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  • Weltwirtschaft und Unternehmensverantwortung

Tag der Menschenrechte: Faire Lieferketten?

Daniela Iller und Melanie Glinicke

Unmittelbar vor dem Internationalen Tag der Menschenrechte schwächt die EU die Lieferkettenrichtlinie massiv ab. Steht die Wettbewerbsfähigkeit im Widerspruch zum Schutz der Menschenrechte?

Flyer mit Europaflagge liegt kaputt und schmutzig auf dem Boden.
Urheber: Julia Kühne

Globale Stimmen, europäische Blockaden: Der Kampf um faire Lieferketten

Unterdrückung von Gewerkschaften in Ecuador, exzessive Überstunden, oder fehlender Mindestlohn in pakistanischen Textilfabriken. Dies sind nur einige der Berichte, die Gewerkschafter:innen und zivilgesellschaftliche Partner aus dem Globalen Süden im November nach Brüssel brachten. Sie zeigen eindrücklich, weshalb Gesetze wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) zur Einhaltung von Menschenrechten (und Umweltstandards) so dringend benötigt werden. Doch während diese Berichte weiterhin den Arbeitsalltag vieler Beschäftigter widerspiegeln, entschied die EU unmittelbar vor dem Internationalen Tag für Menschenrechte, die CSDDD massiv abzuschwächen. 

Diese Abschwächung, ist das Ergebnis eines langen politischen Prozesses, in welchem angefeuert von einer Debatte über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und angeblich überbordende Bürokratie für europäische Unternehmen immer weiter an dem EU-Gesetz gerüttelt wurde. 

Bereits Anfang des Jahres wurde die Richtlinie im sogenannten Omnibus-Verfahren mit dem Ziel der vermeintlichen Entbürokratisierung wieder aufgeschnürt. In einem beispiellosen Schnellverfahren, das sowohl von Gewerkschaften und NGOs als auch der EU-Ombudsfrau scharf wegen Intransparenz und Verstoßes gegen eigene Regeln der „besseren Rechtssetzung“ kritisiert wurde, setzte die Kommission das Omnibus-I-Paket durch. 

Sowohl der Rat der EU als auch das Europaparlament verschärften die Vorschläge der Kommission anschließend zusätzlich. Das EU-Parlament verabschiedete seine Position dabei mit einer Mehrheit der Stimmen der Europäischen Volkspartei sowie den rechten und rechtsextremen Fraktionen. Die Brandmauer wurde eingerissen, um gemeinsam für die Abschwächung eines Gesetzes zu stimmen, das Beschäftigte weltweit schützen soll. 

Eben jene Position spiegelt sich nun maßgeblich in der Einigung wieder, die die drei EU-Institutionen im sogenannten Trilogverfahren am 9. Dezember beschlossen haben.  So soll die Richtlinie künftig nur noch für Unternehmen mit über 5.000 Mitarbeiter:innen und einem Umsatz von 1,5 Milliarden Euro gelten. Damit werden nahezu 70 Prozent der europäischen Unternehmen aus der Verantwortung genommen, arbeitsrechtliche Standards einzuhalten. Des Weiteren wurden die Klimatransitionspläne gestrichen und die EU-weit harmonisierte Haftungsregel aufgehoben. 

Dialogprogramm zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten weltweit

Zeitgleich zu den laufenden Trilogverhandlungen im November hatten sich zum dritten Mal Gewerkschafter:innen und zivilgesellschaftliche Partner der Friedrich-Ebert-Stiftung aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa in Brüssel getroffen, um mit politischen Entscheidungsträger:innen der EU über Arbeiter:innenrechte und unternehmerische Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten zu diskutieren. 

Ins Leben gerufen wurde das Programm, als mit dem deutschen Lieferkettengesetz und der europäischen Lieferkettenrichtlinie erstmals verbindliche Verpflichtungen für Unternehmen entstanden, unternehmerische Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten einzuhalten, womit wichtige Meilensteine zum Schutz von Mensch und Umwelt gesetzt wurden.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat diese Entwicklungen aufgegriffen und bringt Gewerkschafter:innen und zivilgesellschaftliche Akteure zusammen, die sich in verschiedenen Ländern und Sektoren für Arbeitnehmer:innenrechte einsetzen: von Beschäftigten in der Automobilindustrie, über Frauen in Textilfabriken bis hin zu Arbeitnehmer:innen aus dem Bausektor. So entsteht ein Raum um gemeinsam zu diskutieren, wie die neuen gesetzlichen Instrumente im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen weltweit genutzt, Erfahrungen aus verschiedenen Regionen zusammenzuführt und diese Perspektiven in die deutsche und europäische Debatte eingebracht werden können.

Die Deregulierung menschenrechtlicher Standards, wie sie die EU vorantreibt, standen im Mittelpunkt der diesjährigen Gespräche in Brüssel. Dabei war der Frust nicht nur seitens progressiver europäischer Akteur:innen spürbar, großes Unverständnis zeigte sich auch bei den Gewerkschafter:innen aus dem Globalen Süden. Die Frage, wie man die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gegen den Schutz von Menschenrechten aufwiegen könne, wurde immer wieder gestellt.

Fachgespräch mit der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE über die Zukunft nachhaltiger Lieferketten

Daran knüpfte auch ein gemeinsam mit der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE organisiertes Fachgespräch zur Zukunft nachhaltiger Lieferketten an. Besonders deutlich wurde in diesem Austausch, dass sich verbindliche Regulierungen zum Schutz von Menschenrechten und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen nicht ausschließen. Im Gegenteil: Hohe Standards können Wettbewerbsvorteile sichern und frühzeitige Risikoerkennung verhindert Kosten und Reputationsschäden. 

Diese Argumente finden in der aktuellen Debatte jedoch ebenso wenig Gehör wie erste positive Effekte bestehender Lieferkettengesetze. So berichteten unsere Partnerinnen aus Kenia und Pakistan, dass Unternehmen erstmals mit Gewerkschaften über lokale Arbeitsrechtsverletzungen sprechen. Erfolge wie diese gilt es auch jetzt weiter auszubauen, um weitere Unternehmen zum Handeln zu bewegen. Diese müssen nun endlich die Notwendigkeit verstehen, mit Arbeiter:innen zusammenzuarbeiten und Menschen- wie Arbeitnehmer:innenrechte zu respektieren, wie eine Teilnehmerin des diesjährigen Programmes resümierte. 

Die Woche in Brüssel stand damit nicht nur im Zeichen politischer Rückschritte, sondern richtete den Blick bewusst nach vorne. Dabei sind die Forderungen unserer Partner:innen aus dem Globalen Süden deutlich: Es bedarf praxisnaher Weiterbildung und verstärkter transnationale Zusammenarbeit sowie eine klare Einbindung von Gewerkschafter:innen bei der Umsetzung von Sorgfaltspflichten. 

Auch in diesem Jahr lässt sich so ein klares Fazit ziehen: Trotz massiven Änderungen des politischen und gesetzlichen Rahmens zum Schutz von Menschenrechten ist eines konstant geblieben: die Entschlossenheit der Gewerkschafter:innen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen weltweit, die neuen gesetzlichen Instrumente zu nutzen, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Wege zu finden, wie menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in ihren Sektoren und Ländern Wirkung entfalten können. Aus den drei Programmen ist dabei ein Netzwerk von Partner:innen der Friedrich-Ebert-Stiftung gewachsen, das sich gemeinsam für den Schutz von Arbeiter:innenrechten in globalen Lieferketten einsetzt. 

Dieser Schutz wird durch die zukünftige europäische Lieferketten-Richtlinie geschwächt. Sie ist bei Weitem nicht das Instrument, das progressive Akteur:innen einst gefordert und erkämpft hatten. Umso mehr gilt es, ihre Umsetzung kritisch zu begleiten.


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ein Argumentationsleitfaden

Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, Juni 2025

Saage-Maaß, Miriam ; Korn, Franziska

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