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Walter Dirks (1901-1991), einflussreicher Linkskatholik und Publizist, hatte nachhaltigen Einfluss auf die intellektuelle und politische Landschaft Deutschlands. Geboren in Dortmund, prägten ihn früh die Erfahrung eines sozialen Abstiegs und die Nähe zur Arbeiterklasse. Als Mitbegründer der "Frankfurter Hefte" setzte er sich stets für eine Verbindung von Katholizismus und Sozialismus ein, förderte die Diskussion um eine sozial gerechtere Gesellschaft und trug zur Öffnung der katholischen Kirche bei. Nach dem Krieg versuchte er kurz in der von Adenauer dominierten CDU mitzuwirken, zog sich jedoch bald enttäuscht zurück und widmete sich seiner publizistischen und gesellschaftskritischen Arbeit. Mit seinem Wirken als Rundfunkjournalist und in Gruppen wie dem "Bensberger Kreis" war er ein wichtiger Impulsgeber für gesellschaftspolitische Debatten.
Hören Sie den Eintrag zu Walter Dirks auch als Hörbuch. (Hörzeit 10:01 Minuten)
Das Schaffen von Walter Dirks (* 8.1.1901 · † 30.5.1991) ist zu reich, der Erfahrungsschatz seines 90-jährigen Lebens – vom Kaiserreich bis zum wiedervereinigten Deutschland – zu breit, seine Betätigungsfelder – vom studierten Theologen und Soziologen über den Musikkritiker, WDR-Redakteur und Herausgeber der »Frankfurter Hefte« – zu vielschichtig, um ihm mit wenigen Attributen gerecht werden zu können.
Wo beginnen, wo enden, um dem das letzte Jahrhundert umspannende Schaffen Dirks’ gerecht zu werden? Beginnen vielleicht mit einer persönlichen Erfahrung, die freilich viele in der frühen Nachkriegsgeneration geteilt haben und mit dem Namen Dirks verbanden. Wie kein anderer war dieser Linkskatholik Kronzeuge, Mutmacher, sich dem konservativen Mief der Adenauer-Zeit und dessen »unausgesprochenem Dogma« (Heinrich Böll, Brief an einen jungen Katholiken, 1958), als Katholik der Partei mit dem C folgen zu müssen, entziehen zu dürfen, ja, in Dirks Verständnis, entziehen zu müssen. Dirks programmatische Hilfe war für viele junge Katholiken dieser Generation Ermunterung zur Auflehnung, wenn von den Kanzeln bis weit in die 60er- und 70er-Jahre gemahnt wurde, Sozialdemokratie, gar Sozialismus seien mit der Lehre der Kirche nicht zu vereinbaren. Insofern war Dirks »Befreiungstheologe « der anderen Art und ein wichtiger Wegbereiter für die Öffnung der frühen bundesrepublikanischen Gesellschaft.
Walter Dirks wurde in Hörde, einem heutigen Stadtteil von Dortmund, im Schatten aufstrebender Stahlwerke als Sohn eines Handelsvertreters geboren. Nach einer Herzerkrankung seines Vaters und damit verbundener Arbeitslosigkeit erfuhr er früh, was sozialer Abstieg bedeutet. Der Kontakt zum Milieu der Arbeiter in der Hörder Hermannshütte blieb für ihn prägend, und er verlor den Kontakt dorthin auch nicht, als er ein Gymnasium im nahen Dortmund besuchen und 1920 Abitur machen konnte. Ebenso bestimmend wurde während seines Studiums der Theologie in Münster und Paderborn sein Beitritt zum Quickborn, einer katholischen Gruppierung der Jugendbewegung. Dort lernte er nicht nur, Körper, Geist und Seele zusammenzudenken, wie Quickborn postulierte, sondern war sich schon damals sicher, dass Katholizismus und Sozialismus ebenfalls zusammen gedacht werden müssten.
Bereits im Studium begann er publizistisch zu arbeiten, erlernte den Journalismus bei der linkskatholischen »Rhein-Mainischen-Volkszeitung« und wurde deren Feuilletonchef. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten für kurze Zeit in Haft genommen, schrieb dann bis zu einem Schreibverbot 1943 als Musikkritiker für die »Frankfurter Zeitung«. Unter ständiger Beobachtung der Zensur war dies für ihn eine Zeit, in der er lernte, wie er einmal sagte, zwischen den Zeilen zu schreiben.
Die Nachkriegszeit, die Phase des (demokratischen) Wiederaufbaus begann für ihn, der auch mal damit kokettierte, ein »linker Spinner« (Dirks 1983) zu sein, mit einem Irrtum. Er gehörte gemeinsam mit Eugen Kogon 1945 zu den Gründern der CDU in Frankfurt, die nach Hoffnungen der beiden einer christlich-sozialistischen Ordnung den Weg bereiten sollte. Eine Illusion, wie sie bald erkannten und ihren Rückzug aus der von Adenauer dominierten Partei einleiteten, weil sich das erhoffte breite Spektrum der Christdemokraten für sie als Chimäre erwies.
Umso erfolgreicher war die ebenfalls von Dirks und Kogon 1946 betriebene Gründung der »Frankfurter Hefte«. Die Kulturzeitschrift sollte nach dem Willen der beiden die geistigen Grundlagen für den Aufbau beschreiben. Dabei sollte es nach dem Willen Dirks’ kein Wiederaufbau sein, sondern ein Neuanfang, und zwar kein deutscher allein, sondern einer, in dem sich Europa zu einer Konföderation, zu einem »europäischen Sozialismus in christlicher Verantwortung« zusammenraufen sollte. Dies war seine »produktive Utopie«, die er 1946 in dem Aufsatz »Die zweite Demokratie – Zum Ziel und zum Weg der deutschen Demokratie« (Frankfurter Hefte) formulierte. Epochemachend wurde ein Aufsatz Dirks’ 1950 in den »Frankfurter Heften«, als er unter der Überschrift »Der restaurative Charakter der Epoche« die Hoffnungen der »Stunde Null« als verloren ansah und durch »Angst, Bedürfnis nach Sicherheit und Bequemlichkeit « verraten sah. Mit diesem Aufsatz geriet Dirks nach dem Urteil von Peter Glotz (S. 132-138) »in die große Politik«, weil er »Adenauers faulen Frieden mit dem Teil des Bürgertums angriff, der die Nazis mitgetragen hatte«. (Glotz 2003) Wie groß der Einfl uss von Dirks und den »Frankfurter Heften« zu dieser Zeit war, sieht Glotz darin bewiesen, dass sich Adenauer selbst zu einer Replik genötigt sah und den Publizisten in der ihm eigenen lakonischen Art mit den Worten abzukanzeln suchte: »Wat der Herr Dirks schreibt, das is janz falsch« (Glotz 2003).
In der Tat waren der Publizist und seine Hefte in den ersten Jahrzehnten der Bonner Republik eine publizistische und moralische Instanz, die mit einer Aufl age von bis zu 75.000 Exemplaren in allen Politikbereichen zu einer wichtigen Stimme wurde. Dabei war es Hauptanliegen, die politische Linke dazu anzutreiben, Verbündete in den neuen sozialen Schichten zu suchen und mit ihnen einen dritten Weg zwischen dem östlichen Sozialismus kommunistischer Prägung und dem erstarrten Kapitalismus des Westens zu finden. Für diese mühsame Suche nahm er es auf sich, bei aller Anerkennung doch Außenseiter zu bleiben. »Den Roten zu schwarz, den Schwarzen zu rot«, dieses Urteil, das mal dem ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, mal dem Fernsehjournalisten Günther Gaus zugeschrieben wird, wird den sich durchaus als unbequem verstehenden Dirks nicht geärgert haben.
Seine »Frankfurter Hefte« behielten einen guten Namen, verloren aber rapide an Auflage und wurden 1985 unter dem damaligen SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz mit der »Neuen Gesellschaft «, deren Chefredakteur Glotz war, zusammengeführt, um in Zeiten geminderten Interesses an Kulturzeitschriften den Bestand von Dirks’ Lebenswerk in der Friedrich-Ebert-Stiftung zu sichern.
Ein weiterer wichtiger Mosaikstein in Dirks Schaffen war seine stilbildende Arbeit als Rundfunkjournalist. Mitte der 50er-Jahre wurde er Hauptabteilungsleiter Kultur beim Westdeutschen Rundfunk, für den er das dritte Hörfunkprogramm konzipierte und bis Mitte der 60er-Jahre verantwortete. Unter ihm wurde dem Sender von den Konservativen wegen kritischer, was in den Zeiten der Restauration eben häufig linker Berichterstattung bedeuten musste, das Label »Rotfunk« verpasst, auch weil er mit jahrzehntelang prägenden Formaten wie »Das kritische Tagebuch« in WDR 3 politischen und kulturellen Außenseitern eine Stimme gab.
Genannt sei schließlich ein weiterer Anstoß, mit dem Dirks frischen Wind in die Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit der Gesellschaft bringen wollte. Im »Bensberger Kreis«, benannt nach dem Ort in der Nähe von Köln, sollten Katholiken mit kritischem und reformerischem Engagement in Kirche und Gesellschaft zusammengeführt werden. »Dieser Kreis«, so schrieb Wolfgang Thierse in seinem Aufsatz »Erinnerung an Walter Dirks« (Thierse 2011: 22),
»meldete sich öffentlich zu Wort – zu Fragen der Friedenspolitik, der Demokratie-Entwicklung, der Verständigung […] mit Polen, zu innerkirchlichen Reformen, zu Gerechtigkeitsfragen, zur Kriegsdienstverweigerung, zum Vietnamkrieg.«
Der Kreis, der sich als Denkfabrik des Linkskatholizismus verstand, erreichte seine wohl größte öffentliche Aufmerksamkeit mit seinem »Bensberger Memorandum« von 1968, in dem die Aussöhnung mit Polen gefordert und nach Einschätzung von Friedrich Boll, dem Herausgeber von Dirks gesammelten Werken, die Polen-Politik Willy Brandts vorbereitet wurde.
Als Walter Dirks am 30. Mai 1991 in Wittnau bei Freiburg starb, wurde er aus vielen Spektren der Gesellschaft als moralische Autorität und verpflichtendes Vorbild gewürdigt.
In seinem Aufsatz »Kurioser Kopf« befürchtete Glotz 2003 allerdings, dass das reiche Werk, in acht Bänden von Friedrich Boll für den Zürcher Ammann Verlag herausgegeben, als Fundgrube nicht mehr genutzt werde. Der Linkskatholizismus sei verschwunden und mit ihm auch das Interesse an Dirks: Hoch geehrt, gelegentlich zitiert, aber nicht mehr gelesen und kaum noch gekannt.
Glotz kann sich geirrt haben. Denn 2014 beleuchteten die Universität Münster und die Friedrich-Ebert-Stiftung auf einer Tagung Dirks’ Schaffen und Bedeutung auch für die Gegenwart. Was den verschwundenen Linkskatholizismus angeht, der könnte – und mit ihm auch Dirks – durch den franziskanischen Papst in Rom auch hierzulande eine Renaissance erleben.
Zu wünschen wäre es, denn das Erbe von Dirks, der wider alle Hoffnung zeitlebens gehofft hat, den dritten Weg durchsetzen zu können, Europa als Ganzes zu denken, Sozialdemokratie mit liberalen Teilen der Gesellschaft zusammenbringen zu können, Katholizismus, Christentum und Sozialismus zusammenzudenken, ist zu wichtig, als dass es auf der Deponie des Vergessens endet. Ein »linker Spinner«, der auch heute noch einlädt, mitzuspinnen.