32-Stunden-Vollzeit statt Blumen | Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Frauentages


Terminexport im ICS-Format

Nachbericht zur Veranstaltung im Vorfeld des Internationalen Frauentages am 3. März 2021

 

32-Stunden Vollzeit statt Blumen

Ist das Utopie oder längst fällig?

 

Wie weit sind wir als Welt, insbesondere in Deutschland in puncto Gleichberechtigung gekom-men? Wie reflektiert sich die angestrebte Gleichberechtigung in der Berufswelt und in der per-sönlichen Lebens- und Karriereplanung von Frauen? Die online-Veranstaltung „32-Stunden Vollzeit statt Blumen“, namentlich angelehnt an Sally Lisa Starkens Hashtag #stattblumen ist eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro NRW für den internationalen Frau-entag, die genau dieser Fragestellung nachgeht. Teilgenommen haben: Anja Butschkau MdL, frauenrechtliche Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in NRW, Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied Arbeitsbereich Frauenpolitik, sowie Dr. Christian Kellermann Geschäftsführer des Denkwerks Demokratie und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Sally Lisa Starken Mit-Initiatorin von #stattblumen. Die Moderation wurde von der Journalistin und Gründerin von der Kooperative W Tina Srowig übernommen. 

Folgen der Corona-Pandemie: Rückschritt um 50 Jahre für die Gleichberechtigung? 
Die Pandemie hat Fragen der Gleichberechtigung nicht pausiert und schon gar nicht gelöst. Vielmehr verstärkt sie die Erkenntnis, welche viele Mütter schon lange hatten: Sie sind oftmals diejenigen, die in der Karriere zurückstecken, damit zu Hause noch alles rund läuft. Sie sind die Verliererinnen der Pandemie. Frauen sind vermehrt diejenigen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten. Doch trotz dieser Erkenntnis scheint die Hoffnung auf Gegensteuerung vergebens. 
Der Zeitfaktor ist entscheidend für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auch mit Blick auf die geforderte und erstrebte Parität. Nichtsdestotrotz haben die „Verpflichtungen“ der Frauen nicht zwangsläufig z. B. durch Homeoffice abgenommen. Die Diskussion um eine verkürzte Arbeitszeit von 32 Stunden könnte eine Lösung sein. Der Impulsvortrag von Dr. Kellermann hat beleuchtet, dass die Gründe warum Frauen und Männer eine verkürzte Arbeitszeit wollen, aller-dings stark variieren. Während Frauen (49,2%) für familiäre Verpflichtungen ihre Arbeitszeit reduzieren, sind es bei Männern nur 10,9%. 

Gestaltungsspielraum 
Ein Modell der IGZA (siehe Linkliste) schlägt vor, ein Lebensarbeitszeitkonto einzuführen mit 48.000 Stunden verteilt auf 40 Jahre, was 28,8 Wochenstunden ergeben würde. Es gibt zahlrei-che Variationen, wie man sich die knapp 30 Stunden legen könnte. Theoretisch wäre es möglich, z.B. Auszeiten durch Vor-oder Nacharbeiten der Mindestzeiten zu finanzieren. Salden würden auf einem überbetrieblichen Lebensarbeitszeitkonto verwaltet. Für Bezieher_innen von niedrige-rem Einkommen sind staatliche Zuschüsse denkbar.
Das Modell der Volkswagen Initiative „Ich brauche eine #Auszeit“ bietet Mitarbeiter_innen die Möglichkeit einer sechsmonatigen Auszeit. Für die Initiative geht Volkswagen in Vorleistung, da die Mitarbeiter_innen dafür zuvor keine Zeit oder Wertguthaben angespart haben müssen. Sie erhalten während der Auszeit sowohl als auch nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz, 75% des Tarifentgeltes, bis alles zurückgezahlt ist.

Erwerbsarbeit und Pandemie: ein schweres Befangen 
Anja Butschkau merkt an, dass sie in ihrem Umfeld und in ihrer Bürgersprechstunde die Aus-wirkungen der Pandemie sehr vielfältig erlebe. Viele Frauen seien am Ende ihrer Kräfte und die Politik habe es nicht geschafft, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Lehrer_innen und Erzieher_innen spürten die Auswirkungen der Notbetreuung in Kindergärten und Schulen. Was oftmals als Zeitpuffer für viele Eltern diente, fiel nun weg. Die zusätzliche Arbeit wurde in den wenigsten Fällen zu Hause gerecht aufgeteilt, sodass Frauen den Spagat zwischen Beruf und Kinderbetreuung/Homeschooling bewältigen mussten. Sally Starken fügt hinzu, sie habe sich gewundert, wie wenig in den Medien zu der Problematik der strukturellen Benachteiligung von Frauen berichtet wurde. Genau aus diesem Sentiment ist die Aktion #stattblumen entstanden. Auch die Stimmen der Veranstaltungsteilnehmer_innen zeigten sich kritisch: „Die Pandemie hat doch nur sichtbar gemacht, was vorher schon da war. Sorgearbeit, entgeltlich und unentgeltlich, wird nicht wertgeschätzt. Die unentgeltliche Sorgearbeit     (Kinderbetreuung und Pflege) wird ins Private verlagert.“

Beispiele von Konzernen, die schon reduzierte Arbeitszeiten anbieten, zeigen, dass Mitarbei-ter_innen durch diese neu gewonnene Freiheit motivierter und glücklicher seien und sich sogar stärker mit dem Unternehmen identifizieren. Es blieb Zeit für Hobbies und ehrenamtliche Arbeit, ohne der Produktivität bei der Arbeit zu schaden.
Aber wie sieht es bei unteren Lohngruppen? Butschkau wirft berechtigterweise ein, dass „man sich Arbeitszeitreduzierung auch erlauben können muss“. Wenn das Gehalt schon mit regulärer Vollzeit nicht reiche, sei es unmöglich auf dieses zu verzichten. Anpassungen am Arbeitsmarkt und Gesetzesänderungen müssen auch diese Lohngruppen berücksichtigen und Politik dement-sprechende Rahmenbedingungen schaffen. 
Das Konzept der Parität hat viele Facetten. Mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse geht es auch um die Vergütung, gleiches Geld für gleiche und gleichwertige Arbeit. Gützkow betonte, wie wichtig das Engagement einer Gewerkschaft in diesem Bereich sei. Zum Beispiel konnte die Eingruppierung von Grundschullehrer_innen in acht Bundesländern angehoben werden. Für solche Erfolge bedarf es der Vernetzung und Teamwork von Frauen und den Rückhalt der ge-samten Gewerkschaft, genau das sei das Geheimnis.

Unbezahlte Sorgearbeit- ist das noch zeitgemäß?
Statistiken zeigen, was viele schon vermutet haben: Während Männer am Tag eher zwei Stunden Carearbeit leisten (Hausarbeit, Kinder- und Familienbetreuung), sind es bei Frauen schon vier Stunden und 13 Minuten im Durchschnitt. Könnte man dem durch eine 32 Stunden Woche ent-gegenwirken? 
Butschkau bejaht das, denn mit reduzierter Arbeitszeit könnten sich Familien erlauben, die Hausarbeit anders aufzuteilen. Das könne auch das gesellschaftliche Bewusstsein verändern, und tradierte Geschlechterbilder aufbrechen. Aber sind wir wirklich frei in unserer Entscheidung und Planung? Gützkow wendet ein, dass alles was man individuell in der Familie vereinbare nicht wirklich individuell sei, da die Rahmenbedingungen Druck machen, es fehle z.B. an Kita-plätzen und Ganztagsschulen. Und: wo sei diese Widersprüchlichkeit evidenter als beim Ehegat-tensplitting das Fehlanreize für die Aufteilung von Erwerbs- und der Sorgearbeit setze? 
Kellermann betont, dass in Schweden eine höhere Akzeptanz für Feminismus und Gleichberech-tigungsbemühungen bestehe und die dortige Feminismusbewegung es früher geschafft habe ihre Forderungen zu institutionalisieren. Hierzulande sei das nicht unmöglich, aber laut Butschkau fehle es an gesetzlichen Anreizen und Regulationen. Als Vorschlag führte sie an, das Elterngeld an Bedingungen zu koppeln, wie z. B., dass man sich die Elternzeit 50/50 aufteile. Zusätzlich sollten Kindertagesstätten gebührenfrei sein. Betriebs- und Personalräte sowie Gleichstellungsbe-auftragte könnten sich dafür einsetzten, dass Mitarbeiter_innen mehr Zeitsouveränität erhalten. Das Publikum stimmte dem zu, betonte aber auch die Notwendigkeit von verbindlichen Gender-schulungen für Betriebs-und Personalräte und eine bessere Zusammenarbeit mit Gleichstellungs-beauftragten. 

Umsetzungsvorschläge
Die gute Nachricht: Es gibt Lösungen. Die online-Veranstaltung hat gezeigt, dass es schon viele erfolgsversprechende Pilotprojekte und Initiativen gibt. Die 32-Stunden Woche hat viele Vorteile für alle Beteiligten und ermögliche eine stärkere Zeitsouveränität. Der 3. Gleichstellungsbericht und die Digitalisierung der Arbeitswelt offenbart zudem, dass diese Themen mehr ins Auge ge-fasst werden müssen. Diese Dringlichkeit sei auch bei der Kommunalpolitik bemerkbar, so Butschkau. Paritätsgesetze und Rahmenbedingungen müssten auf allen Ebenen geschaffen wer-den - auch auf Kommunalebene. Starken wendete ein, dass politische Beteiligung von Frauen nicht unbedingt eine Machtabgabe bedeute. Man müsse bei den nächsten Bundestagswahlen darauf achten, dass die Belange der Frauen Platz im Parteiprogramm finden. Daher entsprang die Idee, einen „feministischen Wahl-o-Mat“ zu erstellen, der die Parteiprogramme auf frauenpoliti-sche Themen überprüfe. 
Zum Schluss waren sich sowohl Referent_innen als auch Teilnehmer_innen einig, dass es mehr Paritätsgesetze, Quoten und geeignetere Rahmenbedingungen bedarf, um allen Geschlechtern eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Care-Arbeit und Ehrenamt zu ermöglichen, und damit einen weiteren Schritt in Richtung mehr Gleichberechtigung zu gehen. Eine reduzierte Vollzeit wäre wünschenswert und ein Baustein in die richtige Richtung. Für die Umsetzung sind Politik und Wirtschaft gefragt.


Textautorin: Selen Kazan
Redakteurin: Jeanette Rußbült, Landesbüro NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung
 


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Bild: FES Frauentag 2021


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