„Jaminton und Yannia gehen weg“ – Kolumbien: Vertreibung im eigenen Land

Ein Kurzfilm über eine Familie in Kolumbien, die wegen Bürgerkrieg und Gewalt im eigenen Land zu Vertriebenen wird.

 

Binnenmigration und Binnenvertreibung

Die meisten Flüchtlinge auf der Welt fliehen nicht ins Ausland, sondern müssen im eigenen Land Schutz suchen. Sie werden als Binnenvertriebene oder Binnenflüchtlinge bezeichnet. Laut Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) stellen sie die Mehrheit der weltweit 63 Millionen registrierten Flüchtlinge, nämlich 37 Millionen. Die Gründe für die Flucht sind oft dieselben: Vermeidung der Auswirkungen von bewaffneten Konflikten, Situationen allgemeiner Gewalt, Menschenrechtsverletzungen oder natürliche oder von Menschen verursachte Katastrophen. Im Gegensatz zu Flüchtlingen, die international anerkannte Staatsgrenzen überqueren, sind Binnenvertriebene jedoch oft nicht durch internationale Abkommen geschützt. Für ihren Schutz ist der eigene Staat verantwortlich, der dieser Aufgabe jedoch oft nicht nachkommen kann oder will (UNHCR).

Kolumbien ist neben Syrien das Land mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen.

 

Flucht vor Gewalt

No debe pasarle a nadie en este mundo“ („So etwas sollte keinem auf dieser Welt passieren“). Mit diesen Worten beginnt Jaminton die Fluchtgeschichte seiner Familie zu erzählen. 1995 verließen sie ihren Heimatort in Kolumbien, nachdem Bewaffnete ihr Dorf terrorisiert und 25 Menschen erschossen hatten. Wegen Morddrohungen gegen den Bruder von Jaminton, entschied seine Mutter, zu flüchten. Zu diesem Zeitpunkt ist Jaminton 15 Jahre alt. Sie gingen nach Quibdó, die Hauptstadt der Provinz Chocó. Dort musste Jaminton auf der Straße betteln. Als das spanische Rote Kreuz ca. 600 Flüchtlingsfamilien half, eine neue Unterkunft zu finden, zog auch Jamintons Familie in das neu gegründete Viertel „Villa España“. Was am Anfang eine Übergangsunterkunft für sie sein sollte, wurde zum permanenten Wohnort, an dem Jaminton 16 Jahre lebte.

 

Zum zweiten Mal vertrieben

Jaminton und seine Partnerin Yannia erzählen in dem Kurzfilm, wie sich die Situation auch in ihrem neuen Wohnort verschärfte. Neue Bewohner_innen zogen zu und dadurch tauchten Probleme auf, wie Prostitution, Gewalt und Drogenhandel. Die beiden gründeten in dem Viertel den Verein AJODENIU (Asociación de Jóvenes Desplazados Nueva Imagen en Unión), ein Projekt zur Unterstützung jugendlicher Geflüchteter. Doch auch mit der Jugendarbeit konnten sie der steigenden Gewalt in dem Viertel nicht genug entgegen treten und sahen sich schließlich gezwungen, auch ihre neue Heimat zu verlassen. Mittlerweile wohnen die beiden in einem anderen Viertel der Stadt, sie engagieren sich aber weiterhin in den Projekten von AJODENIU für die Menschen von Villa España.

 

Hintergrund zum Bürgerkrieg und zu Binnenvertriebenen in Kolumbien

In Kolumbien herrschte über fünfzig Jahre lang Bürgerkrieg zwischen der Regierung, Rebellengruppen wie den FARC und paramilitärischen Verbänden. 6,5 Millionen Menschen sind in Kolumbien während des Bürgerkriegs gezwungen worden, ihre Heimat zu verlassen. Die große Mehrheit von ihnen suchte Zuflucht innerhalb der Grenzen des Landes. Kolumbien ist damit noch vor Syrien und dem Irak das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen (Stand Ende 2015, UNHCR).

 

Nach dem Friedensvertrag: Warten auf den Frieden

Ende 2016 trat der Friedensvertrag zwischen Regierung und FARC in Kraft und gibt dem Land Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation. In Bojayá, in der Region Chocó, fand während des Konflikts eines der grausamsten Massaker des Landes statt: Im Jahre 2002 explodierte eine Bombe in einer Kirche, in der über 600 Einwohner Schutz vor dem Kampf zwischen FARC und paramilitärischen Gruppierungen suchten: Mehr als 100 Menschen starben, viele davon Kinder. Dieses Massaker, für das die FARC mittlerweile um Vergebung gebeten haben, ist nur ein besonders erschütterndes Beispiel für die Gewalt, die die Menschen Chocós von den verschiedenen bewaffneten Gruppen erleiden mussten.

Die Region ist eine der ärmsten und am härtesten von Gewalt betroffenen in Kolumbien und wird überwiegend von Afro-Kolumbianer_innen und Indigenen bewohnt. Sowohl Guerillas als auch paramilitärische Gruppierungen kämpften um die Kontrolle dieser Region, da sie reich an natürlichen Ressourcen ist und für den Drogenhandel eine strategisch wichtige Lage hat.

Auch nach Abschluss des Friedensabkommens zwischen Regierung und FARC bleibt die Lage in vielen Teilen der Region prekär: Bewaffnete Akteure versuchen, sich die vormals von den FARC kontrollierten Gebiete und illegalen Ökonomien anzueignen. Was Yannia und Jaminton erleben mussten, ist deshalb ein Schicksal, das noch immer Menschen im Chocó und in anderen Regionen des Landes droht. Ob der kolumbianische Staat vor dem Hintergrund des Friedensabkommens seine Pflicht erfüllen wird, die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren und die Lebensumstände der Menschen nachhaltig zu verbessern, ist weiterhin offen.

Kontakt: Lothar Witte, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Kolumbien

 

Weiterführende Literatur zum Thema Binnenvertriebene in Kolumbien:

Maria Cristina Serje: Politik für Binnenvertriebene in Kolumbien – Hehre Ziele, widrige Bedingungen, FES, November 2016.

 

Kurzfilmreihe: "Menschen in Bewegung" - Warum verlassen Menschen ihre Heimat? Welche Wege gehen sie?

Antworten auf diese Fragen bietet eine Reihe von Kurzfilmen, die FES-Auslandsbüros in Zusammenarbeit mit lokalen Firmen produziert haben. Die Filme erscheinen auf unserem Themenportal "Flucht, Migration, Integration". Gerne können Sie diese für eigene Veranstaltungen nutzen.

Bisher erschienen:

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