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"Es muss nicht immer kompliziert sein"

Interview mit Miriam Yasbay

 

 

Miriam Yasbay ist multidisziplinäre Innovations-Designerin, Zukunftsforscherin und Entrepreneurin. Von 2014-2016 leitete sie ein Programm an der HPI School of Design Thinking in Potsdam. Seither begleitet Miriam Yasbay Entrepreneure und Organisationen weltweit dabei, Produkte, Serviceangebote, Leadership-Kompetenzen und Teams zu entwickeln. Sie nutzt Methoden aus den Bereichen Zukunftswissenschaften, Sozialwissenschaften, Design, Behavioural Economics und Neurowissenschaften, um kreative und zugleich nachhaltige Lösungen zu schaffen. In ihrem Buch "The invisible strategies of entrepreneurs" illustriert Miriam Yasbay Erkenntnisse aus ihrer jahrelangen Arbeit mit spannenden Menschen auf der ganzen Welt.

MuP: Miriam Yasbay, was bedeutet für Sie Innovationsmanagement in einem Satz?

Miriam Yasbay: Die Herstellung und Durchführung von Bedingungen, Denk- und Verhaltensweisen, die innovationsfördernd sind.

 

MuP: Warum sollten sich NPOs mit Innovationsmanagement befassen? Was bedeutet soziale Innovation?

Miriam Yasbay: Das Wort Innovation an sich ist schon fast ein bisschen veraltet. Und ich würde auch behaupten, dass in den meisten Organisationen angekommen ist, dass Rahmenbedingungen für stetige Weiterentwicklungen gegeben sein müssen. Das ist mittlerweile eigentlich Standard. Durch all die rasanten, weltweiten Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Technologie sind wir alle gezwungen, stetig Neues zu entwickeln. Daher gibt es heutzutage kaum noch Führungskräfte, die denken: „Wir brauchen keine innovationsfördernden Rahmenbedingungen, wir können einfach immer alle so weitermachen wie bisher.“

Allerdings hapert es häufig an der systematischen Umsetzung und hier kommt das Innovationsmanagement ins Spiel. Meiner Erfahrung nach werden innovative Ansätze im Non-Profit-Bereich leider häufig nicht so strategisch durchgeführt, wie im For-Profit-Bereich. Eine strukturierte Herangehensweise könnte hier sehr viel Mehrwert schaffen. Gerade in Bereichen sozialer Innovation – also der Gestaltung von Neuem mit sozialem Mehrwert –, wo viel mit Menschengruppen gearbeitet wird, ist es beispielsweise wichtig, nutzer*innenzentriert zu denken und diesen Bezug im Innovationsprozess systematisch zu berücksichtigen.

 

MuP: Was ist das Besondere an Innovationsmanagement? Wo sind die Grenzen zu Change-Management oder der lernenden Organisation?

Miriam Yasbay: Change-Management kann alles Mögliche bedeuten. Aber im Kontext Innovation geht es tendenziell darum, eine Organisation, die eher unflexibel, häufig hierarchisch, strukturiert ist, in eine agilere, bzw. zeit- oder kontextgemäße Arbeitsform zu bringen. Da geht es häufig um Fragen wie „Wie können wir Hierarchien abbauen? Wie können wir Ziele mit flexibleren Prozessen erreichen, mit welchen Tools und Methoden? Wie können wir Arbeit sinnvoll strukturieren und kollaborative Zusammenarbeit im Team ermöglichen?"

Im Gegensatz dazu geht es beim Innovationsmanagement meist darum, Räume zu schaffen, in denen Neues kreativ entwickelt werden kann und Innovationsprozesse systematisch zu steuern. Häufig stehen auch konkrete Outputs, Produkte, oder Service-Ideen im Fokus. Die Linien sind hier aber nicht immer trennscharf, besonders in der Praxis. Denn sowohl beim Change-Management als auch beim Innnovationsmanagement geht es im weitesten Sinne darum, Veränderung bzw. Neues zu ermöglichen und zu gestalten. 

 

MuP: Ist die Nutzer*innenzentrierung ein Kernmerkmal von Innovationsmanagement? Was sind weitere Elemente?

Miriam Yasbay: Nicht immer aber meistens. Wenn in NPO's Neues gestaltet wird, dann in der Regel, um Mehrwert für eine bestimmte Zielgruppe zu schaffen – organisationsintern oder extern. Somit ist es ratsam, Nutzer*innen im Blick zu behalten.

Daneben gibt es meist eine Methode oder Methoden, die gezielt ausgewählt werden, um Projekte umzusetzen, beispielsweise Design Thinking, Business Model Canvas oder Scrum. Häufig beinhalten diese auch prozessuale Philosophien und Herangehensweisen. Im Gegensatz zu traditionellen Prozessplanungen braucht Innovation Luft und Raum für mögliche Anpassungen, Schleifen und Umwege. Insbesondere Nutzer*innen-Feedback führt häufig zu Iterationen von Ideen und Prozesse müssen entsprechend flexibel statt linear geplant werden.

Zuletzt spielt das Mindset eine große Rolle. Innovationsmanagement muss Räume ermöglichen, in denen ausprobiert werden darf und Fehler und Lernerfahrungen gemacht werden können, um möglichst mehrwertige Ergebnisse zu erzielen. Kreatives oder visionäres Denken und Handeln sowie Teamarbeit erfordern Offenheit, Zeit und Bereitschaft.

 

MuP: Was können Non-Profit-Organisationen konkret tun, wenn sie aus Routinen ausbrechen und Raum für Veränderungen schaffen wollen? Wie kann innovatives Arbeiten ermöglicht und gefördert werden?

Miriam Yasbay: Es ist immer hilfreich, sich bewusst und gemeinsam als Team in einen anderen Modus zu bewegen und die Zeit aufzuwenden, die ein solcher Prozess benötigt. Konkret bedeutet das beispielsweise für einige Stunden oder Tage konzentriert an einem Thema oder Ziel zu arbeiten, im Rahmen von Workshops oder Team-Retreats. So kann der Kopf bewusst von Routine auf Neues „umschalten“.

Zudem kann ich empfehlen, niedrigschwellige „Game Changer“ in den Alltag einzubauen. Wenn eine offene Feedback-Kultur etabliert werden soll, kann man beispielsweise einen regelmäßen Slot und einen zielführenden Ablauf festlegen, bspw. wird dann bei jedem Team Meeting für 5-10 Minuten Feedback gesammelt und ad hoc verarbeitet. Es muss nicht immer kompliziert sein. Man kann sich fragen: Was sind die Dinge, die wir jetzt, schnell und ohne großen Aufwand aber mit großer Wirkung umsetzen könnten.

Und zuletzt muss die Leitungsebene hinter dem Prozess stehen. Manchmal kommen Führungskräfte auf mich zu und beklagen sich darüber, dass ihre Mitarbeitenden nicht innovativ, initiativ oder kreativ genug sind und dann stelle ich fest, dass die Leitungsebene Unmögliches erwartet, bzw. die nötigen Grundvoraussetzungen nicht geschaffen sind. Innovation ist kein Schalter, den man einfach umlegen kann und es ist nichts, was man mal eben „on top“ machen kann. Es braucht bestimmte Bedingungen, um innovativ denken und arbeiten zu können. Einen bestimmten Freiraum, um Neues entwickeln zu können. Es muss von der Leitungsebene auch anerkannt werden, dass nicht jede Arbeit unter den gleichen Umständen gut und zielführend zu leisten ist. Und hier bestehen oftmals Widersprüche, die von der Leitungsebene ausstrahlen. Mitarbeitende sollen innovativ sein aber unter den gleichen Bedingungen wie immer. So entstehen Überforderung und Frustrationen auf allen Seiten. Viele verstehen nicht, dass Neues nicht nur on top erreicht werden kann, sondern auch Altes losgelassen werden muss. Und das ist der springende Punkt: Alle wollen innovativ sein, aber es wird selten reflektiert, was die Konsequenz ist. Wenn man Prozesse flexibel aufsetzt, sind diese beispielsweise nicht mehr so vorhersehbar. Da hilft es, alles einmal auf den Tisch zu bringen, beispielsweise in einer moderierten Runde. Sowohl Leitungsebene als auch Teamebene müssen ehrlich sein: Woran halten wir fest und was lassen wir zu? Wo wird es unbequemer? Wo undurchsichtiger und schwieriger? Wo riskieren wir plötzlich etwas, wofür wir uns nicht bereit fühlen? Was können oder müssen wir realistischerweise tun, um unsere Ziele zu erreichen?

 

MuP: Im Non-Profit-Bereich sich die Ressourcen oft sehr begrenzt. Gerade der Zeitmangel ist ein häufiges Argument, warum sich Organisationen nicht intensiver mit Innovationen beschäftigen können. Wie können Organisationen mit diesem Spannungsfeld umgehen?

Miriam Yasbay: Mit Blick auf diese Frage gibt es eindeutig zeitbezogene Faktoren aber eben auch psychologische Hürden. Schauen wir uns zunächst das Zeitproblem an. Fakt ist, wenn ich 40 Stunden in der Woche benötige, um das Nötigste zu bearbeiten, dann ist schlicht keine Zeit mehr für Anderes. Eine Möglichkeit kann es dann sein, die Zeit für innovatives Arbeiten strukturell einzubetten. Das heißt sich bewusst zu machen, welche zusätzliche Zeit realistisch nötig ist und diese ggf. bereits bei der Projektanstellung zu berücksichtigen und einzuplanen. Eine weitere Option ist es, kleine „Game Changer“ einzubauen, die nicht viel Raum benötigen, wie beispielsweise kleine Feedback-Einheiten vor Meetings einzubauen, um auf mein vorheriges Beispiel zurückzukommen.

Aber wenn ich ehrlich bin, führt kein Weg daran vorbei, dass Innovation schlicht ein gewisses Maß an Zeit braucht und Organisationen sich gemeinsam überlegen müssen, wie sie diesen Raum schaffen können. Und hier kommen wir zur psychologischen Hürde, die häufig unter den Tisch gekehrt wird. Studienergebnisse belegen, dass es neurologisch und psychologisch unterschiedliche Modi gibt, in denen wir arbeiten. Wenn eine faktenbasierte, informationsbasierte oder wissenschaftsbasierte Arbeit ausgeführt wird, ist der Kopf in einem anderen Modus, als wenn man kreativ arbeitet. Das heißt, selbst wenn wir eine halbe Stunde am Tag übrighaben, können wir das nicht einfach an- und ausschalten. Zumindest nicht, wenn wir es nicht gewohnt sind und wenn die Räume dazu nicht da sind. Die müssen von der Organisation geschaffen werden. Es braucht also nicht nur Zeit und Strategie, sondern auch ein Bewusstsein darüber, dass die Organisation der Zeit für kreative Arbeit anders gehandhabt werden muss als Routinearbeiten.

 

MuP: Was sind erste Schritte für Non-Profit-Organisation, die mehr Raum für Innovationen schaffen wollen?

Miriam Yasbay: Am wichtigsten finde ich, mit einer klaren abgestimmten Vision in den Prozess zu starten. Was wollen wir eigentlich? Warum machen wir das hier? Was sind unsere Ziele und was ist unsere Mission? Zu diesen Fragen braucht es eine abgestimmte Antwort. Es müssen nicht alle hundertprozentig an Bord sein, aber es sollte niemand ein klares unausgesprochenes Veto haben. Die Ziele sollten ganz transparent gesetzt und aufgeschrieben werden. An dieser Stelle bricht interessanterweise oft Panik aus, da dies nicht nur bedeutet, Uneinigkeiten zu klären, sondern auch sich zu verantworten. Eine gemeinsame Vision ist aber viel Wert, da sie eint und man im Verlauf von Prozessen immer wieder daran anknüpfen kann.

Darüber hinaus müssen Entscheidungen zu Räumen, Prozessen und Herangehensweisen getroffen werden. Hierbei sind drei Aspekte zentral: 1. Die ehrliche Beleuchtung von Hürden, Potentialen sowie die entsprechende Lösungsfindung. 2. Ein realistischer Plan zur Verankerung der Maßnahmen und jeweiligen Verantwortlichkeiten und 3. Regelmäßige Check-ins und Updates, um die Prozesse stetig weiterzuentwickeln und Raum für Feedback zu schaffen.

 

MuP: Welche Rolle spielt so das Thema Macht, Diskriminierung und Intersektionalität beim Thema Innovationsmanagement?

Miriam Yasbay: Diese Themen spielen meines Erachtens nahezu immer eine Rolle, nicht nur beim Thema Innovationsmanagement. Organisationen sowie Führungskräfte sind häufig von gewissen Interessen geleitet, wenn es um die Frage geht, was neu entwickelt werden soll oder nicht und Machtstrukturen können hier natürlich zum Tragen kommen. Eine Besonderheit im Kontext Innovationsmanagement ist jedoch, das Teamarbeit und Multiperspektivität häufig explizit angestrebt werden, bzw. häufig eine Grundprämisse sind. Vor zehn Jahren war es ja noch bahnbrechend, dass man versuchte, ohne Hierarchie in einem interdisziplinären Team zu arbeiten. Grundsätzlich würde ich behaupten, dass mittlerweile in den meisten Organisationen – zumindest in der Theorie – angekommen ist, dass Augenhöhe und Diversität mit Blick auf Perspektiven und Expertise nicht nur wünschenswert ist, sondern auch die Ergebnisqualität erhöhen kann, insbesondere im Kontext Innovation. Das bietet dann auch die Chance, sich bestimmte Perspektiven sehr viel aktiver, strategischer und systematischer reinzuholen.

 

Wir bedanken uns für das Interview!       
Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartner*innen geben deren eigene Auffassungen wieder.

Dieses Interview wurde verschriftlicht und redaktionell überarbeitet. Bonn, 2025

Thema im Fokus: Innovationsmanagement in NPOs

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