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Rückschau auf die Vergabetagung 2024: Tariftreue – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Bereits zum achten Mal hatten die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der DGB am 12. November zur gemeinsamen Vergabetagung eingeladen. Unter dem Titel „Tariftreue. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ diskutierten Experten*Expertinnen, politische Vertreter*innen und Gewerkschafter*innen die Bedeutung des Bundestariftreuegesetzes für faire Arbeitsbedingungen und eine gerechte Vergabe öffentlicher Aufträge. Etwas im Windschatten, aber nicht minder wichtig, sollte durch das ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarte Vergabetransformationspaket das Vergaberecht modernisiert und an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Beide Vorhaben standen deshalb im Fokus ersten Tagungshälfte.

 

Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung lag am Nachmittag auf dem Thema Kontrollen. Schließlich geht es nicht nur darum, dass Tariftreueregelungen in Vergabegesetzen auf dem Papier bestehen, sie müssen auch in der Praxis wirksam sein. Kontrollsysteme spielen daher eine wichtige Rolle für eine effektive Umsetzung von Tariftreueregelungen.

Julia Blasius, Leiterin des Referats Politische Beratung und Impulse der FES und Gastgeberin der Tagung, betonte bei ihrer Begrüßung, dass mit einem Bundestariftreuegesetz ein wichtiges Signal gerade an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesendet werden können, auch auf Bundesebene ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Schließlich hätten bereits sechs Bundesländer mit eigenen Tariftreuegesetzen bereits deutliche Akzente in diese Richtung gesetzt. Jetzt hätte ein. Das dies nach dem Scheitern der Ampel jetzt nicht mehr gelänge, sei deshalb auch so bitter, denn man sei einem Bundestariftreuegesetz noch nie so nah gewesen.

In der zweiten Begrüßung durch Stefan Körzell, Geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied des DGB, erinnert er daran, dass die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Mindestlohnrichtlinie verpflichtet sei, einen Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung vorzulegen. Schließlich sei man weit von der in der Richtlinie geforderten Zielmarke, dass 80 Prozent der Beschäftigten unter Tarifbedingungen arbeiten sollen, entfernt. Das Bundestariftreuegesetz hätte seiner Ansicht nach auf diesem Weg dorthin ein echter Game-Changer werden können, um die Tarifbindung in der Bundesrepublik Deutschland langfristig zu erhöhen. Der jetzt vorliegende Entwurf könne aber wenigstens als Blaupause für eine neue Bundesregierung gelten. Der DGB werde deshalb alles daransetzen, dass bei der jährlichen Vergabe öffentlicher Aufträge im Wert von Hunderten von Milliarden Euro nicht derjenige den Zuschlag bekommt, dessen Angebot auf Dumpinglohnbedingungen beruhe.

Das politische Vorhaben für ein Bundestariftreuegesetz begrüßt auch Prof. Dr. Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs bei der Hans-Böckler-Stiftung (HBS), in seinem wissenschaftlichen Einführungsvortrag „Chancen und Grenzen: Was kann das Bundestariftreuegesetz“. Ein zentraler Punkt für ein wirksames Tariftreuegesetz sei dessen Reichweite: Während einige Bundesländer umfassende Regelungen hierzu getroffen haben, gelten in anderen hohen Schwellenwerten oder eingeschränkte Anwendungsbereiche. Dies beeinflusse, so Schulten, die Wirksamkeit und Reichweite von Tariftreueregelungen erheblich. Zudem habe sich gezeigt, dass sich die Umsetzung doch wesentlich komplexer gestaltet als oftmals angenommen: Vergabestellen wüssten oft nicht, welche Tarifverträge gelten. Modelle wie das Berliner Verweismodell oder das saarländische Verordnungsmodell sollen dies erleichtern, benötigen aber personelle Ressourcen und rechtliche Klarheit. Ein weiteres Problem bestehe in einer wirksamen Kontrolle der Regelungen: Die Aufsicht sei in Deutschland stark zersplittert. In der Praxis fehlten oft wirksame Überprüfungsmechanismen.

Insgesamt zeige sich, dass Tariftreuegesetze ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung der Tarifbindung seien, ihre volle Wirksamkeit sich jedoch nur durch eine klare gesetzliche Reichweite, eine gut organisierte Umsetzung und eine effektive Kontrolle entfalten könne, resümiert Schulten abschließend.

Für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) machte Staatssekretärin Lilian Tschan in ihrer Keynote deutlich, dass das Bundestariftreuegesetz einer der zentralen Anliegen der Bundesregierung für diese Legislaturperiode gewesen sei. Der Bund gäbe jährlich 30–40 Milliarden Euro für öffentliche Aufträge aus. Dabei sei von zentraler Frage, wie dieses Geld eigentlich ausgegeben wird und welche Anreize der Staat damit setzen wolle. Aus Sicht des BMAS sei deshalb klar, dass dem Staat bei der öffentlichen Auftragsvergabe eine klare Vorbildfunktion obliegt. Vielmehr müsse er sicherstellen, dass öffentliche Gelder nicht zur Finanzierung von Lohndumping und schlechten Arbeitsbedingungen verwendet werden dürften. Politisch, bekräftigte Tschan,  setze das Bundestariftreuegesetz ein klares Zeichen für soziale Gerechtigkeit und faire Wettbewerbsbedingungen. Da viele Bundesländer auf eine bundeseinheitliche Regelung warten, könnte es zudem als Maßstab für zukünftige Landesgesetze dienen.

In einer weiteren Keynote erläuterte Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das Vorhaben seines Hauses zur Modernisierung des Vergaberechts. Ziel sei es, öffentliche Aufträge als Hebel für eine nachhaltige und sozial gerechte Wirtschaft zu nutzen. Dazu gehörten verpflichtende ökologische und soziale Vergabekriterien sowie Negativlisten für nicht nachhaltige Produkte. Beide Gesetzesvorhaben seien deshalb nicht voneinander losgelöst zu betrachten. Gleichzeitig sollen Vergabeverfahren vereinfacht und wirtschaftlicher gestaltet werden, etwa durch höhere Schwellenwerte für Direktvergaben. Die Reformen im Vergaberecht seien mit den Bundesländern politisch breit abgestimmt und orientieren sich an EU-Vorgaben.

Im Anschluss an eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum stand der zweite Teil der Tagung ganz im Zeichen notwendiger Kontrollmechanismen, damit Tariftreueregelungen tatsächlich angewandt werden würden. Prof. Dr. Karen Jaehrling betonte in ihrem wissenschaftlichen Eingangsstatement, dass vertrauensbildende Kontrollen die bürokratischen Anforderungen senken könnten. Bürokratie sei vor allem aus der Zielsetzung entstanden, mehr Wettbewerb zu schaffen und gleichzeitig qualitätsorientierte Vergaben zu fördern. Die Vorgaben im Vergaberecht allein seien nutzlos, so Jaehrling, wenn diese nicht durch konsequente Überprüfungen begleitet werden würden. Insbesondere tarifgebundene Unternehmen hätten das Vertrauen in das System verloren, da Verstöße gegen Tarifvorgaben oft nicht geahndet würden. Die Lösung sei deshalb ein strategischer Kontrollansatz, der die Professionalisierung und Kooperation zwischen Behörden, Sozialpartnern und Beratungsstellen fördere. Beispiele aus Dänemark und Italien hätten gezeigt, dass transparente und verbindliche Standards, kombiniert mit wirksamen Sanktionen, Vertrauen schaffen könnten.

Bruno Schmucki, Mitglied der Sektorleitung Bau der Schweizer Gewerkschaft Unia, stellte das dortige System zur Kontrolle der Gesamtarbeitsverträge (GAV, Pendant zu Flächentarifverträgen in Deutschland) vor. In der Schweiz sind bei allgemeinverbindlichen GAV die Vertragsparteien für die Durchsetzung verantwortlich. Schmucki erläuterte eindrucksvoll die personellen Ressourcen der gemeinsamen von den Vertragsparteien besetzten Kontrollkommission, die Arbeitsweise und auch die spürbaren Konsequenzen für Unternehmen, die gegen die Verträge verstoßen. Die intensiven Kontrollen und auch die Transparenz der Ergebnisse (Baucard) genießen offenbar eine hohe Akzeptanz, die sich u.a. in einer deutlichen Zunahme (Verdreifachung zwischen 1999 und 2023) allgemeinverbindlicher GAV niederschlägt. Wäre dieser Ansatz auch in Deutschland denkbar? Derzeit schwer vorstellbar, aber nicht unmöglich. Dieses Fazit ließe sich zumindest aus den Erfahrungsberichten von Christine Heydrich, Geschäftsführerin der Sozialkasse des Berliner Baugewerbes und Hermann Ooster vom Prüf- und Ermittlungsdienst SoKa-Bau Berlin. Obwohl der Berliner Prüf- und Ermittlungsdienst, anders als in der Schweiz, keine formalen Kontrollrechte besitzt, wird ihre Arbeit, also die Kontrollen, durchaus akzeptiert. Allerdings gelte dies nur für Unternehmen, die Interesse an einem fairen Wettbewerb in der Bauwirtschaft haben. Der Workshop hat gezeigt, dass eine stärkere Selbstverantwortung der Tarifparteien für die Durchsetzung ihrer Vereinbarungen nicht nur möglich ist, sondern auch erfolgreich sein kann.

Ein weiteres Panel befasste sich mit der Kontrollpraxis auf Länderebene am Beispiel des Saarlandes und des Landes Berlin. Stephan Bach, Leiter der Prüfbehörde Tariftreue im Arbeitsministerium des Saarlandes, erläuterte das dortige Kontrollverfahren. Hier setzte man, so Bach, voll und ganz auf Vorort-Kontrollen und habe damit gute Erfahrungen gemacht. In Berlin hingegen, erwiederte Annette Parys, Leiterin der zentralen Kontrollgruppe, kontrolliere man ausschließlich nach Aktenlage. Einig war man sich, dass mehr Personal für effektive Kontrollen nötig sei. Auch bessere Wissensvermittlung könne helfen, dass sich Vergabestellen als auch Anbieter über die rechtlichen Rahmenbedingungen besser im Klaren seien.

Die abschließende Fishbowl-Diskussion befasste sich mit den Herausforderungen und Möglichkeiten arbeitsrechtlicher Kontrollmechanismen im Vergaberecht. Die Diskussionsteilnehmenden, darunter der Bundestagsabgeordnete Matthias Papendieck (SPD) und weitere Expert:innen, erörterten zentrale Fragen der gesetzlichen Regulierung von Arbeitszeiten, die Problematik von Subunternehmerstrukturen sowie mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrolle von Tarifverträgen im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe. Es wurde deutlich, dass eine effektive Umsetzung von Tariftreue- und Vergabegesetzen nur gelingen kann, wenn strukturelle Probleme wie mangelnde Kontrollen und bürokratische Hürden angegangen werden. Dabei waren sich die Teilnehmer:innen einig, dass es eines entschiedenen politischen Willens bedarf, um eine gerechtere und effektivere Arbeitskontrolle durchzusetzen.


Weitere Eindrücke von der Tagung


Ansprechpartnerinnen

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030 26935-8313
Susan.Javad(at)fes.de

Benjamin Schmidt

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