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Wohnen ist anpassbar und bedarfsgerecht

Leerer Rollstuhl steht in freundlich eingerichtetem Wohnzimmer
Urheber: picture alliance / AnnaStills | Anna Tolipova

Die Vision

Wohnen ist anpassbar, wenn Menschen je nach Lebenssituation in die Wohnform wechseln können, die am besten zu ihnen passt. Dafür muss es entsprechende Angebote geben, auch der Wechsel zwischen Miete und Eigentum muss möglich sein. Bedarfsgerechtes Wohnen heißt vorausschauend bauen. Heute sollte so geplant werden, dass leicht angepasst oder umgebaut werden kann: ein zusätzliches Zimmer, ein Aufzug oder eine Rampe – dann können Menschen leichter umziehen und ihren Bedürfnissen entsprechend wohnen.

Instrumente

Wohnungstauschbörsen
Wohnungstauschbörsen ermöglichen Mieter*innen, ihre Wohnung mit anderen zu tauschen, zum Beispiel aufgrund veränderter Lebensumstände wie Familienzuwachs oder Eintritt in den Ruhestand. Besonders in Ballungsräumen sind solche Plattformen verbreitet, teils initiiert von Städten oder Wohnungsunternehmen. Ihre Wirkung liegt in der besseren Ausnutzung des bestehenden Wohnraums. So können über- oder unterbelegte Wohnungen bedarfsgerecht neu verteilt werden. Entscheidend ist die Möglichkeit, in bestehende Mietverträge einzusteigen, wie es in Österreich oder den Niederlanden bereits praktiziert wird. Um Bewegung in überalterte Einfamilienhausgebiete zu bringen, helfen Tauschbörsen kombiniert mit gezielter Beratung und passendem Neubau.

Vielfältige Wohnformen
Die Mischung unterschiedlicher Wohnformen ist entscheidend für soziale Vielfalt und nachhaltige Stadtentwicklung. Unterschiedliche Angebote, wie z. B. Einzimmerwohnungen, Familienwohnungen, geförderter oder freifinanzierter Wohnraum, Mehrgenerationenhäuser oder gemeinschaftliches Wohnen ermöglichen es Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen und Einkommen, im selben Quartier zu leben. Diese Mischung beugt sozialer Segregation vor und schafft lebendige, resiliente Nachbarschaften. Eine gute Balance zwischen Preisniveaus, Wohnungsgrößen und Ausstattung stärkt den sozialen Zusammenhalt, erleichtert Umzüge innerhalb des Wohngebiets und sichert langfristig die Bezahlbarkeit des Wohnens. Kommunen können mit städtebaulichen Verträgen oder Konzeptvergaben konkrete Wohnformen und Zielgruppen vereinbaren.

Aktive Bodenpolitik
Durch eine aktive, soziale Bodenpolitik tragen Kommunen dazu bei, bezahlbaren Wohnraum langfristig zu sichern und Spekulation mit Grundstücken zu begrenzen. Das bedeutet beispielsweise, dass städtische Grundstücke bevorzugt an Träger des sozialen Wohnungsbaus verkauft oder Erbbaurechte gezielt an gemeinwohlorientierte Akteur*innen vergeben werden. Auf diese Weise behalten Städte Einfluss darauf, wie Grundstücke genutzt werden und sich die Preise entwickeln. Instrumente wie das kommunale Vorkaufsrecht, die gezielte Vorratshaltung von Flächen oder verbindliche Sozialwohnungsquoten in Bebauungsplänen helfen dabei, Preisdruck zu mindern. So kann Bauland für soziale Zwecke gesichert und den Marktmechanismen zumindest teilweise entzogen werden.


Gute Praxisbeispiele

Wohnraumagentur, Stadt Göttingen (Niedersachsen)

Häufig stehen Wohnungen leer oder werden nicht optimal genutzt, weil ein Umzug zu aufwändig erscheint. Die Wohnraumagentur der Stadt Göttingen informiert als kommunale Beratungsstelle seit 2020 kostenfrei zu flächeneffizientem und gemeinschaftlichem Wohnen. Sie unterstützt damit bei Umbau, Umzug, Vermietung und neuen Wohnformen. Eine wichtige Zielgruppe sind Personen in Einfamilienhäusern in der Nachfamilienphase: Durch Umbau oder Teilung können dort neue, sich gegenseitig unterstützende Hausgemeinschaften sowie barrierefreier und neuer Wohnraum entstehen. Durch Kooperation mit örtlichen Wohnungsunternehmen werden außerdem Wohnungen an jene vermittelt, die in ihrer vertrauten Nachbarschaft bleiben, aber in eine kleinere barrierearme Wohnung umziehen möchten.

Bodenpolitik Ulm, (Baden-Württemberg)

Boden ist teuer, einzigartig und oft umkämpft. Mithilfe von Bodenbevorratungspolitik können Kommunen auf die Wohnbedürfnisse einer Region reagieren, die Preise für neue Wohnungen senken und alternativen Trägern die Möglichkeit zur Entwicklung bieten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts betreibt die Stadt Ulm eine Bodenbevorratungspolitik: Sie kauft Liegenschaften, um durch den Vorrat an eigenen Grundstücken eine handlungsfähige Position in der Stadtentwicklung zu behalten. So kann die Stadt ihre eigenen Flächen beispielsweise günstig verkaufen oder verpachten, wodurch auch Gruppen mit weniger Kapital – z. B. kleine Genossenschaften – Wohnprojekte realisieren können. Die Ulmer Bodenpolitik dient seit über 100 Jahren als Vorbild für andere Städte.

Quartiersprojekt Alte Feuerwache, Weimar (Thüringen)

Leerstehende alte Gebäude und lange brachliegende Flächen finden sich in vielen Regionen Deutschlands. Für gemeinwohlorientierte Baugemeinschaften eine Chance, lange und günstig in einem selbst wiederhergestellten Stück Baukultur zu leben. Auf einer innerstädtischen Industriebrache in Weimar hat 2017 eine bürgerschaftlich organisierte Gruppe mit ihrem Innenentwicklungskonzept im erhaltenswerten Bestand die Stadt überzeugt. Finanziert durch eine nachhaltige Bank, Fördermittel und Kollektivkapital, im Modell des Mietshäusersyndikats, entstehen seit 2019 schonend sanierte und zum Teil barrierearme Wohnungen für später 60 Bewohner*innen, acht Gewerbeeinheiten sowie ein offener Quartiersraum und eine genossenschaftlich getragene Bürgermolkerei.

„Jung kauft Alt“ in Oschersleben (Bode) (Sachsen-Anhalt)

Der demografische Wandel hinterlässt Spuren: Nicht selten stehen in den Ortszentren ältere, nicht mehr zeitgemäße Bestandsbauten leer und bleiben ungenutzt. Als Antwort darauf hat die Stadt Oschersleben (Bode) das Programm „Jung kauft Alt“ aufgelegt. Der Erwerb von Altbauten für Wohnzwecke wird hier gefördert. Seit Einführung 2023 unterstützt die Bundesregierung in verschiedenen Städten und Gemeinden mit diesem Förderprogramm junge Familien, die ältere Wohnimmobilien erwerben und sanieren wollen. Ziel ist es, Leerstand zu vermeiden, Dorfstrukturen zu erhalten und nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Die Stadt Oschersleben fördert die Erstellung eines Altbaugutachtens sowie den Erwerb eines Altbaus über eine Laufzeit von fünf Jahren zur Modernisierung oder auch zwecks Abbruch und Ersatzneubau.

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