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Kunst, Würde und Widerstand

Mary Cruse

Zum Internationalen Tag der Migrant:innen zeigen wir eindrückliche künstlerische Illustrationen, die die Realität von Migrationshaft beleuchten und die Menschen hinter den Schlagzeilen sichtbar machen.

Grafik einer Frau hinter Gittern, die sich aus den Gittern. Weitere inhaftierte Menschen sind im Hintergrund zu sehen.
Urheber: Yaroslava Dokhniak

Hinweis: In diesem Beitrag geht es um schwere menschliche Schicksale infolge von Flucht und Inhaftierung im Migrationskontext. Es werden die Themen Gewalt, sexualisierte Gewalt und Suizid beschrieben.

Geschichten aus der Migrationshaft

Kunst ist eines der wirkungsvollsten Mittel, um menschliche Erfahrungen zu vermitteln. Sie verbindet uns über Sprachen, politische Positionen und Grenzen hinweg. Im Kontext von Migrationshaft macht sie sichtbar, was in politischen Debatten oft in den Hintergrund gerät: die Menschen hinter den Schlagzeilen.

Anlässlich des Internationalen Tages der Migrant:innen am 18. Dezember präsentieren International Detention Coalition (IDC) und die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Auswahl künstlerischer Illustrationen und biographischer Erzählungen, die Realitäten von Migrationshaft zeigen und die Vorteile von Alternativen zu Inhaftnahme thematisieren. Die Werke stammen von verschiedenen Künstler:innen und sind Teil von IDC-Projekten und Kooperationen – unter anderem mit Amnesty International Malaysia und der Global Campaign to End Child Detention – und bieten unterschiedliche Interpretationen zu den Themen Migration, Freiheitsentzug und Freiheit.

Viele der Kunstwerke sind an die Lebensgeschichten von Menschen geknüpft, die eigene Erfahrungen mit Migrationshaft und alternativen Unterbringungsmöglichkeiten in Gemeinschaften gemacht haben. Ihre Geschichten verdeutlichen nicht nur die gravierenden Folgen von Inhaftierung, sondern zeugen auch von Widerstandsfähigkeit und Hoffnung, die trotz erlebter Ungerechtigkeit bestehen bleiben.

Mit ihren Kunstprojekten möchte IDC Wahrnehmungen und Narrative hinterfragen, Empathie wecken und gesellschaftliche Veränderungen anstoßen. Die Werke sollen uns daran erinnern, dass es bei der Abschaffung von Haftpraktiken im Migrationskontext nicht allein um politische Reformen geht, sondern ebenso um Verständnis und Solidarität gegenüber den betroffenen Menschen.

Die Beendigung von Migrationshaft erfordert gemeinsames Handeln: von Verbündeten, Gemeinschaften, Regierungen und der Zivilgesellschaft. Nur gemeinsam können wir für Würde und Freiheit eintreten.

Carlos' Geschichte – Illustration von Nani Puspasari

„Ich habe mich entschlossen, [in die USA] zu kommen, weil ich das Gefühl hatte, dass es keine anderen guten Optionen gab. Nachdem der Hurrikan Mitch den größten Teil meiner Stadt zerstört hatte und es sehr schwer war, Arbeit zu finden, war es eine wirklich schwierige Zeit für meine Familie und mich. Deshalb habe ich mich entschlossen, hierher zu kommen.“

Carlos wuchs in Armut in einem Dorf in Honduras auf. Im Jahr 1998, Carlos war noch ein Teenager, wurde das Land von Hurrikan Mitch heimgesucht. Es war der tödlichste Hurrikan im Atlantik seit mehr als zwei Jahrhunderten und verursachte weitreichende Zerstörung. Tausende Menschen kamen ums Leben und es entstand ein immenser Schaden. Sturm, Regen, Überschwemmungen und Erdrutsche, die durch vorherige Brandrodungspraktiken des Landes noch verschlimmert worden waren, zerstörten laut dem National Climate Data Center des US-Handelsministeriums die Infrastruktur von Honduras fast vollständig. Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung verlor ihr Zuhause. Die Landwirtschaft brach zusammen. Die Gemeinden litten Hunger, und es kam zu Ausbrüchen von Malaria, Dengue-Fieber und Cholera. Die langfristigen Auswirkungen waren schwerwiegend: Der damalige honduranische Präsident Carlos Roberto Flores Facussé erklärte, der Hurrikan habe fünfzig Jahre des Fortschritts zunichte gemacht. 

In den Jahren nach dem Hurrikan war das Leben in Carlos' Stadt unerträglich. Der Zugang zu Lebensgrundlagen vor Ort war weitestgehend zusammengebrochen, seine Familie stand unter starkem Druck, und er sah keine realistische Perspektive für sich in Honduras. Carlos entschied sich daher im Alter von 16 Jahren dazu, in die Vereinigten Staaten auszuwandern, da er dort die besten Möglichkeiten für seine Zukunft sah.

Yusufs Geschichte – Illustration von Filippa Edghill

„Der Krieg zwingt uns, das Land zu verlassen, die Menschen zu verlassen, die wir niemals in unserem Leben verlassen wollten. Und wir haben schon so viele schreckliche, grausame Dinge erlebt.“

Yusuf war 16, als er aus seinem Dorf in der Region Darfur im Sudan floh. Bewaffnete Gruppen hatten seine Gemeinde angegriffen, viele Menschen getötet und Häuser zerstört. Während des Angriffs wurden viele Mitglieder seiner Familie angegriffen und getötet. Yusuf und die übrigen Dorfbewohner begruben die Toten und flohen.

Er floh mit seiner Mutter und seinen Schwestern in ein Flüchtlingslager direkt hinter der Grenze im Tschad. Aber das Lager war unsicher. Bewaffnete Gruppen drangen nachts ein, schossen auf Menschen und entführten sie. Die Führer, die ihnen geholfen hatten, das Lager zu erreichen, warnten, dass Jungen besonders gefährdet seien, und rieten ihnen, das Lager zu verlassen.

Yusuf verließ das Lager mit vier Jungen aus seinem Dorf. Sie fuhren mehrere Tage mit dem Auto, bevor sie sich trennten. Ein libyscher Tierhändler erklärte sich bereit, Yusuf nach Tripolis mitzunehmen, wenn er ihm auf der zweiwöchigen Reise bei der Versorgung der Schafe helfe.

Von Tripolis aus bestieg er mit elf anderen Menschen ein kleines Boot in Richtung Italien. Die Reise war sehr gefährlich. Nach sechs Tagen auf See gingen ihnen die Vorräte an Lebensmitteln, Wasser und Treibstoff aus. Umgeben von Dunkelheit und offenem Meer beteten Yusuf und die anderen um Rettung.

Nach fast einer Woche auf hoher See wurden sie schließlich von einem Schiff der Küstenwache gefunden. Nachdem er diese Tortur überstanden hatte, wurde Yusuf in Malta in ein Abschiebezentrum gebracht.

JPs Geschichte – Illustration von Manon de Jong

JP war zehn Jahre alt, als sie im Vereinigten Königreich inhaftiert wurde. Zuvor war sie im Alter von vier Jahren mit ihrer Mutter vor häuslicher Gewalt aus einem afrikanischen Land geflohen.

In Großbritannien blühte JP auf. Sie war eine kluge und beliebte Schülerin. Doch Jahre später wurde ihr Leben auf den Kopf gestellt, als Beamt:innen der britischen Einwanderungsbehörde in den frühen Morgenstunden eine Razzia in ihrem Haus durchführten. JP und ihre Mutter wurden in das Yarl's Wood Immigration Removal Centre gebracht. 

In der Haft wurde JP Zeugin von Gewalt gegen ihre Mutter und andere Inhaftierte. Es gab zwei Versuche, sie und ihre Mutter abzuschieben, die jedoch aufgrund der extremen Belastung, unter der JP litt, abgebrochen wurden. 

JP wurde daraufhin freigelassen und lebte bei einem Verwandten, während ihre Mutter erneut inhaftiert wurde. Ein Psychotherapeut untersuchte JP und stellte fest, dass sie unter posttraumatischem Stress litt. Er warnte, dass eine weitere Inhaftierung zu einer ernsthaften Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit führen könnte.

Trotzdem wurde JP erneut inhaftiert. Sie versuchte sich das Leben zu nehmen. Später wurden bei ihr Depressionen, Angstzustände und PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) diagnostiziert. Expert:innen stellten fest, dass das erlittene Trauma ihre Entwicklung und ihr Selbstbewusstsein tiefgreifend beeinträchtigt hatten.

Der Fall von JP macht deutlich, welchen tiefgreifenden und dauerhaften Schaden die Inhaftierung von Migrant:innen insbesondere bei Kindern anrichtet und dass die Systeme, die sie eigentlich schützen sollen, versagen.

Alternativen zu Inhaftnahme: Humaner, sicherer und besser für alle

Durch Forschung, Vernetzung und Lobbyarbeit trägt IDC dazu bei, dass humanere Alternativen zum Einsatz kommen. Dazu zählen unter anderem Meldeauflagen, betreute Unterkünfte oder finanzielle Sicherheiten. Ziel ist es, Menschen ein würdiges Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, während sie auf eine Entscheidung über ihr Aufenthaltsrecht warten.

Alternativen zu Migrationshaft wirken sich erwiesenermaßen positiv auf Einzelpersonen, aber eben auch auf das Zusammenleben vor Ort und in der Gesellschaft aus.

Nicht zuletzt würden erhebliche Summen an Steuergeldern eingespart, die aktuell aufgewendet werden, um Menschen auf Flughäfen, Booten und in provisorischen Lagern festzusetzen – oft für unbestimmte Zeit.

IDC macht mit ihrer Arbeit eindrücklich deutlich, dass Humanität und Steuerung in der Migrationspolitik nicht nur dringend geboten, sondern auch praktisch umsetzbar sind – zum Wohle aller.

Der Artikel wurde im Original auf der Website von IDC veröffentlicht.


Über IDC

Mit dem diesjährigen FES-Menschenrechtspreis wurde im Oktober 2025 die Organisation International Detention Coalition (IDC) ausgezeichnet. IDC ist ein international agierendes Netzwerk, das sich seit Jahren mutig, unermüdlich und erfolgreich für die Rechte aller Menschen einsetzt, die von Migrationshaft betroffen sind. IDC engagiert sich national und international für Gesetzesänderungen und arbeitet mit Regierungen, der Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen zusammen, um Haftpraktiken zu verbessern oder diese gänzlich abzuschaffen. 

IDC@LinkedIn   IDC@Instagram

Kontakt

Autorin

  • Mary Cruse

    Leiterin Kommunikation International Detention Coalition

Projektverantwortliche

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