Interview mit Stefanie Bremer geführt von Lena Kronenbürger im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung
Lena Kronenbürger: 10 Prozent der deutschen Bevölkerung halten 67 Prozent des Vermögens. Betrachten wir diese 10 Prozent der wohlhabendsten Menschen Deutschlands näher: Sind mehr Frauen oder mehr Männer im Besitz dieses Vermögens?
Stefanie Bremer: Auf jeden Fall mehr Männer. Reich wird man einfacher, wenn man männlich ist.
„Die vorherrschende Meinung lautet:
Männer leiten Unternehmen, Frauen sind für die Familie
und soziale Berufe zuständig“
LK: Wie kommt es, dass Männer in der Regel über ein größeres Vermögen verfügen als Frauen?
SB: Ein Mann bleibt beispielsweisenicht mehrere Monate dem Arbeitsmarkt fern, weil er schwanger ist und sich um den Nachwuchs kümmert. Generell leisten Männer weniger Sorgearbeit als Frauen.Das ist ein Faktor weniger, der den Karriereweg von Männern behindert. Gesellschaftlich sind wir nach wie vor so gepolt, dass die vorherrschende Meinung lautet: Männer leiten Unternehmen, Frauen sind für die Familie und soziale Berufe zuständig. Spätestens seit der Pandemie wissen wir, dass man mit dem Ausüben eines sozialen Berufs nicht unbedingt reich wird, geschweige denn sich einen extravaganten Lebensstil leisten kann.
LK: Inwiefern spiegelt sich diese Vermögensungleichheit auch in der Steuergesetzgebung wider?
SB:Diese krassen Zahlen, dass einfach 10 Prozent der Menschen mittlerweile 67 Prozent des Vermögens in Deutschland halten, werden durch die aktuelle Steuergesetzgebung, die teilweise als verfassungswidrig eingestuft wurde, begünstigt. Es gibt also offene Arbeitsaufträge für die Politik, die geflissentlich ignoriert werden. Es kann nicht sein, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung – ich rede hier von 20.000 bis 30.000 Haushalten bei einer Bevölkerung von 83 Millionen – umfangreiche Steuerprivilegien hat und der ganze Rest nicht. Das finde ich einfach unglaublich ungerecht. Wir alle haben ein Recht darauf, vor dem Gesetz gleich behandelt zu werden und nicht basierend aufunserem Vermögen.
„Wer wird in der Familie bereits
als Nachfolger herangezogen?“
LK: Auch bei Unternehmensübertragungen begünstigen Steuersubventionen überwiegend Männer, wie der sogenannte Gender Gift Gap zeigt.
SB: Ein spannendes Ergebnis des Gender Gift Gap ist, dass bei Erbschaften und Schenkungenvon mindestens 250 Millionen Euro Frauen nur in 32 Prozent aller Fälle begünstigt wurden und 36 Prozent des steuerbefreiten Unternehmensvermögens erhielten. Doch das sind erst einmal nur Zahlen. Wir benötigen Wissen über die Hintergründe. Dochdazu fehlen leider Statistiken.
LK: Was ist denn Ihre Vermutung, warum Männer mehr erben als Frauen?
SB: Ich halte es für möglich, dass das Patriarchat eine Menge damit zu tun hat und dass deshalb viele Unternehmen nur in männlicher Linie vererbt werden. Dass die Firmenchefs sagen: „Ich hoffe,mein Sohn, mein Enkel oder mein Neffe wird das Unternehmen weiterführen. Da muss ich mir keine Sorgen machen, dass er wegen Familienplanung ausfällt“. Dabei sind wir heute schon so weit, dass es dank neuen Arbeitszeit-Modellenmöglich ist,auch mit Familie eine Führungsposition zu übernehmen. Ich kann mir allerdings auch vorstellen, dass die Entscheidung, wem man etwas vererbt, viel mit Prägung zu tun hat. Mit anderen Worten:Wer wird in der Familie bereits als Nachfolger herangezogen oder eben auch nicht?
„Die Vermögensungleichheit an sich
ist schon demokratiegefährdend“
Dann würde ich auch aus eigener Erfahrung sagen, dass es Männern wahrscheinlich etwas leichter fällt, eine solche Verantwortung anzunehmen als Frauen. Wir sehen auch in Studien, dass Frauen ein bisschen zurückhaltender sind, wenn es beispielsweise um Gehaltsverhandlungen geht. So kommt eine Art Teufelskreis zustande: Männer werden als fähig angesehen, Frauen werden eher mit Zurückhaltung oder sogar Selbstzweifeln verbunden– und leiten seltener als Männer Unternehmen. Ich glaube, das verstärkt sich gegenseitig. Aber das ist in meinen Augen auch nicht das Hauptproblem.
LK: Sondern?
SB: Bei Erbschaften von über 200 Millionen müssen wir uns zu allererst darüber im Klaren sein, dass niemand so viel arbeiten kann, dass er dieses Geld selbst verdient hat.Niemand kommt einfach so in den Besitz von acht Autos oder einer griechischen Privatinsel.Es geht um Summen, die sich im Grunde niemand komplett selbst erarbeiten kann. Und wenn doch jemand überdurchschnittlich viel verdient, dann, weil es unter ihm noch etliche tausende Mitarbeiter gibt, die dieses Vermögen miterarbeiten. Das ist ungerecht, weil es die Arbeit anderer Menschen unsichtbar macht. Wir haben uns einfach noch nie ernsthaft darüber Gedanken gemacht, einen Maximal-Lohn einzuführen.
LK: Halten Sie esalso für fehl am Platz, über feministische Steuergerechtigkeit zu sprechen, weil „das große Ganze“, die Steuergerechtigkeit an sich, noch nicht genug Aufmerksamkeit bekommen hat?
SB: Keine Frage: Geschlechterungerechtigkeit ist schlimm. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass die Vermögensungleichheit an sich schon demokratiegefährdend ist. Es ist wichtig, dass wir uns zunächst auf die Gruppen der Vermögenden und der Nicht-Vermögenden konzentrieren, um einen gerechteren Wandel anstoßen zu können. Wenn wir also über feministische Steuergerechtigkeit sprechen, möchte ich sienicht kleiner machen, als sie ist. Ich sehe feministische Steuergerechtigkeitnur nicht als Unterpunktvon Steuergerechtigkeit; für mich ist sie ein Unterthema von Feminismus und Gendergerechtigkeit im Allgemeinen. So ist auchder Gender Gift Gapin meinen Augenmehr ein Ausdruck unserer Gesellschaft als ein Spiegelbild der Steuergesetzgebung.
„Vermögende Stifter_innen treffen die Entscheidung, welche
gesellschaftlichen Probleme angegangen werden – und welche nicht“
LK: Welche Folgen hat es jedoch für unsere Wirtschaft, dass Unternehmen überwiegend an Männer vererbt werden?
SB: Nach wie vor kanndie eine Hälfte der Gesellschaftin deutlich geringerem Maße Einfluss auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens und wirtschaftlichen Handelns nehmen.Frauen sind schlichtweg unterrepräsentiert. Anders ausgedrückt: Wir haben ein starkes Übergewicht an Werten und Handlungszielen, die in männerdominierten Gruppen üblich sind. Damit geht viel Potential verloren.
LK: Was würden Sie sagen, Frau Bremer, wie wird Geld als Machtmittel eingesetzt?
SB: Als nicht vermögender Mensch habe ich seltener die Möglichkeit, ein Start-up zu gründen oder mich in der Politik zu engagieren, weil ich mir zum Beispiel keinen Wahlkampf, keine Berater_innenoder einen teuren Anzugleisten kann, der mich auf Fotos vertrauenswürdig aussehen lässt. Im Allgemeinen gilt: Wenn ich viel Geld habe, kann ich mir zum Beispiel Lobbyst_innen leisten, die meine Meinung vertreten. Dadurch, dass ich andere Leute bezahlen kann, meine Meinung zu vertreten, habe ich Zeit gewonnen und kann mich in der Gesellschaft und vor allem in der Politik viel besser vernetzen. Das ist für jemanden, der nicht vermögend ist, schwieriger. Ich kann meinen Reichtum auch nutzen, um in den Medien Informationskampagnen zu lancieren und damit Informationen zu verbreiten, die meineMeinung untermauern, meine Projekte unterstützen und damit Aufmerksamkeit kapern, die für andere Dinge wichtiger sein könnte. Ebenso treffen im Philanthropie-Sektor überwiegend die vermögenden Stifter_innenmit der Gabe ihres Geldes die Entscheidung, welche gesellschaftlichen Probleme angegangen werden – und welche nicht. Und das ohne demokratische Legitimation oder Kontrolle. Brauchen wir als Gesellschaft wirklich ein weiteres Opernhaus, oder doch lieber funktionierende Schulen?
LK: Wir haben nun von Ihnen gelernt: Das Vermögen in Deutschland ist ungerecht verteilt und liegt zudem vorwiegend in Männerhand. Was muss passieren, damit Frauen einen gerechteren Zugang zu Vermögenswerten erhalten?
SB: Es fängt mit Bildung an! Und das an verschiedenen Stellen. Leider haben Studien gezeigt, dass Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern tendenziell schlechter bewertet werden als Jungen, und dass Jungenin diesen Fächern eher gefördert werden. Wir müssen Lehrer_innenim Idealfall so schulen, dass sie auf diesem Auge nicht blind sind, dies mitbekommen und versuchen, alle gleich zu behandeln. Ich bin auch der Meinung, dass Finanzbildung im Schulunterricht praxisorientierter sein sollte, damit die Schüler_innen keine Angst vor dem Thema haben und in einem sicheren Umfeld Fragen stellen können.
Zu guter Letzt liegt es wirklich an jedem von uns, unsere eigene Einstellung zu überprüfen und aktiv zu werden. Das bedeutet, wirklich jedes Mal, wenn jemand behauptet: „Ach Frauen, die haben doch eh keine Ahnung von Geld“, zu sagen: Nein, das sehe ich nicht so. Leider gibt es keinen einfachen politischen Rahmen, um mehr Wohlstand in die Hände von Frauen zu bringen. Das ist ein Thema, das wir gesellschaftlich regeln müssen.