Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Rückschau auf die Online-Veranstaltung „Migration verstehen – Zurückweisungen an Deutschlands Grenzen“ am 1. Juli 2025. Trotz Gerichtsurteilen hält das Innenministerium an Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylsuchenden fest – doch zu welchem Preis?
Grenzkontrollen und Zurückweisungen sorgten in der EU und im Schengen-Raum in den letzten Jahren immer wieder für heftige Debatten. Nun hat die Bundesregierung im Frühjahr eben solche auf deutschem Gebiet eingeführt und hält trotz eines Urteils des Berliner Verwaltungsgericht weiter daran fest. Das Gericht hatte die Zurückweisung von Asylsuchenden bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet ohne Anwendung des Dublin-Verfahrens für rechtswidrig erklärt. Wie dies politisch und rechtlich zu bewerten ist und welche praktischen Konsequenzen entstehen, beleuchtete eine Online-Diskussion am 01. Juli 2025 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Migration verstehen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Auch wenn in den Medien beim Thema Grenzkontrollen und Zurückweisungen oft von deutschen Außengrenze die Rede sei, müsse man korrekterweise von Binnengrenzen zu einem anderen EU-Mitgliedstaat sprechen. Maßgeblich ist hier der Schengener Grenzkodex, der besagt, dass Binnengrenzkontrollen grundsätzlich nur in einer außergewöhnlichen Situation, in der plötzlich eine sehr hohe Zahl unerlaubter Migrationsbewegungen von Drittstaatsangehörigen stattfindet, eingeführt werden dürfen, so Asylrechtsexperte Prof. Dr. Hruschka. Dies könne Deutschland angesichts der aktuell zurückgehenden Zahlen nicht geltend machen und selbst dann gelte dies nicht für Asylsuchende, für die der Europäische Gerichtshof bereits 2015 entschieden hatte, dass das Dublin-Verfahren bis zu dessen offizieller Aussetzung angewandt werden müsse. Deshalb, so Hruschka, sei klar, dass sowohl die deutschen Kontrollen als auch die Zurückweisungen an der deutsch-polnische Grenze europäisches Recht verletzen. Er wies weiterhin darauf hin, dass die EU-Kommission eine begründete Stellungnahme einfordern und somit den ersten Schritt eines Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten wolle.
Ein Blick auf die gut 3700 Kilometer lange Landgrenze Deutschlands im Verhältnis zu den 50 Kontrollstellen macht deutlich, warum Grenzkontrollen trotz einiger polizeilicher Erfolge migrationspolitisch wenig Mehrwert haben, so die Einschätzung von Sven Hüber, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Er klärte auf, dass für den Zeitraum vom 8. Mai bis 22. Juni zwar etwa 6.000 unerlaubte Einreisen festgestellt wurden, wovon jedoch lediglich etwas mehr als 300 Asylsuchende waren. Im Vergleich registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 8. Mai bis 4. Juni knapp 5.500 Asylsuchende. Es sei daher sehr zweifelhaft, ob der eigentliche Zweck der Grenzkontrollen – die Senkung der Zahl der Asylsuchenden – damit erreicht würde.
Gleichzeitig stellten die Kontrollen eine enorme Arbeitsbelastung für die Beamt:innen dar. Dies liege einerseits an dem hohen administrativen Aufwand mit einer enormen Zahl an zu leistenden Überstunden für die Bundespolizei und andererseits an den unzureichenden Arbeitsbedingungen: Mit dem Schengen-Beitritt von Polen und Tschechien wurden zahlreiche Grenzübergange und Kontrollstellen abgebaut, sodass die derzeitigen Kontrollposten sehr provisorischer Natur seien. Sollten die Kontrollen länger andauern, benötige es eine erhebliche Investitionen in die Verbesserung der Infrastruktur und damit auch der Arbeitsplätze der Beamt:innen.
Darüber hinaus wurde in der Diskussion die schwierige Situation der Beamt:innen thematisiert, da dienstliche Anweisungen Gerichtsurteilen entgegenstehen. Fragt man Aydan Özoğuz (SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Migrationsbeauftragte der Bundesregierung), müsse für die Beamt:innen vor Ort Rechtssicherheit geschaffen werden, damit sie auch nachträglich nicht rechtlich belangt werden können. Denn in einer Demokratie müsse Vertrauen in das Regierungshandeln und in die Rechtsstaatlichkeit bestehen, und dann dürfe auch eine Regierung nicht durch das Ausrufen einer scheinbaren Notlage oder durch die Verknüpfung von Migration mit Kriminalität Maßnahmen einführen, die vor Gericht keinen Bestand haben. Zudem müsse man sich auch des potenziellen Domino-Effekts von Kontrollen und Zurückweisungen in Europa bewusst sein – ein erstes Anzeichen dafür seien die nun ebenfalls eingeführten Grenzkontrollen Polens.
Für Dr. Olena Babakova, Migrationsforscherin in Warschau, beflügeln die deutschen Kontrollen und Zurückweisungen an der Grenze vor allem die extreme Rechte in Polen. Der Blick auf Polen zeige auch, dass restriktive Migrationspolitik – wie die seit 2021 praktizierten Zurückweisungen von Drittstaatsangehörigen vor allem an der Grenze zu Belarus und der im Juni 2022 dort fertiggestellte Grenzzaun – letztlich nicht das gewünschte Ziel der Reduktion von Migration erreiche. Vielmehr entmenschliche eine solche Praxis Migrant:innen und führt zu einer Versicherheitlichung von Migrationspolitik, in der der würdevolle Umgang mit Schutzsuchenden keine Rolle mehr spiele.
Zum Abschluss der Veranstaltung plädierten die Redner:innen für mehr Klarheit im Sinne einer einfacheren Handhabung im Umgang mit dem deutschen Asyl- und Aufenthaltsrecht. Wolle man Asylpolitik effektiv und menschenrechtlich verantwortlich gestalten, brauche es neue, innovative Ansätze auf gesamteuropäischer Ebene, die nicht auf Angst und Abschottung basieren.
Joscha Wendland ist Politikwissenschaftler und derzeit am WZB in der Forschungsgruppe „Globalisierung, Arbeit und Produktion“ tätig. Er recherchiert und schreibt aus Berlin zu politischen und gesellschaftlichen Themen, vorrangig mit Blick auf Arbeitsmarktthemen und Migration. Für die Friedrich-Ebert-Stiftung hat er bereits diverse Recherchen angefertigt und die SPD-Migrationskonferenz begleitet. Sein Herzensthema, auch untermauert durch sein ehrenamtliches Engagement, ist eine menschenwürdige Zukunft der Arbeit.
Die Veranstaltung war Teil unserer Reihe „Migration verstehen“, in der wir zentrale Konzepte der aktuellen Debatte gemeinsam mit Expert_innen und Praktiker_innen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft diskutieren, einordnen und auf ihre politische Tauglichkeit hin prüfen.
Weitere Informationen sowie anstehende Termine finden Sie auf dieser Webseite.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
Bei der Umsetzung der europäischen Asylreform in nationales Recht gibt es gerade in puncto Bewegungseinschränkungen noch viel Nachbesserungsbedarf.
Sichere Herkunftsstaaten sind ein zentrales, wie auch umstrittenes migrationspolitisches Konzept in Europa. Nun sind Änderungen in Sicht.
Hier geht es zur internationalen geschlechterpolitischen Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung. weiter
Perspektiven für eine gendergerechte globale Wirtschaft und Arbeitswelt in post-Corona-Zeiten. weiter
Feministische Forderungen aus dem Globalen Süden zum UN Global Digital Compact. weiter
Ein feministischer Aktionsrahmen für die Digitalwirtschaft