100 Jahre FES! Mehr erfahren

Ungleiches Deutschland

Illustration: Ein Ungleichheitszeichen in den Farben Schwarz, Rot und Gelb aus Personen-Piktogrammen gebildet
Urheber: Bergsee, blau

Antidemokratische Wahlerfolge durch fehlende Daseinsvorsorge

Unser Studienprojekt untersucht die Zusammenhänge von regionaler Daseinsvorsorge und wachsender Demokratieunzufriedenheit in den 400 Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands. Dabei zeigt sich: Räumliche Unterschiede der Daseinsvorsorge spiegeln sich in den Wahlergebnissen auf Kreisebene wider, weisen aber auch Abweichungen auf. Die Gesamtergebnisse ermöglichen wichtige Schlussfolgerungen darüber, wie eine sozial gerechte Strukturpolitik gestaltet und verlorenes Vertrauen in die Demokratie zurückgewonnen werden kann.

Publikationen zum Download

Antidemokratische Wahlerfolge im ungleichen Deutschland

demokratiestützende Aspekte der Daseinsvorsorge

Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, Juli 2025

Heider, Bastian ; Novack, Tessio ; Scheunert, Pauline ; Scholz, Benjamin

Zum Download (PDF)

Abgebaut, abgehängt, abgewählt

wie kann Daseinsvorsorge die Demokratie stärken?

Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, Juli 2025

Bläsius, Julia ; Bollrich, Elisabeth ; Overmeyer, Jonathan

Zum Download (PDF)

Hintergrund und Rahmendaten der Studie

In den vergangenen zehn Jahren hat sich das politische Parteiensystem in Deutschland – wie in vielen europäischen Ländern – spürbar verändert.

Unser Projekt „Antidemokratische Wahlerfolge im ungleichen Deutschland“ baut auf dem Disparitätenberich 2023 auf und untersucht, ob und wie ungleiche Lebensverhältnisse mit dem Wahlerfolg rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien zusammenhängen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Unterschiede bei der staatliche Daseinsvorsorge – etwa bei Gesundheitsversorgung, Bildung, Betreuung oder Mobilität – Einfluss auf die Wahlergebnisse in den 400 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten haben. Ziel war es, diesen Zusammenhang datenbasiert zu analysieren, politisch einzuordnen und daraus Empfehlungen für eine gerechte Strukturpolitik abzuleiten.

Denn: Die Zufriedenheit mit öffentlicher Daseinsvorsorge prägt das Vertrauen in den Staat und die Demokratie. In vielen Regionen wächst jedoch die Skepsis gegenüber der staatlichen Leistungsfähigkeit und der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit. Das von der Bundesregierung beschlossene Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz ist ein Schritt, diese Lücken zu schließen. Entscheidend ist nun, wie gezielt und gerecht die Mittel verteilt werden – regional und nach tatsächlichem Bedarf der Bürger_innen. Nur so lässt sich gleichwertige Daseinsvorsorge herstellen, regionale Zukunftsfähigkeit sichern und die Zufriedenheit mit staatlichen Akteuren auch langfristig wiederherstellen.


Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick

In Deutschland zeigen sich klare regionale Muster im Wahlverhalten. So liegen die Hochburgen der Union in Süddeutschland sowie in weiteren eher ländlich geprägten Regionen Westdeutschlands. Die Grünen schneiden am besten in Universitäts- und Großstädten ab. In alten Industriestädten mit wirtschaftlichen Problemen – meist in Westdeutschland – ist die SPD oftmals stärkste politische Kraft, doch wächst dort die Unterstützung für die AfD. Diese ist am stärksten in strukturschwachen, ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Trotz kleiner wirtschaftlicher Verbesserungen ist dort kein Rückgang des Zuspruchs erkennbar. Die relativ hohe Wahlbeteiligung zeigt zudem: Viele Menschen dort wählen die AfD nicht nur aus Protest, sondern teilen ihre politischen Positionen zunehmend.

Diese regionalen Unterschiede lassen sich jedoch nicht allein durch Lebensverhältnisse erklären. Auch kulturelle und historische Faktoren – etwa Stadt-Land-Gegensätze oder Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland – spielen eine Rolle beim Wahlverhalten.

In Regionen mit schlechter öffentlicher Infrastruktur – etwa bei Internetzugang, Bildung oder Kinderbetreuung – ist die Zustimmung zur AfD höher und die Wahlbeteiligung niedriger. Diese Zusammenhänge bleiben auch dann bestehen, wenn andere Einflussfaktoren wie Wirtschaftskraft oder Bevölkerungsstruktur berücksichtigt werden.

Diese Zusammenhänge deuten darauf hin, dass besonders Investitionen in die Bildungs‑ und Betreuungsinfrastruktur, besonders in sozioökonomisch benachteiligten Regionen, zur Stärkung der Demokratiezufriedenheit beitragen könnten.

Die Gründe für Unzufriedenheit mit Demokratie und den Erfolg der AfD unterscheiden sich zwischen Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland lässt sich die Zustimmung zur AfD recht gut mit sozialen und wirtschaftlichen Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder Altersstruktur erklären.

In Ostdeutschland dagegen spielen diese Faktoren eine untergeordnete Rolle. Hier ist entscheidend, ob eine Region eher städtisch oder ländlich geprägt ist.

Nicht immer spiegeln objektive Daten zur Daseinsvorsorge das wider, was die Menschen vor Ort tatsächlich empfinden. In einigen Bereichen – zum Beispiel der ärztlichen Versorgung – zeigen sich große Unterschiede zwischen messbaren Angeboten und der subjektiven Zufriedenheit.

Interessant ist auch: In Regionen, in denen die Menschen eher zufrieden mit der Lebendigkeit ihrer Ortszentren sind, wird seltener die AfD gewählt. Diese Faktoren – wie das Gefühl von Lebensqualität vor Ort – lassen sich durch harte Strukturdaten nur schwer erfassen, sind aber wichtig für die Demokratiezufriedenheit.


Handlungsempfehlungen an die Politik

  1. Regionale Ungleichheiten nicht nur sichtbar machen, sondern politisch adressieren: Besonders in Ostdeutschland sorgt das Stadt-Land-Gefälle für Frust. Rechtspopulistische Parteien profitieren davon, dass viele sich abgehängt fühlen – nicht nur ökonomisch, sondern generell und vor allem im Vergleich zu anderen Regionen. Politisches Handeln muss diese Wahrnehmung ernst nehmen und gezielt dort investieren, wo sich Bedarfe vor Ort äußern – nicht nur dort, wo das größte Wachstumspotential liegt.
     
  2. Gemeinsam investieren statt reparieren: Das Sondervermögen „Infrastruktur“ ist ein Anfang – aber es braucht dauerhaft verlässliche Mittel für Bildung, Mobilität und öffentliche Angebote. Die Studie zeigt: Einzelne Verbesserungen reichen nicht – sie werden oft gar nicht wahrgenommen. Investitionen müssen langfristig, nachvollziehbar und gemeinsam mit den Bürger_innen vor Ort vereinbart werden. Mit Beteiligung können Bedarfe passgenauer erfüllt, Selbstwirksamkeit gestärkt und Vertrauen in die Demokratie zurückgewonnen werden.
     
  3. Kommunen endlich handlungsfähig machen: Strukturschwache Kommunen brauchen mehr finanzielle Spielräume – gerade für Investitionen in Bildung, Betreuung, Nahverkehr und digitale Infrastruktur. Das bedeutet: eine Reform der Grundfinanzierung, Entlastung bei Sozialabgaben, Altschuldenlösungen und besser abgestimmte Förderprogramme.
     
  4. Zukunftsvertrauen durch Perspektiven – nicht nur durch Wachstum: Trotz stabiler oder steigender ökonomischer Kennzahlen ist das Unsicherheitsgefühl vieler Menschen hoch – besonders dort, wo Innovation, Fachkräfte und gute Jobs in der Transformation fehlen. Das öffnet Raum für rechtspopulistische Narrative. Gefragt sind gezielte Maßnahmen wie Gründungsförderung, Unternehmensansiedlungen, gute Arbeit mit fairen Löhnen – und eine Förderpolitik, die die Menschen und ihre Regionen ins Zentrum stellt.

Kontakt

Analyse, Planung und Beratung

Analyse, Planung und Beratung

Pressestelle

Das könnte Sie auch interessieren...

Illustration: Ein Ungleichheitszeichen in den Farben Schwarz Rot Gelb steht auf blauem Grund
Urheber: Schumacher

Ungleiches Deutschland

Sozioökonomischer Disparitätenbericht 2023

Foto: Zwei Häuserfaden sind nebeneinander zu sehen, eine ist saniert, an der anderen blättert der Putz ab
Urheber: dpa/Britta Pedersen

Ungleiches Deutschland

Sozioökonomischer Disparitätenbericht 2019

Illustration: Buchstaben und Zahlen bilden eine Deutschlandkarte
Urheber: Béla Stetzer

Ungleiches Deutschland

Sozioökonomischer Disparitätenbericht 2015

Illustration: Ausschnitte verschiedener Karten und Diagramme
Urheber: FES

Von Herzkammern, Hochburgen und knappen Wahlkreisen

Interaktive Karten der Bundestagswahlergebnisse 1990-2025

Foto mit Illustration: Radfahrer und Autos fahren eine Ortsstraße entlang
Urheber: Leo Leowald/Rupert Oberhäuser

Die Übergangenen – Strukturschwach & Erfahrungsstark

Zur Bedeutung regionaler Perspektiven für die Große Transformation

Bearbeitetes Foto der Reichstagskuppel mit Menschen
Urheber: Jörg Farys/Daniela Rusch

Demokratievertrauen in Krisenzeiten

Wie blicken die Menschen in Deutschland auf Politik, Institutionen und Gesellschaft?

nach oben