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Auszug der Kinder

Junge Frau mit kariertem Hemd und blondem Zopf steht mit dem Rücken zur Kamera, einen gerollten Teppich und eine Topfpflanze unter dem Arm. Drum herum Umzugskartons
Urheber: picture alliance / Westend61 | Uwe Umstätter

Die Kinder sind ausgezogen, und die Wohnung oder das Haus fühlen sich plötzlich leer an. Und jetzt? Auch kurz nach Abschluss der Ausbildung oder des Studiums benötigen viele Kinder übergangsweise Unterstützung. Miete und Lebenshaltungskosten steigen dabei für die ausgezogenen Kinder ebenso wie für ihre Eltern. Sollten die leeren Zimmer jetzt vermietet werden, geht das überhaupt? Oder ist jetzt der richtige Zeitpunkt, über eine altersgerechte Wohnung nachzudenken?

Zwei fiktive Personen aus dem städtischen und dem ländlichem Raum machen diese Umbruchsituation anschaulich.


Martin Seidel, 54 Jahre

Martin lebt seit fast 25 Jahren in einer großzügigen Altbauwohnung in Stuttgart. Seine beiden Kinder sind kürzlich ausgezogen, das Zuhause ist plötzlich still geworden. Er arbeitet weiterhin in Vollzeit in der Stadtverwaltung, doch die Miete steht nun in keinem Verhältnis mehr zum Bedarf. Trotz hoher Nebenkosten zögert er mit einem Umzug, denn eine kleinere Wohnung in guter Lage kostet fast genauso viel oder sogar mehr. Ihm fehlt die Orientierung in dem angespannten Wohnungsmarkt. Ideal wäre eine Zweizimmerwohnung mit Balkon in seinem Stadtteil, aber Angebote sind selten. Martin überlegt, ob eine Wohnform mit Gemeinschaftselementen für ihn infrage käme – aber auch das ist Neuland.

Claudia Giuliani, 54 Jahre

Claudia lebt mit ihrer Partnerin in einem selbst geplanten Einfamilienhaus im Umland von Mainz. Ihre Zwillinge sind kürzlich ausgezogen, und das Haus wirkt seither leer und zu groß. Der Garten ist schön, aber pflegeintensiv. Claudia arbeitet als Architektin im Homeoffice, ihre Partnerin ist viel unterwegs. Die beiden würden mit ihrem Kater gern in eine kleinere, ebenerdige Wohnung mit Terrasse oder kleinem Garten ziehen, möglichst in der Nähe. Doch im ländlichen Raum ist das Angebot an solchen Wohnungen sehr begrenzt. Viele Neubauten sind teuer oder liegen in Neubaugebieten ohne gewachsene Strukturen. Sie fragen sich, ob ein Tausch oder gemeinschaftliches Wohnprojekt eine Lösung sein könnte.

Nicht nur die (meistens erwachsenen) Kinder treten in eine neue Lebensphase ein, wenn sie ihr familiäres Nest verlassen. Für die Eltern beginnt ebenso ein neuer Abschnitt in ihrer Wohnbiografie.

In einigen ost- und südeuropäischen Ländern ist der Nachwuchs zum Zeitpunkt des Auszugs durchschnittlich älter als 30 Jahre. In Deutschland zieht es die Kinder noch deutlich früher in die erste eigene Wohnung. In jedem Fall verschiebt sich die Phase der „Empty Nesters“, also der Eltern, deren Kinder nach Auszug ein meistens zu groß gewordenes Nest zurücklassen, in spätere Lebenslagen.

Das kann auch Vorteile bringen: Die Empty-Nest-Phase liegt zunehmend in den einkommensstärksten Lebensjahren. Je nach individueller Lebenssituation kann der Auszug der Kinder in vielerlei Hinsicht ein „günstiger“ Zeitpunkt sein, um die Wohnung oder das Haus neu auszurichten. Umzug oder Umbau können helfen, Instandhaltung und Wohnkosten zu senken – etwa durch weniger Wohnfläche oder altersgerechten Umbau, solange die finanziellen und körperlichen Ressourcen dafür vorhanden sind. Möglicherweise möchte man sich Küche und Badezimmer teilen oder kann das ehemalige Kinderzimmer im Einfamilienhaus beispielsweise schnell zur vermietbaren Einheit umbauen?

Infografiken Auszug der Kinder

So sinnvoll der Zeitpunkt zur Anpassung der Wohnsituation ist, so schwer kann die Umsetzung werden. Mangelnde Angebote zum Wohnungstausch in der Umgebung, bürokratische Hürden bei Umbau oder Umwandlung von Eigentum in Mietwohnungen können das günstige Zeitfenster schnell eng werden lassen. Wohnen die Kinder außerdem weiterhin in der Nähe, spielt auch die Möglichkeit, auf die Enkelkinder aufzupassen, eine Rolle bei der Entscheidung zur Verkleinerung der Wohnfläche oder der Standortwahl. In Deutschland leben 40 Prozent der Eltern im Umkreis von fünf Kilometern von ihren erwachsenen Kindern. All das kann zum sogenannten Remanenzeffekt führen, dem Verbleib in einer unpassenden Familienwohnung, obwohl die Eltern eine andere Wohnsituation wünschen oder brauchen.

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