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Kapitel 10: Wie weiter? Warum eine Veränderung zum Besseren möglich ist

Für politische Veränderungen ist es wichtig, dass mit einer politischen Idee eine Veränderungsrichtung entwickelt wird, eine Vorstellung davon, wie sich die Gegenwart in Richtung einer besseren Zukunft verändern soll. Christian Krell

Hörbuch

Hören Sie das zehnte Kapitel auch als Hörbuch. (Hörzeit 3:52 Minuten)


„Is this the world you want? You’re making it – everyday you’re alive“ singt die Band Switchfoot in ihrem Lied „The world you want“. Sie verweisen auf einen schlichten, aber oft ignorierten Zusammenhang, der für demokratisch verfasste Gesellschaften gilt: Wie unsere Welt aussieht, liegt in unseren Händen. Jeder trägt seinen oder ihren Teil zu dieser Welt bei. Und gemeinsam, wenn man sich zusammenschließt, kann man dieser Welt eine andere Richtung geben. Das ist eine der Erfahrungen der Arbeiterbewegung. In der letzten Strophe von „The world you want“ heißt es: „You change the world!“

Die Leitidee der Arbeiterbewegung erlebt gerade eine erstaunliche Renaissance. Nachdem der Begriff des demokratischen Sozialismus seit den 1990er-Jahren ziemlich aus der öffentlichen und akademischen Debatte verschwunden war, kehrt er nun zurück. In wenigen Jahren sind zahlreiche Bücher veröffentlicht worden, die die Ideen des demokratischen Sozialismus wieder aufnehmen. Robert Misik (2015) erklärt den Gedankenhorizont des Sozialismus, Axel Honneth (2015) beschreibt umfassende soziale Freiheit als die eigentliche Idee des Sozialismus, Klaus Dörre (2021) nimmt Bezug zum Sozialismus für die Vision einer nachhaltigen Gesellschaft und Nancy Fraser (2022) setzt dem „Allesfresser“ Kapitalismus den Sozialismus als Alternative entgegen. Und Thomas Piketty (2021) fordert einen „Sozialismus der Zukunft“.

Für politische Veränderungen ist es wichtig, dass mit einer politischen Idee eine Veränderungsrichtung entwickelt wird, eine Vorstellung davon, wie sich die Gegenwart in Richtung einer besseren Zukunft verändern soll. Ziele, Konzepte und Bilder sind dafür notwendig. Und vor allem die Überzeugung, dass Fortschritt möglich ist und dass tatsächlich eine bessere Welt geschaffen werden kann (Krell, 2022). Fatalismus ist keine politische Haltung.

Dieser kleine Gang durch einige Ideen aus der Geschichte des demokratischen Sozialismus hat auch gezeigt, dass nichts unmöglich ist. Forderungen nach gleichem Wahlrecht, einem Mindestlohn, einer Arbeitslosenversicherung oder der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wurde mitunter verlacht, als sie zum ersten Mal in Reden und Programmen auftauchten. Durch Zuversicht, mutiges Werben und beharrliches Handeln konnten diese Forderungen Praxis werden und das Leben von vielen Menschen verbessern.

Angesichts all der Krisen, mit denen die Welt gerade konfrontiert ist, ist die Kernidee des demokratischen Sozialismus hoch attraktiv: Es geht um eine Welt, die nicht einem zerstörerischen Wirtschaftssystem zum Opfer fällt, sondern auch in Zukunft noch lebenswert ist. Es geht um eine demokratische Ordnung, in der unterschiedliche Interessen fair ausgehandelt und in gute Kompromisse übersetzt werden. Es geht um den Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt gegen Minderheiten. Und es geht um den Kampf für faire Löhne, bezahlbares Wohnen, vernünftige Pflege und sozialen Zusammenhalt. Es geht um einen Staat, der seinen Bürgern dient, sie schützt und ihnen Freiheit ermöglicht. Es geht um eine Gesellschaft, in der jeder und jede ein freies Leben führen kann, in der das Geschlecht oder der soziale Hintergrund nicht über den Lebensweg bestimmt und in der kein anderer entscheidet, wen man lieben darf und wen nicht.


Über den Autor

Prof. Dr. Christian Krell (1977) lehrt Politikwissenschaften und Soziologie. Er hat zur Europapolitik sozialdemokratischer Parteien promoviert und war von 2006 bis 2018 Angestellter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort leitete er die Akademie für Soziale Demokratie und das Büro für die Skandinavischen Länder in Stockholm. Von 2018 bis 2021 war er Professor für Staatsrecht und Politik an der Hochschule des Bundes, seit 2021 ist er an der HSPV NRW. Die Zeitschrift Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte wird von Krell mitherausgegeben, und er ist Honorarprofessor der Rheinischen Wilhelms-Universität Bonn.


Werk

  • Krell, C. (2024). Eine Idee für morgen: Über die Aktualität des Demokratischen Sozialismus. Schuren.
    ISBN 978-3-7410-0288-5.

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