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August Bebel (1840-1913), auch bekannt als der "Kaiser der Arbeiter", war eine zentrale Figur der deutschen Arbeiterbewegung und Mitbegründer der SPD. Als Waise aufgewachsen, absolvierte er eine Drechslerlehre und ließ sich später als Kleinunternehmer in Leipzig nieder. Hier gründete er mit Wilhelm Liebknecht 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, den Vorläufer der SPD. Sein einflussreichstes Werk "Die Frau und der Sozialismus" prägte Generationen sozialdemokratischer Denker und Aktivist_innen. Er kämpfte für die Aufklärung der Arbeiterklasse und eine Gesellschaft, in der genossenschaftliche Produktion und Gleichberechtigung die kapitalistische Ordnung ersetzen sollten. Trotz Verfolgung und mehrmaliger Inhaftierung blieb sein Engagement ungebrochen und er wurde zu einem Symbol des Kampfes gegen die bürgerliche Gesellschaft und für eine sozialistische Zukunft.
Hören Sie den Eintrag zu August Bebel auch als Hörbuch. (Hörzeit 11:14 Minuten)
August Bebel (* 22.2.1840 · † 13.8.1913) wurde in Deutz bei Köln geboren; sein Vater, ein preußischer Unteroffizier, stammte aus Posen, seine Mutter, ein Dienstmädchen, aus dem hessischen Wetzlar. Mit 13 Jahren Vollwaise wuchs er bei Verwandten in Wetzlar auf. Der dreijährigen Drechslerlehre folgten zwei Gesellenwanderjahre, vornehmlich in Süddeutschland. Mit 20 Jahren kam er nach Leipzig. Dort ließ er sich als Kleinmeister nieder und heiratete seine Frau Julie. Er betätigte sich aktiv im liberalen Leipziger Arbeiterbildungsverein und lernte Karl Marx’ (S. 221-227) Freund Wilhelm Liebknecht (S. 199-205) kennen, der 1864 aus dem Londoner Exil zurückkehrte.
Bei der Gründung von Ferdinand Lassalles (S. 185-191) Allgemeinem Deutschen Arbeiterverein (ADAV) im Mai 1863 in Leipzig war Bebel nicht dabei – er hielt die Arbeiter noch nicht für fähig zur politischen Selbstständigkeit. 1867 gründete er zusammen mit Liebknecht die liberale Sächsische Volkspartei und wurde im gleichen Jahr in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt.
Als Kleinunternehmer, später sogar als Fabrikant von Handgriffen für Türen und Fenster, hatte er auch wirtschaftlich Erfolg. Doch 1868 wurde er erstmals wegen »Verbreitung staatsgefährlicher Lehren« zu drei Wochen Gefängnis verurteilt – 1870/71 sogar für fast drei Jahre. 1869 trennten sich Bebel und Liebknecht von den Liberalen und gründeten in Eisenach die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, aus der 1875 nach Vereinigung mit dem ADAV in Gotha die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands hervorging.
Unternehmer und aktiver Politiker – beides ging unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes nicht, deshalb entschied Bebel sich 1888 für die Existenz als Schriftsteller und Abgeordneter. Sein Erfolgsbuch »Die Frau und der Sozialismus« (1879) bescherte ihm hohe Auflagen und Einnahmen, und zusammen mit den Honoraren für Beiträge in der Parteipresse konnten Bebel und seine Familie gut von der Politik für die Politik leben.
Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 ging Bebel nach Berlin und übernahm mit Paul Singer 1892 den Vorsitz der SPD; er leitete die SPD-Reichstagsfraktion, galt als kompetenter Parlamentarier und zog mit seinen Reden auf Parteitagen und großen Parteiveranstaltungen viele in seinen Bann. Nach der Jahrhundertwende zeigten sich bei ihm die ersten Spuren des Alters. Seine Frau, Partnerin auch im Geschäftsleben und in der Politik, starb 1910; bei seiner Tochter verstärkten sich die Merkmale einer psychischen Erkrankung. 1913 starb August Bebel im Schweizer Kurort Passug an einem Herzleiden.
Bebel war kein systematischer Denker und kein Intellektueller, sondern Autodidakt. Er nutzte die vielen Gefängnisaufenthalte zur Weiterbildung und verstand sich als Interpret der Gedanken von Marx und Engels. Ohne diese zu vulgarisieren, machte er sie für seinesgleichen verständlich. Sein Erstlingswerk, die Broschüre »Unsere Ziele« (1870), enthielt Artikel aus der sozialdemokratischen Zeitung »Der Volksstaat« und erreichte bis 1913 insgesamt 14 Auflagen. Darin beschrieb Bebel den wilhelminischen Staat als Staat der herrschenden Klasse, unter der er ein Bündnis des kapitalistischen Bürgertums und der feudal-adligen Grundbesitzer verstand. Aufgabe dieses Staates war es, die Interessen der herrschenden Klasse gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen. Bebels Gegenentwurf zum Klassenstaat war der »Volksstaat«, in dem es keine Privilegien mehr geben und eine genossenschaftliche Produktion die privatkapitalistische ersetzen würde. Zu diesem Volksstaat gelangte man laut Bebel durch Aufklärung der Massen darüber, wie man die »Herrschaft der privilegierten Klassen und Personen« brechen könne: »auf gesetzliche Weise« oder auch durch eine Revolution, je nach des Volkes Willen. Bebel wollte ausdrücklich keine neue Klassenherrschaft der Arbeiter, sondern »Gleichberechtigung und Gleichstellung Aller«.
Noch steckte in Bebels Vorstellungen viel radikal-demokratischer Liberalismus und wenig von Marx theoretischen Auffassungen. Erst in der zweiten Hälfte der 1870er-Jahre rezipierte Bebel gezielter Marx und Engels. Die Frucht dieser Zeit war sein Bestseller »Die Frau und der Sozialismus« von 1879, der bis 1913 ganze 53 Aufl agen erlebte, in 20 Sprachen in 50 Ländern erschien und allein in Deutschland 200.000-mal verkauft wurde. Der Band avancierte zum realutopischen Kult- und Kursbuch der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in fast ganz Europa.
Bebels Zielvorstellungen hatten sich nicht geändert. Es ging um den Kampf der Arbeiterklasse für die Befreiung aller Unterdrückten, aber er umriss nun den Weg dorthin: Die Industrie wird die Landwirtschaft verdrängen, der Großbetrieb vorherrschend sein, die Verproletarisierung stark zunehmen; die Spaltung der Gesellschaft in viele Arme und wenige Reiche ist die Folge. Die Konkurrenz der Nationalstaaten um die Weltmärkte macht einen nächsten Krieg wahrscheinlich, aber es soll der letzte sein, denn die soziale Revolution muss »naturnotwendig« ausbrechen und die Sozialisierung der Gesellschaft durchsetzen, indem das Privateigentum aufgehoben und das Gemeineigentum geschaffen wird. Daraus folgen das »Absterben des Staates« und seine Ersetzung durch eine sozialistische Gesellschaftsorganisation, die höchstens noch eine »Zentralverwaltung zur Leitung von Produktions- und Austauschprozessen« benötigt. Bebel zweifelte nie daran, dass der Transformationsprozess zur Eroberung der politischen Macht bereits erfolgreich begonnen hatte. Den »großen Kladderadatsch« erwartete er »in Bälde«, korrigierte sich jedoch mehrmals. Schließlich bezeichnete er das 20. Jahrhundert als das »Jahrhundert der sozialen Revolution«.
Vieles, was Bebel niederschrieb, war dicht an Marx und Engels angelehnt, manches sogar reine Paraphrase. Genau das wollte er: die Ideenwelt der beiden Vordenker der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung übermitteln. Dabei war er sich der Gefahr einer ideologischen Verfestigung bewusst und betrachtete die Auffassungen von Marx und Engels nicht als »Dogmen, die für ewige Zeiten festliegen«. Die gesellschaftliche Entwicklung würde auch sie verändern, dennoch blieben sie für Bebel »die feste Grundlage, von der aus wir weiter streben« (1899). Aber in einem Punkt unterschied Bebel sich deutlich von Marx: in der Nichtbeachtung des Bilderverbots. Er wollte den Arbeitern zeigen, wie die künftige sozialistische Gesellschaft aussehen könnte. Und er tat das wie ein vorausdenkender Analytiker – mit großem Realitätssinn, der dennoch das »goldene Zeitalter« durchschimmern ließ.
1893 äußerte Bebel sich noch einmal zum »Zukunftsstaat«: Den wollten die Sozialdemokraten gar nicht haben, weil es ihnen um etwas anderes gehe, nämlich um »eine sozialistische Gesellschaftsorganisation«, die den Staat überflüssig macht. Bebel zeigte überdies, dass die bürgerliche Klassengesellschaft ihren Untergang selbst bewerkstelligen werde, nicht zuletzt durch ihre »Kulturmittel«. Diese hätten bei den proletarischen Massen die Einsicht in ihre Lage und in die Notwendigkeit, sie umzugestalten, wachsen lassen und so den Umgestaltungsprozess beschleunigt.
Bebel, der Frontmann der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, war und blieb ein Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft. Trotzdem arbeitete er im autokratisch-kapitalistischen System des Kaiserreichs auf vielen praktisch-politischen Gebieten mit beachtlicher Resonanz. Bereits 1893 profi lierte er sich als Gegner des Antisemitismus, den er »kulturwidrig« nannte. Später hat er angesichts der Judenpogrome 1904/05 in Russland den Antisemitismus als eine Bewegung bezeichnet, die die niedrigsten Triebe und Instinkte einer rückständigen Gesellschaft stütze. 1904 ließ er die Klassengegner im Reichstag wissen, dass die Sozialdemokraten im Falle eines Angriffskrieges die »Flinte auf die Schulter« nehmen würden, um deutschen Boden zu verteidigen: »Wir leben und kämpfen auf diesem Boden, um dieses unser Vaterland, unser Heimatland […] so zu gestalten, dass es eine Freude ist, in demselben zu leben, auch für den Letzten von uns.« (Bebel, hg. v. C. Stephan, Bd. 2: 132)
Ein Widerspruch war dies nicht. Für die Sozialdemokraten vor 1914 war es schwer, ihre politischen Ziele zu vertreten. Es gab eine Systemgrenze, die ihren Einfluss drastisch beschnitt. Diese Grenze zu überschreiten, hätte rigide Reaktionen nach sich gezogen, ähnlich dem Sozialistengesetz. Doch die SPD musste auch dafür sorgen, dass sich die weiterhin prekäre soziale Lage der Arbeiterklasse verbesserte. Dazu trug auch bei, dass sie sich als soziokulturelle Gegenbewegung profilieren konnte. Die zukunftsgewisse revolutionäre Zielsetzung und eine reformorientierte praktische Politik gehörten für Bebel deshalb zusammen. In der Vorstellung der Revisionisten und Pragmatiker über ein »Hineinwachsen in den Sozialismus« sah er eine verhängnisvolle Beschränkung, die der Bewegung ihre Begeisterung und Einigkeit kosten könnte.
Als August Bebel 1913 starb, starb der »Kaiser der Arbeiter«. Er hatte die tägliche Mühe im Kampf um ein menschenwürdigeres Dasein für Millionen von Proletariern nicht gescheut und dennoch das sozialistische Endziel nicht als Sternchen am Himmel verglühen lassen. Seine Leidenschaft fasziniert heute noch und ebenso sein Bemühen, eine auf Solidarität beruhende sozialdemokratische Identität mittels einer gefestigten Organisation zu erhalten. Mehr noch: Er hielt es für die »Pflicht eines jeden Menschen […], sich um die öffentlichen Angelegenheiten zu kümmern« und sich – wie wir heute sagen würden – zivilgesellschaftlich und bürgerschaftlich zu engagieren.