Verteidigung braucht Kooperation

Kein europäischer Staat ist groß genug, um die globalen Machtverschiebungen alleine beeinflussen zu können, gerade wenn es um Fragen der Verteidigung geht. Mehr Kooperation in der EU ist notwendig.

Verteidigung, Rüstung, Militär – Themenbereiche, die sich nicht gerade für Sonntagsreden eignen, insbesondere nicht in Deutschland. Die Notwendigkeit und der Nutzen von Armeen lässt sich heute viel weniger selbstverständlich vermitteln, als etwa noch zu Zeiten des Kalten Krieges. Doch scheint die Friedensdividende ebenso aufgebraucht – auch in Europa, wo man noch in den letzten 20 Jahren davon ausging, dass gewaltsam ausgetragene Konflikte nur anderswo stattfinden.

Auch wenn der Krieg nie verschwunden war und sich in Jugoslawien in den 1990er Jahren von seiner grausamsten Seite zeigte, so ist er doch in jüngster Zeit – gefühlt und auch geographisch – sehr nahe gerückt. Die Ukraine, Syrien, Paris und Brüssel, das sind die Chiffren, anhand derer Europas Bürger_innen ihr Bild von Krieg und Gewalt formen. Und wie verhalten sich die Staaten und die Europäische Union dazu? Wie steht es um die GSVP, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU?

Nicht besonders gut, wenn man den Bericht „Mehr Europa in der Verteidigung“ liest. In Auftrag gegeben vom Brüsseler FES-Büro und dem Think Tank Centre for European Policy Studies (CEPS) ist er das Ergebnis einer 17-köpfigen Task Force erfahrener Europapolitiker_innen, darunter die ehemaligen NATO-Generalsekretäre Javier Solana,  Jaap de Hoop Scheffer und die ehemalige litauische Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga. Sie kommen zu dem Schluss, dass die GSVP insgesamt effizienter und effektiver werden muss und schlagen dazu eine „Europäische Verteidigungsunion“ (EVU) vor. Ausgehend von der Einschätzung, dass die Verteidigungspolitik das „schwächste Glied in der Kette des europäischen Integrationsprojekts“ sei, skizziert der Bericht, weshalb die EVU nötig ist und wie die Ziele – mehr Kooperation und Integration – zu erreichen sind.

Auf drei Feldern sieht sich die EU als sicherheitspolitischer Akteur heraus- und in ihrer derzeitigen Verfassung überfordert. Da ist zunächst einmal das strategische Umfeld, das die Autoren als einen „Bogen der Instabilität“ beschreiben, der sich von Nord- und Ostafrika über den Nahen Osten in den Kaukasus bis nach Osteuropa spannt. Gleichzeitig hat nicht zuletzt die Wirtschafts- und Finanzkrise zu unkoordinierten Sparmaßnahmen gerade in den Verteidigungsetats geführt, was die Umsetzung von EU-Missionen stark einschränkt. Trotzdem bestünde, so die Autoren, enormes Sparpotenzial, wenn die EU-Mitgliedsstaaten Ineffizienzen und Dopplungen (zum Beispiel bei Trägern und Systemen) vermeiden würden, denn bis zu 26 Milliarden Euro Mehrkosten entstünden durch Kooperationsdefizite.

Und schließlich sinken die Verteidigungsausgaben nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch relativ zu denen der aufstrebenden Schwellenländer und der neuen Industriestaaten – der Einfluss Europas schwindet.

Als wichtigsten Schritt hin zu mehr Kooperation sieht der Bericht die Notwendigkeit, die gemeinsamen strategischen Interessen zu definieren. Gleichzeitig sollte die Grundlage, welcher der Lissabon-Vertrag hinsichtlich der GSVP geschaffen hat, umfassend genutzt und umgesetzt werden. Dazu fordert die Task Force konkret drei Schritte:

1. Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der EU, sollte eine neue Sicherheitsstrategie erarbeiten

2. Institutionelle Reformen werden angemahnt, darunter die Schaffung eines Verteidigungsausschusses und eines Europäischen Hauptquartiers

3. Hinsichtlich der militärischen Fähigkeiten müssen Prioritäten definiert werden, die auch eine Abstimmung in der europäischen (Rüstungs-) Industrie beinhalten.

Die Mehrheit der Bürger­­_innen Europas hätten die Regierungen dabei hinter sich: Konstant sprechen sich in Umfragen über 70 Prozent für mehr Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik aus.

Die Europäische Union versteht sich als Friedensmacht. Die Ausbreitung von Konflikten im näheren und weiteren Umfeld der Union habe aber dazu geführt, dass nicht ausschließlich auf präventive Maßnahmen gesetzt werden könne, auch wenn diese weiterhin im Vordergrund stehen müssen. Doch Europa tue gut daran, sich auch für Enforcement-Einsätze, das heißt solche unter Einsatz von Waffengewalt, vorzubereiten: „Denn auch als Friedensmacht wird die EU nur respektiert werden, wenn sie im Ernstfall verhandelte Konfliktlösungskonzepte durchsetzen kann“, schreiben Uwe Optenhögel und Steven Blockmans.

Die Schlussfolgerung könnte also heißen: Wer den Frieden will, bereite sich auf den Krieg vor. Sicher ist, auf die eine oder andere Art werden sich die europäischen Staaten zu Instabilität, Unsicherheit und Krieg verhalten müssen. Sie sollten es gemeinsam tun.

CEPS-FES Task Force Bericht: Mehr Europa in der Verteidigung, FES Brüssel in Kooperation mit Centre European Policy Studies, 2015 

Weiterführende Links:

Jean-Pierre Maulny: Frankreich, Deutschland und die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, FES 2016 

Anna Maria Kellner: Der Unsicherheit begegnen, Politik für Europa - 2017plus, 28.04.2016 

The Berlin Report from the Human Securty Study Group: From Hybrid Peace to Human Securtiy - Rethinking EU Strategy towards Conflict, 2016

Uwe Optenhögel: Alle für Einen - Europa braucht eine Verteidigungsunion, IPG-Journal, 03.09.2015 

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