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Hören Sie das erste Kapitel auch als Hörbuch. (Hörzeit 4:25 Minuten)
Das Sommerfest an der Schule meines Sohns war ein voller Erfolg. Es gab jede Menge köstlicher Sachen zu essen, Spezialitäten aus allen möglichen Ländern, alles selbst gebacken oder gekocht. Um die Schule herum waren spannende Spielstationen aufgebaut: Klassiker wie Sackhüpfen waren darunter, auch ein anspruchsvoller Kletterparcours und Vorlesestationen. Beim Kinderschminken konnte jeder und jede sich schminken lassen, egal wie und egal welchen Geschlechts.
Einige Spiele waren von Lehrerinnen und Lehrern vorbereitet, andere von Eltern. Manche Eltern hatten auch einen Getränke-Ausschank organisiert, verkauft wurde zum Einkaufspreis. Auf allzu süße und ungesunde Limonaden wurde dabei verzichtet. Wochenlang wurde geplant und vorbereitet. Manchmal war strittig, ob dies oder das gemacht werden soll. Dann wurde abgestimmt. Alle haben die Abstimmung akzeptiert und gemeinsam weitergemacht.
Viele haben sich eingebracht, jeder nach seinen Möglichkeiten. Und fast jeder hat mitgefeiert, mitgelacht und mitgegessen, ganz nach seinen Bedürfnissen. Die Elternschaft war dabei so bunt wie das Leben selbst: Bankerin, Gebäudereiniger, Anwalt, Programmierer, Hausmann und Steuergehilfin – viele Berufe kommen bei den Eltern zusammen. Mit dabei war auch eine Mutter ohne Arbeitserlaubnis. So unterschiedlich auch alle sind, in der Vorbereitung und beim Fest sind sich alle als Gleiche begegnet. Jeder konnte und durfte mitmachen und mitentscheiden.
Wahrscheinlich wäre niemand an diesem Septembernachmittag auf die Idee gekommen, all das streng kapitalistisch oder autoritär zu organisieren. Das hätte bedeutet: Eintrittspreise an jeder Spielstation, bei den begehrten natürlich höhere Preise. Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Keine Kuchenspenden, sondern Kuchen als Ware nur für diejenigen, die ihn sich leisten können. Und dass es bei der Limo einen ordentlichen Preisaufschlag gibt, ist ja klar, schließlich geht es um Gewinnmaximierung. Kein gemeinsames Überlegen und Abstimmen darüber, was man anbietet, sondern ein Markt, der die Dinge regelt, und im Zweifelsfall ein Machtwort der Schulleitung.
Das, was wir gefeiert haben, war ganz anders. Niemand der Eltern oder der Kinder wollte wahrscheinlich ausdrücklich ein sozialistisches Schulfest organisieren. Und doch ist etwas entstanden, was ziemlich genau den Prinzipien des demokratischen Sozialismus entspricht: demokratisch, frei, mit Rücksicht aufeinander und auf die jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnisse.
Aber ist das schon demokratischer Sozialismus, wenn alle gemeinsam ein Fest organisieren, sich dabei auf Augenhöhe begegnen und nicht den Geldbeutel, das Geschlecht oder die Hautfarbe entscheiden lassen? Bei der Antwort hilft ein genauerer Blick auf das, was demokratischer Sozialismus eigentlich ist und was sich mit dieser Idee verbindet.
Die Anfänge dieser Idee liegen weit zurück. Sie können mit der Französischen Revolution von 1789 und der Philosophie der Aufklärung in Verbindung gebracht werden. Über zwei Jahrhunderte hinweg haben Ideen des demokratischen Sozialismus Gesellschaften in allen Teilen der Welt geprägt. Und auch heute noch taugen diese Ideen für Zukunftsentwürfe.
In zehn kurzen Abschnitten sollen jeweils wesentliche Gedanken aus der Ideenwelt des demokratischen Sozialismus skizziert werden. Sie folgen historisch lose aufeinander, ohne dass daraus schon eine umfassende Geschichte des demokratischen Sozialismus entstünde.
Die Ideengeschichte wird dabei immer wieder verbunden mit der Bewegungsgeschichte. Denn das, was Theoretiker:innen vorgedacht haben, hat oft die politische Praxis und das unmittelbare Leben vieler Menschen beeinflusst. Und umgekehrt haben die praktischen Erfahrungen, die in der Arbeiterbewegung und darüber hinaus gemacht wurden, auch die politischen Ideen beeinflusst. Wer wissen will, was es mit dem demokratischen Sozialismus auf sich hat, muss beides in den Blick nehmen: Theorie und Praxis.
Prof. Dr. Christian Krell (1977) lehrt Politikwissenschaften und Soziologie. Er hat zur Europapolitik sozialdemokratischer Parteien promoviert und war von 2006 bis 2018 Angestellter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort leitete er die Akademie für Soziale Demokratie und das Büro für die Skandinavischen Länder in Stockholm. Von 2018 bis 2021 war er Professor für Staatsrecht und Politik an der Hochschule des Bundes, seit 2021 ist er an der HSPV NRW. Die Zeitschrift Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte wird von Krell mitherausgegeben, und er ist Honorarprofessor der Rheinischen Wilhelms-Universität Bonn.