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Familien in Trennung

Kind mit gelb schwarz kartiertem Hemd und schwarzem lockigem Haar rennt von einer geöffneten Autotür zum Vater im Hintergrund
Urheber: picture alliance / Westend61 | Ivana Kojic

Trennung stellt Familien vor große Herausforderungen. Wie soll das Zusammenleben in Zukunft aussehen? In der Regel ergeben sich neue Wohnsituationen: Ob Nest-, Wechsel-, oder Residenzmodell – der Wohnraumbedarf ändert sich. Das gewohnte Umfeld für die Kinder beibehalten und gleichzeitig eine räumliche Nähe zu beiden Eltern sichern, ist gerade in Ballungsräumen eine kaum mögliche geschweige denn bezahlbare Konstellation. Alleinerziehende sind finanziell besonders belastet. 

Zwei fiktive Personen aus dem städtischen und dem ländlichem Raum machen diese Umbruchsituation anschaulich.


Lisa Kramer, 37 Jahre

Lisa ist Tischlerin in einer selbstverwalteten Werkstatt in Berlin-Neukölln. Nach der Trennung von ihrem langjährigen Partner steht sie mit ihrem 14-jährigen Sohn vor dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung. Die Trennung kam überraschend, auch finanziell. Ihre Arbeit ist erfüllend, aber schwankend in der Bezahlung. Lisa sucht nun eine kleine Wohnung – idealerweise drei Zimmer mit Platz für den Teenager, ihre Werkzeuge und Materialien. Ihre größte Sorge ist, in einen Stadtteil abgedrängt zu werden, der weit von ihrer Werkstatt und der Schule ihres Kindes entfernt liegt. Sie braucht eine Wohnung, die bezahlbar ist, aber auch die Selbstständigkeit als Handwerkerin unterstützt.

Mehmet Aydin, 40 Jahre

Mehmet ist Krankenpfleger in einer Klinik im Umland von Hannover. Nach der Trennung von seiner Frau lebt er allein in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Seine beiden Kinder – sechs und neun Jahre – übernachten regelmäßig bei ihm. Doch die aktuelle Wohnung ist dafür nicht geeignet: Das Kinderbett steht im Wohnzimmer, und Privatsphäre ist kaum vorhanden. Er sucht dringend eine Wohnung mit mindestens drei Zimmern, die seinen Kindern ein zweites Zuhause bieten kann. Die Wohnung sollte möglichst in der Nähe ihrer Schule und seiner Arbeit liegen. Doch im ländlichen Raum sind familiengerechte Mietwohnungen Mangelware. Mehmet fühlt sich zwischen Fürsorge und Existenzsorgen aufgerieben.

Neben emotionalem Stress muss nach einer Trennung mit veränderten Haushaltseinkommen und meist auch veränderten Rahmenbedingungen der Erwerbstätigkeit umgegangen werden, während sich die Kosten für die jeweilige Einzelperson erhöhen. Zudem müssen meist kurzfristig und in der Nähe des alten Wohnorts eine oder auch zwei passende familiengerechte Wohnungen gefunden werden. Für die nun pendelnden Kinder ergeben sich mehrere Wohnorte.

Nach einer Scheidung ist das gemeinsame (geteilte) Sorgerecht in Deutschland der gesetzliche Regelfall. In einer Befragung von Allensbach (2020) gab ein Drittel der alleinerziehenden Mütter und Väter an, dass der andere Elternteil mit zehn Tagen und mehr einen spürbaren Anteil der Betreuung übernimmt. Das Wechselmodell – bei dem die Kinderbetreuung nahezu gleichverteilt ist – hat zwar an Bedeutung gewonnen, wird aber bislang nur von ca. sechs Prozent der getrennt lebenden Eltern umgesetzt. Die Übernahme der Hauptverantwortung für die Kinder weist hingegen eine hohe Konstanz auf: Mehr als zwei Drittel der ehemaligen Paare gaben an, ihr Kind im Residenzmodell an mindestens 25 Tagen in einem Monat ohne Ferien zu betreuen. Dementsprechend ist anzunehmen, dass das Nestmodell, bei dem die Kinder in der gemeinsamen Wohnung wohnen bleiben, während die Eltern abwechselnd dort leben, nur von einer verschwindend geringen Zahl getrennt lebender Eltern praktiziert wird.

Infografiken Familien in Trennung

Die partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung wirkt sich positiv auf die Armutsrisiken von Müttern nach einer Trennung aus. Analog zu dem vorherrschenden Residenzmodell ist aber fast jedes zweite Kind von Armut bedroht – in Paarhaushalten sind es nur 16 Prozent. Viele Alleinerziehende mit schlechter beruflicher Qualifizierung, wenig Berufserfahrung und kleinen Kindern haben Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt. Über ein Drittel beziehen Leistungen nach dem SGB II.

Unter diesen Rahmenbedingungen verschlechtert sich der Zugang zum Wohnungsmarkt und getrennt lebende Frauen mit Kindern müssen häufig ihre gewohnte Umgebung infolge der Wohnungssuche verlassen. Damit entsteht eine Übergangsphase, in der die Unterstützungssysteme wie beispielsweise Kinderbetreuung neu gefunden bzw. aufgebaut werden müssen, was wiederum die Möglichkeit der Erwerbsbeteiligung mindert.

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