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Auszug aus dem Elternhaus

grün eingefärbtes Foto eines Zimmers mit Umzugskartons und anderen Umzugs-Gegenständen
Urheber: picture alliance / Westend61 | Rainer Berg

In welchem Alter bist du von zu Hause ausgezogen? Was war der Anlass? Der Auszug aus dem Elternhaus ist für viele junge Menschen ein bedeutender Meilenstein – der Beginn eines selbstständigen Lebens. „Hotel Mama“ wird aber immer später verlassen. Ist die junge Generation zu bequem, um auszuziehen? Wohl kaum! Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist angespannt wie selten zuvor: In vielen Städten übersteigen die Mieten längst das, was sich junge Berufstätige, Auszubildende oder Studierende leisten können. Andernorts fehlen die passenden Angebote.

Zwei fiktive Personen aus dem städtischen und dem ländlichem Raum machen diese Umbruchsituation anschaulich.


Lina Schuster, 20 Jahre

Lina zieht von einem kleinen Ort in Brandenburg nach Leipzig, um Lehramt zu studieren. Es ist ihr erster Umzug, und sie ist aufgeregt, aber auch etwas überfordert. Ihre Eltern unterstützen sie emotional, finanziell aber nur begrenzt. Sie bekommt BAFöG, das reicht jedoch kaum, um die Miete zu stemmen. Eine WG wäre ideal – nicht nur aus Kostengründen, sondern auch, um Anschluss in der neuen Stadt zu finden. Doch viele WGs sind kaum zu bezahlen und werden nur unter der Hand vermietet. Ihre Traumwohnung liegt in Uninähe, mit guter Anbindung und ruhiger Lernatmosphäre. Momentan pendelt sie zu Besichtigungen und schläft bei Freund*innen auf dem Sofa.

Jonas Weber, 22 Jahre

Jonas hat gerade seine Ausbildung als Anlagenmechaniker abgeschlossen. Noch lebt er bei seinen Eltern auf dem Dorf in der Eifel – aber das Elternhaus fühlt sich zunehmend beengt an, vor allem weil er gern unabhängiger sein möchte. Er überlegt auszuziehen, möchte aber im Heimatort bleiben, weil er sich hier bei der Feuerwehr engagiert. Allerdings finden sich vor Ort vor allem Häuser für Familien und keine kleinen Wohnungen. In der nächsten Mittelstadt gibt es mehr Inserate, dort hätte er sicherlich auch mehr berufliche Optionen und eine bessere Verkehrsanbindung. Er ist hin- und hergerissen. Die Wohnung muss mit seinem Einstiegsgehalt bezahlbar sein.

Die Gründe für den Auszug aus dem Elternhaus sind vielfältig: der Wunsch nach Unabhängigkeit, ein Ausbildungs- oder Studienplatz in einer anderen Stadt, das Zusammenziehen mit einer*m Partner*in oder die Gründung einer eigenen Familie. Im Vergleich zu früheren Generationen ziehen junge Menschen heute deutlich später aus. Während in den 1970er Jahren viele bereits mit 18 Jahren auf eigenen Beinen standen, liegt das durchschnittliche Auszugsalter heute bei 22 Jahren. Deutschland befindet sich damit im europäischen Mittelfeld.

Der spätere Auszug hat verschiedene Ursachen: Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, besonders in Städten fällt der Einstieg in den Wohnungsmarkt schwer. Gleichzeitig dauert die Ausbildungsphase oft länger. Das zögert finanzielle Unabhängigkeit hinaus. Viele junge Menschen verstehen sich heute besser mit ihren Eltern als frühere Generationen – das Wohnen im Elternhaus ist nicht nur günstiger, sondern oft auch angenehm. So wohnen 75 Prozent der 15- bis 24-Jährigen noch bei ihren Eltern. Etwa fünf Prozent leben in Wohngemeinschaften, und jeweils zehn Prozent wohnen alleine oder mit Partner*innen. Auch wenn Städte bei jungen Menschen zunächst beliebt sind, möchten viele langfristig wieder so ähnlich wohnen, wie sie aufgewachsen sind. Verständlich, denn gute Wohnerfahrungen lassen sich kaum in konfektionierten Kleinstwohnungen sammeln.

Infografiken Auszug aus dem Elternhaus

Obwohl die Erwerbsbeteiligung junger Menschen mit 72 Prozent ein historisch hohes Niveau erreicht hat, ist der Weg in die Selbstständigkeit ein finanzieller Kraftakt: Die Hälfte der jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren ist auf finanzielle Unterstützung der Eltern angewiesen. Staatliche Leistungen wie BAföG, Stipendien oder Bürgergeld erhält nur etwa jede*r Neunte. Viele junge Menschen sorgen sich um ihre Zukunft: Laut aktuellen Erhebungen stehen nach Krieg und Inflation die hohen Wohnkosten auf Platz 3 ihrer Existenzängste. Wohnen gehört für viele zur größten finanziellen Belastung. Deshalb sind Wohngemeinschaften nicht nur ein soziales, sondern auch ein notwendiges wirtschaftliches Modell. Insbesondere in den Ballungsräumen ist der Zugang zum Wohnungsmarkt für viele junge Menschen gar nicht möglich – eine neue Dimension der Unfreiheit!

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