeichnet lediglich den Transportweg. Was man daraus macht, bleibt den jeweiligen Anbietern vonDie Furcht des Journalisten vor dem Blogger ist oftmals auch die Angst der Zeitungsmacher vor dem Medium Internet. Freier Zugang zu Wissen! Jederzeit, kostenlos! Das kann doch nichts sein! Die Tageszeitungsund Magazinpresse betrachtet sich als selbst ernannten Gralshüter der Wahrheit.Informationen oder Nachrichten überlassen. Wenn sich Journalisten also für besser halten als „das Internet“,muss man fragen: besser als Spiegel Online, ZEIT Online, das Bild-Blog (das kritisch über die Fehler nicht nur in der Bild-Zeitung berichtet), das Blog netzpolitik.org, ein Promi-Klatsch-&-Tratsch-Blog, twitternde Bundestagsabgeordnete oder die Kommentare bei einem Film auf YouTube? Das Internet ist vielfältig, es bietet alle denkbaren Kommunikationsmöglichkeiten mit beliebiger Anzahl an Teilnehmern, die Empfänger, Sender oder beides zugleich sein können. Das Internet ist somit Telefon und Rund-Das Internet ist somit Telefon und Rundfunk, Zeitung und. Flugblatt, Stammtisch und Eckkneipe, Uni-Vorlesung und Talk-show, Kaufhaus und Bibliothek, Zeitschrift und Videothek – vergleichbar all jenem und noch viel mehr.funk, Zeitung und Flugblatt, Stammtisch und Eckkneipe, Uni-Vorlesung und Talkshow, Kaufhaus und Bibliothek, Zeitschrift und Videothek – vergleichbar all jenem und noch viel mehr.Die Kritik am Netz offenbart manchmal erst die wahren Probleme vieler Journalisten. Zum Beispiel im Lokaljournalismus: Hier ist kaum noch Zeit, sich gut in ein Thema einzuarbeiten, tief und gründlich zu recherchieren. Wird das garniert mit dem oftmals lokal üblichen Filz oder der Blattlinie, entstehen watteweiche Geschichtchen, für die ein Blogger sowohl vom „echten“ Journalisten als auch von seinen Lesern viel Prügel bekäme. Oft sind die Schreiber nicht einmal vor Ort bei den Veranstaltungen, über die sie anschließend berichten – dann muss zu einem Foto schon einmal eine Geschichte gestrickt werden.Besonders deutlich wurde dies immer wieder rund um die Proteste gegen Stuttgart 21. Ein Beispiel: Bei einer Gelegenheit versammelten sich Demonstranten vor dem bekannten Veranstaltungsort „Liederhalle“ und protestierten gegen Bahnchef Grube,der drinnen eine Rede hielt. In den lokalen Zeitungen erschienen Fotos und die Bildunterschrift lautete sinngemäß, Polizisten hätten eine Erstürmung der Halle verhindern müssen. Tatsächlich hat – auch bevor die Polizei überhaupt vor Ort war – niemand auch nur versucht, den Ort zu „stürmen“. Im Zeitalter allgegenwärtiger (Handy-)Kameras und Online-Video-Plattformen lässt sich das nur allzu leicht nachverfolgen, die lokale Presse aber bleibt bei ihrer selbst erfundenen Darstellung oder berichtet allenfalls verschämt, dass sich ein „kleiner Fehler“ in der Interpretation beim Leser eingeschlichen habe.Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Berichterstattung ist daher besonders in Stuttgart groß. Dem Projekt Stuttgart 21 (S21) wohlgesinnte Medien, die bei den vielen Veranstaltungen der S21-Gegner und -Befürworter kaum vor Ort recherchieren, treffen auf eine gut vernetzte und organisierte Szene, die vorschnelle Behauptungen sehr schnell widerlegen kann. Mithilfe sozialer Netzwerke wie Twitter und Facebook verbreiten sich Informationen oder Video-Mitschnitte rasant. Über die Hetzrede des Pfarrers, der Andersdenkende aus der Stadt vertreiben will, konnte man nichts in der örtlichen Presse lesen, sie aber im Internet anschauen. Acht von einer Böllerexplosion angeblich schwer verletzte Polizisten standen bei ebendieser Explosion weit entfernt und haben sich nicht gerührt – auch hier ist das Video online auffindbar, die örtliche Presse verbreitet weiter die offizielle Darstellung der Polizei.Vertrauen schaffen die Medien so nicht, die sachliche Berichterstattung kratzt oftmals nur an der Oberfläche. Die Gegenöffentlichkeit, die den Journalisten im Internet begegnet, ist für sie oft nur schwer erträglich und wenig glaubwürdig: Ein Filmmitschnitt und daran anschließende Kommentare in den sozialen Netzwerken gelten als weniger glaubwürdig als die Pressemeldung einer politischen Partei. Dabei sollte dies doch ein Ansporn sein, sich wieder auf die Wurzeln echten Journalismus zu besinnen – dort sein, wo etwas geschieht, mit allen reden, neutral berichten. Einfach besser sein als das, was man dem Blogger von nebenan unterstellt. Es wäre oft nicht einmal schwer, denn der durchschnittliche Blogger ist zwar meist schneller, oft besser informiert und näher am Geschehen, aber genauso häufig ist seine Sicht einseitig gefärbt. Während der Journalist – eigentlich – verpflichtet ist, eine Sache von allen möglichen Gesichtspunkten aus zu betrachten, ist der Blogger häufig parteiisch, was seine Aussagen aber nicht grundsätzlich unglaubwürdig oder gar falsch macht.Neutral sind die meisten Blogger also nicht. Blogs sind oftmals eine dauerhafte Kommentarspalte. Sie haben auch nicht den Anspruch der kompletten Neutralität. Aber sie haben in der Regel den Anspruch, umfassend zu informieren und demDie Gegenöffentlichkeit, die den Journalisten im Internet begegnet, ist für sie oft nur schwer erträglich und wenig glaubwürdig: Ein Filmmitschnitt und daran anschließende Kommentare in den sozialen Netzwerken gelten als weniger glaubwürdig als die Pressemeldung einer politischen Partei. Dabei sollte dies doch ein Ansporn sein, sich wieder auf die Wurzeln echten Journalismus zu besinnen – dort sein, wo etwas geschieht, mit allen reden, neutral berichten. Einfach besser sein als das, was man dem Blogger von nebenan unterstellt.Leser die Möglichkeit zu geben, weiter zu recherchieren. Bei Blogs gilt der Grundsatz: Quellen werden verlinkt. Daher fangen viele Blog-Artikel auch nicht jedes Mal bei null an, sondern steigen mittendrin ein – was für den neu einsteigenden Leser oftmals schwer ist; er muss dann erst einmal verschiedene andere Artikel lesen. Und natürlich ist das eine Blog glaubwürdiger als das andere, das eine neutraler als das andere und das nächste professioneller als das andere.In den Online-Medien vieler herkömmlicher Medienhäuser gilt dagegen noch immer: Die Quellen werden verschwiegen. Selbst beim Zitat „Zeitung XYZ berichtet in ihrer Online-Ausgabe, dass ...“ wird nicht direkt auf das Original verwiesen, es wird kein Link gesetzt. Das ist ja auch die Konkurrenz. Man könnte ja einen Leser verlieren. Für Blogger sind Querverweise Ehren-Journalisten werden daher keinesfalls überflüssig – im Grunde werden sie als Informationsspezialisten wichtiger denn je. Sie müssen den riesigen Berg an Informationen verschiedenster Art aufarbeiten und dem Leser servieren – aber bitte so, dass er gleich die Verweise zu den Quellen mitgeliefert bekommt. Denn nahezu das gesamte Wissen der Menschheit ist im Internet erreichbar. Aber ohne einen kompetenten Lotsen ist es sehr schwer und zeitaufwendig, sich darin zurechtzufinden.sache – so kann jeder selbst prüfen, worum es geht, jeder kann die Quelle selbst nachlesen. Wenn er will und die Zeit dazu hat. Und hier setzt die Aufgabe an, die auf Journalisten in Zeiten des Internets zukommt.Blogs lesen, sich im Internet zu bestimmten Themen auch einmal abseits der Mainstream-Nachrichtenportale informieren: Das ist anstrengend und verlangt vom Leser die Einordnung von Information, das Studium von Quellen, das Nachdenken ... und mehr. Das funktioniert nur bei Themen, die den Leser besonders interessieren. Journalisten werden daher keinesfalls überflüssig – im Grunde werden sie als Informationsspezialisten wichtiger denn je. Sie müssen den riesigen Berg an Informationen verschiedenster Art aufarbeiten und dem Leser servieren – aber bitte so, dass er gleich die Verweise zu den Quellen mitgeliefert bekommt. Denn nahezu das gesamte Wissen der Menschheit ist im Internet erreichbar. Aber ohne einen kompetenten Lotsen ist es sehr schwer und zeitaufwendig, sich darin zurechtzufinden.Und wir sollten dabei auch nicht vergessen, dass es sich bei der Diskussion über das Verhältnis von herkömmlichen Medien zum Internet und Journalisten zu Bloggern um eine Luxusdiskussion handelt. Das Internet, soziale Netzwerke und Blogs sind in vielen undemokratischen Staaten eine der wenigen Möglichkeiten, Informationen, Wissen und Meinungen abseits der offiziellen Staatspropaganda auszutauschen. Das alleine macht die Informationen aus dem Internet noch nicht glaubwürdiger. Aber die neuen Kommunikationsmöglichkeiten sind ein wichtiges Element für den Prozess der Demokratisierung der Öffentlichkeit. Hier wie dort.
Alvar C.H. Freude ist Gründer des Arbeitskreises gegen Internetsperren und Zensur sowie als Sachverständiger Mitglied in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages. Freude arbeitet als freier Softwareentwickler in Stuttgart. www.alvar.a-blast.org
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