Erben verpflichtet!

#FairErben

                 

Debatte über eine gerechte Erbschaftsteuer

Die Vermögen in Deutschland sind ungleich verteilt. Das kann unsere Gesellschaft spalten und schadet der Wirtschaft. Eine gerechte Erbschaftsteuer wirkt dem entgegen. Die aktuelle Regelung verstärkt die Ungleichheit jedoch. Denn wer groß erbt oder beschenkt wird, zahlt niedrigere Steuersätze als jemand, der kleinere Summen erhält.

 

Konkret heißt das: Die reichsten 10 Prozent der Gesellschaft erhalten heute schon die Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen. Darauf fallen kaum Steuern an, weil es umfangreiche Ausnahmen und Schlupflöcher für superreiche Unternehmenserb*innen gibt.

 

Einer finanzstarken Lobby ist es gelungen, das Erbschaftsteuerrecht zugunsten von Superreichen zu beinflussen. Sie warnt etwa davor, dass die Steuer den Mittelstand schwäche und Arbeitsplätze gefährde. Belege dafür bleibt sie bis heute schuldig. Jedes Jahr gehen uns dadurch 5 bis 10 Milliarden Euro Steuereinnahmen verloren. Geld, das für wichtige Investitionen in Krisenbewältigung, Klimaschutz und Bildung fehlt.

 

Deshalb ist es wichtig, eine Debatte darüber zu führen, wie eine gerechtere Erbschaftsteuer aussehen kann.

Privilegien für Superreiche

Superreiche genießen bei der Erbschaftsteuer große Privilegien. Dadurch gehen uns in Deutschland jedes Jahr 5 bis 10 Milliarden Euro Steuereinnahmen verloren – so schätzt es der Subventionsbericht der Bundesregierung.

 

Das ist mit Abstand die größte aller Steuersubventionen. Und das meiste davon landet bei den Superreichen. So erhielten 3.630 Erb*innen und Beschenkte zwischen 2009 und 2020 steuerbefreites Vermögen

in Höhe von mehr als 260 Milliarden Euro.

 

Damit bekamen allein diese wenigen Superreichen rund zwei Drittel des gesamten begünstigten Erb- und Schenkungsvolumens.

Podcast: #FairErben – Ist die Erbschaftsteuer gerecht?

Bis zu 88 Prozent der Firmenerbinnen und -erben müssen keine Erbschaftsteuer zahlen – Schlupflöcher im Erbschaftsteuerrecht machen es möglich. Für das Jahr 2022 wird dadurch mit Steuermindereinnahmen von 5 Mrd. Euro gerechnet. Geld, das durch die gegenwärtigen Krisen an anderer Stelle gebraucht wird. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte schon 2014, dass die Privilegien für Erb*innen von hohen Vermögen verfassungswidrig seien.

 

Was sich ändern muss, damit vermögende Erb*innen nicht weiter bevorteilt werden, besprechen wir im Podcast mit unseren Expert*innen Norbert Walter-Borjans (ehemaliger NRW-Finanzminister), der Unternehmenserbin Stefanie Bremer (Taxmenow) und Julia Jirmann (Netzwerk Steuergerechtigkeit).

An Beispielen die aktuelle Gesetzeslage zur Erbschaftsteuer erklärt

Wer durch deine Arbeit im Jahr ein mittleres Einkommen von 50.000 Euro verdient, zahlt darauf mehr als 20 Prozent Steuern. Wer hingegen ein Familienunternehmen im Wert von Dutzenden Millionen erbt oder eine milliardenschwere Beteiligung am Großkonzern bekommt, zahlt darauf aufgrund weitreichender Ausnahmeregelungen in der Regel kaum Steuern.

 

Die steuerlichen Ausnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten bei sehr großen Vermögensübertragungen führen dazu, dass der durchschnittliche Steuersatz auf Schenkungen von Vermögen über 20 Millionen Euro in den vergangenen 10 Jahren im Schnitt weniger als 1 Prozent betrug, während kleinere Übertragungen mit einem deutlich höheren Steuersatz belegt wurden. Die einzige Bedingung für die Steuerbefreiung: Die Erb*innen dürfen das Unternehmen in den folgenden Jahren nicht verkaufen und nicht allzu viele Mitarbeiter*innen entlassen.

 

Diese sehr weitrechenden Ausnahmen für Unternehmenserb*innen hatte das Bundesverfassungsgericht zwar im Jahr 2014 zum wiederholten Male für verfassungswidrig erklärt. Steuerbefreiungen für Erbschaften dürfen insbesondere nicht in unbegrenzter Höhe möglich sein, so die Richter*innen – bei Superreichen sollen sie also nicht angewendet werden.

 

Im anschließenden Gesetzgebungsprozess bewirkte die Lobby der Superreichen jedoch, dass der Gesetzgeber nur  Schönheitskorrekturen am alten Gesetz vornahm. Anstelle echter Änderungen brachte die Reform neue umfangreiche Privilegien und Umgehungen für Superreiche. Zunächst wurde zwar eine Obergrenze für die Steuerbefreiung von Erbschaften und Schenkungen auf über 26 Millionen Euro festgelegt, gleichzeitig aber die Möglichkeit geschaffen, dass die Erb*innen solcher Groß-Vermögen einen Antrag auf Steuererlass stellen können.

 

Statt vollständiger Steuerbefreiung ist nun also ein vollständiger Erlass möglich. Voraussetzung dafür ist, dass die Groß-Erb*innen bedürftig sind. Erb*innen und Beschenkte gelten nach dem neuen Gesetz dann als „bedürftig“ und werden verschont, wenn sie kein weiteres Vermögen (sog.  verfügbares Vermögen) zur Zahlung der Steuer haben. Verfügen sie über weiteres Privatvermögen, müssen sie davon nur die Hälfe aufwenden, um die Steuerschuld zu begleichen – das übrige Vermögen wird verschont.

 

In der Praxis führen die Regelungen dazu, dass Erb*innen selbst bei riesigen Vermögensübertragungen oft keine oder nur wenige Steuern zahlen müssen.
 

Dabei nutzen sie beispielsweise diese Tricks:

1. Zur richtigen Zeit Aktien kaufen

Erhalten Firmenerb*innen ein Viertel der Anteile einer Kapitalgesellschaft als Schenkungen und möchten die anfallende Steuer nicht aus Privatvermögen zahlen, können sie es vor der Übertragung in Anteile des entsprechenden Unternehmens  stecken.

 

Falls die Beschenkten über weiteres Vermögen verfügen, dass eigentlich nicht steuerlich begünstigt ist (oder sollten sie es mit der Schenkung erhalten), müssen sie dies nur zur Hälfte zur Begleichung der fälligen Steuer aufwenden. Der Rest kann in unbegrenzter Höhe erlassen werden. Verkaufen sie die Anteile nach der Schenkung wieder, wirkt sich das nicht auf den Steuererlass aus.

2. Unternehmen an Kinder übertragen

Bekommt ein minderjähriges Kind, das (noch) über wenig eigenen Besitz verfügt, Unternehmensanteile jenseits von 26 Millionen Euro geschenkt oder vererbt, kann der Antrag auf Steuererlass gestellt werden.

3. Eine Familienstiftung gründen

Beliebt ist auch: Unternehmensvermögen auf privatnützige Familienstiftungen zu übertragen. Solche Stiftungen sind dazu da, das Vermögen der Stifter*innen langfristig zu erhalten und die Interessen bestimmter Personen zu bedienen.

 

Auf diese Weise können zum Beispiel die Stiftungs- und Unternehmensgewinne an Familienangehörige fließen. Steuerfrei ist das, wenn die Stiftung zum Zeitpunkt der Erbschaft oder Schenkung kein Vermögen hat, das nicht begünstigt ist – wie etwa  Finanzanlagen oder fremdvermietete Immobilien.

 

Dabei spielt es keine Rolle, wie vermögend die Begünstigten der Stiftung sind.

4. Eine Banklizenz beantragen

Hat eine reiche Familiendynastie das Familienunternehmen vor langer Zeit verkauft und die Erlöse über ein Family Office am Aktienmarkt investiert, zählen die dort verwalteten Aktienpakete in der Regel nicht als Betriebsvermögen. Deshalb wären auf die Finanzanlagen eigentlich Erbschaftsteuern fällig.

 

Mit einer Banklizenz kann das Family Office das ändern. Dadurch verwandeln sich die Aktienpakete in Betriebsvermögen der Bank und dieses kann beim Übergang vollständig von der Steuer befreit werden bzw. ein Antrag auf Erlass gestellt werden.

 

Weil Finanzämter für solche komplexen Fälle, wie die der Verschonungsbedarfsprüfung, bis zu vier Jahren oder länger brauchen, dürfte sich das Ausmaß dieses neuen Steuerprivilegs erst in den nächsten Jahren zeigen. Ob es sich dann auch angemessen in der Statistik widerspiegelt, ist noch offen:

 

Die Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik weist bisher nur die festgesetzte Steuer aus – also das, was die Steuerbehörden verlangen, bevor die Steuerpflichtigen einen Erlass wegen Bedürftigkeit beantragen. Auf Nachfrage hat das Bundesamt für Statistik 2022 erste Zahlen zu im Jahr 2021 abgeschlossenen Bedürftigkeitsprüfungen bereitgestellt: Demnach erhielten 10 Erben einen Steuererlass von knapp einer halben Milliarde Euro.

 

In Zukunft dürfte die Anzahl und der Umfang der Fälle deutlich zunehmen.

FAQ Erbschaftsteuer

Antworten zu häufigen Fragen rund um die Erbschaftsteuer

Wie verteilen sich die Vermögen in Deutschland?

Die Vermögen in Deutschland sind ungleich verteilt. Diese Ungleichheit kann unsere Gesellschaft spalten und schadet der Wirtschaft. Die Ungleichheit setzt sich durch Erbschaften und Schenkungen über Generationen hinweg fort – und verschärft sich. Egal wie viel Intelligenz, Bildung oder Fleiß Menschen aufbringen – kommen sie aus nicht wohlhabenden Familien, können sie kaum erreichen, was eine kleine Gruppe von Großerb*innen leistungslos erhält.

 

Die reichsten 10 Prozent der Gesellschaft bekommen derzeit die Hälfte des Erb- und Schenkungsvolumen, während die ärmere Hälfte komplett leer ausgeht. Deutschland entwickelt sich zunehmend von einer Leistungs- zu einer Erb*innengesellschaft: Mehr als die Hälfte des Vermögens in Deutschland wurde nicht erarbeitet, sondern beruht auf Erbschaften und Schenkungen – Tendenz steigend.

 

Werden diese Vermögen nicht angemessen besteuert, befeuert das die Ungleichheit.

Warum ist eine Erbschaftsteuer sinnvoll?

Mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer könnte der Staat der Vermögensungleichheit in Deutschland entgegenwirken. Doch das hierzulande geltende Steuerrecht macht genau das Gegenteil. Denn der Staat besteuert sehr große Vermögen niedriger als kleine Erbschaften oberhalb der persönlichen Freibeträge. Das liegt an umfangreichen Ausnahmen für Unternehmensübertragungen.

 

Davon profitieren vor allem Superreiche, die Erbschaften und Schenkungen im Millionen- und Milliardenbereich erhalten. Denn bei ihnen konzentrieren sich Unternehmensvermögen. So fielen auf Schenkungen von über 20 Millionen Euro in den vergangenen zehn Jahren weniger als 1 Prozent Steuern an.

 

Die Erbschaftsteuer wirkt also nicht progressiv, sondern regressiv. Ein Beispiel: Wem Oma etwas hinterlässt, das über dem persönlichen Freibetrag von 200.000 Euro liegt, der muss Erbschaftsteuer zahlen.

 

Wer hingegen Unternehmensanteile in Millionenhöhe oder eine milliardenschwere Beteiligung am Großkonzern erhält, zahlt darauf in der Regel nur sehr wenig oder gar keine Steuern – unabhängig davon, wie viele Gewinne das Unternehmen abwirft.

Wie viel nimmt der Staat durch die Erbschaftsteuer ein?

Im Jahr 2021 betrug das von den Finanzämtern steuerlich berücksichtigte Vermögen 118 Milliarden Euro. Die darauf festgesetzte Erbschaftsteuer lag bei 9 Milliarden Euro; die Schenkungsteuer bei 2,1 Milliarden Euro. Somit ergab sich ein durchschnittlicher Steuersatz in Höhe von 9,4 Prozent. Angesichts der enormen Erbsumme von derzeit jährlich etwa 400 Milliarden Euro und der ohnehin sehr starken Vermögenskonzentration fristet die Erbschaftsteuer hierzulande ein Schattendasein.

 

Betrachtet man Schenkungen über 20 Millionen Euro, betrug der durchschnittliche Steuersatz laut Steuerstatistik im Jahr 2021 2,2 Prozent. Weil dabei die Superverschonung – der Steuererlass für Vermögen ab 26 Millionen Euro nach der Verschonungsbedarfsprüfung – nicht berücksichtigt ist, dürfte der tatsächliche Steuersatz deutlich geringer ausfallen.

 

Die Einnahmen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer betragen aktuell insgesamt gerade einmal 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Besonders vor dem Hintergrund, dass Deutschland keine Vermögensteuer erhebt, ist das vergleichsweise wenig.

 

Ein Vergleich: Die Einnahmen aus der Tabaksteuer beliefen sich im Jahr 2021 auf rund  15 Milliarden Euro. Damit leisten Raucher*innen einen höheren Beitrag zu den Staatsfinanzen als Erb*innen.

Was kostet uns die Erbschaftsteuersubvention für Superreiche?

Die Ausnahmen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind laut Subventionsbericht der Bundesregierung mit Abstand die größte aller Steuersubventionen und kosten die Menschen in Deutschland jedes Jahr mehr als 5 Milliarden Euro. Ein Blick in die aktuelle Steuerstatistik zeigt jedoch:

Die tatsächlichen Kosten dürften eher 10 Milliarden Euro betragen – denn bei der letzten Schätzung des Subventionsberichtes war der starke Anstieg der steuerfreien Unternehmensübertragungen noch nicht absehbar.

 

Der Großteil der Subventionen landet bei Superreichen – überwiegend männlich und in Westdeutschland lebend. So erhielten 3.630 Großerb*innen und Beschenkte zwischen 2009 und 2020 ein von Steuern befreites Vermögen in Höhe von insgesamt 260 Milliarden Euro.

 

Das entspricht etwa 70 Millionen Euro pro Person, die vor allem als Schenkungen übertragen wurden. Damit bekamen allein diese wenigen Superreichen rund 64 Prozent des gesamten begünstigten Erb- und Schenkungsvolumens – und somit den Großteil der Steuersubventionen.

Was zeigt die Erbschaftsteueruhr?

Welche gesellschaftlichen Kosten die Steuersubventionen für Superreiche verursachen, zeigt die Erbschaftsteueruhr auf dieser Website. Die Zählung basiert auf dem Subventionsbericht der Bundesregierung.

 

Weil die Steuerausfälle durch die  Privilegien im Subventionsbericht aber sehr wahrscheinlich unterschätzt sind, tickt unsere Uhr langsamer, als es der Realität entspricht.

 

Für das Jahr 2022 beziffert der Bericht die Kosten auf 5,1 Milliarden Euro. Das entspricht rund 14 Millionen Euro pro Tag, rund 600.000 Euro pro Stunde und rund 160 Euro pro Sekunde.

Wer profitiert von den Subventionen?

Es gibt hierzulande zahlreiche große Familiendynastien, die über Generationen hinweg Vermögen steuerlich subventioniert weiterreichen. Die meisten scheidenden Unternehmer*innen geben die Firmenanteile in die Hände eines männlichen Verwandten.

 

Demzufolge profitieren Männer am stärksten von den großzügigen Steuerprivilegien. Zudem leben Firmenerb*innen nahezu ausschließlich in Westdeutschland. Nur 1,6 Prozent des steuerbefreiten Vermögens erhielten Personen in Ostdeutschland.

 

Verfechter*innen der Steuerprivilegien führen gerne an, dass die Firmenerb*innen vor allem Verantwortung für Arbeitsplätze tragen. Dabei erben sehr häufig Personen Unternehmensvermögen, die sich nicht aktiv dort engagieren und als reine Anteilseigner*innen keine besondere unternehmerische Verantwortung tragen.

 

In den vergangenen Jahren wurde etwa 40 Kindern unter 14 Jahren jeweils ein Riesenvermögen von 250 Millionen Euro oder mehr übertragen. Insgesamt erhielten sie rund 33 Milliarden Euro – und das zu 99 Prozent steuerbefreit. Das macht im Durchschnitt 825 Millionen Euro pro Kind.

Ist die aktuelle Regelung zur Erbschaftsteuer rechtens?

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Ausnahmen für Unternehmensübertragungen bei der Erbschaftsteuer in der Vergangenheit immer wieder als zu weitreichend und damit verfassungswidrig. Daraufhin besserte der Gesetzgeber mehrmals nach, zuletzt 2016.

 

Infolge wirksamer Lobbyarbeit nahm er allerdings nur Schönheitskorrekturen am Gesetz vor und schuf sogar neue umfangreiche Privilegien und Umgehungsmöglichkeiten für Superreiche. Bei der letzten Prüfung im Jahr 2014 beanstandeten die Verfassungsrichter*innen etwa, dass eine Steuerbefreiung nicht für Erbschaften in unbegrenzter Höhe möglich sein dürfe. Anschließend legte der Gesetzgeber zwar eine Obergrenze für eine vollständige Steuerbefreiung für Erbschaften und Schenkungen ab 26 Millionen fest, ermöglichte Großerb*innen aber gleichzeitig einen Steuererlass, sofern sie als „bedürftig“ gelten.

 

Eine Bedürftigkeit im Sinne des neuen Gesetzes ist dabei schnell erreicht. Grundsätzlich gilt: Erb*innen und Beschenkte sind dann als bedürftig anerkannt, wenn sie kein sogenanntes verfügbares Vermögen vorweisen können, um die Steuerschuld zu begleichen. Dabei berücksichtigen die Finanzämter aber lediglich 50 Prozent des Privatvermögens. Was sie nicht einbeziehen, sind das übertragene Betriebsvermögen und die daraus zu erwartenden Ausschüttungen.

 

Noch dazu zeigen jüngste Großerbschaften: Was als „Privatvermögen“ gezählt wird, lässt sich großzügig auslegen. Für das Jahr 2021 teilte das Bundesamt für Statistik auf Anfrage die ersten Zahlen zur neuen Superverschonung mit. Demnach erhielten 10 Personen einen Steuererlass von knapp einer halben Milliarden Euro – und das ist erst der Anfang. Insgesamt widerspricht die aktuelle Regelung also dem Geist des Urteils des Bundesverfassungsgerichts.

Wie kann die Erbschaftsteuer gerechter werden?

Eine progressive Erbschaftsteuer kann die Vermögensungleichheit in Deutschland abbauen (OECD, 2021). Für größere Erbschaften müsste dazu ein höherer Steuersatz gelten als für kleinere.

 

Um das zu erreichen müssten Steuervergünstigungen für Unternehmen weitestgehend beseitigt werden, denn hohe Vermögensübertragungen beruhen zu einem großen Anteil auf Anteilen an Kapitalgesellschaften und Betriebsvermögen. Bei einer Erbschaftsteuerreform würden die Ausnahmen für Unternehmenserb*innen nicht einfach gestrichen. Anstelle der Begünstigungen könnten langfristige Finanzierungshilfen geschaffen werden.

 

In Frage kommen etwa die Verteilung der Erbschaftsteuer über lange Zeiträume oder eine Verrentung, damit die Erb*innen sie aus den laufenden Erträgen abzahlen können, ohne das Eigenkapital des Unternehmens zu gefährden. Es wäre zudem möglich, die Steuerschuld in öffentliche Unternehmensbeteiligungen umzuwandeln.

 

Weitere Deteils zu einer möglichen Ausgestaltung der Finanzierungshilfen informiert Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hier.

Bleiben die Arbeitsplätze gesichert?

Die Erbschaftsteuer belaste den deutschen Mittelstand und gefährde dadurch viele Arbeitsplätze – diese Drohung nutzt die Unternehmenslobby regelmäßig, um ihre Interessen durchzusetzen.

 

Einen Beleg dafür bleibt sie jedoch bis heute schuldig. Ganz im Gegenteil sagen etwa der wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums und die OECD: Anstatt Arbeitsplätze zu erhalten, können die Steuerausnahmen für Unternehmensübergänge dauerhaft sogar Arbeitsplatzverluste mit sich bringen, weil die Erb*innen willkürlich subventioniert werden – ganz unabhängig von ihren unternehmerischen Fähigkeiten.

 

Dies kann notwendige Veränderungen der Unternehmen und Strukturwandel durch neue und innovative Unternehmen behindern. Dass Großerb*innen nicht immer fleißig, unternehmerisch begabt und gesellschaftlich verantwortungsbewusst sind, klingt logisch und wurde auch in Untersuchungen belegt. Studien aus Dänemark, den USA, Frankreich, Deutschland und der UK kommen zu dem Ergebnis, dass die Erb*innen von Familienunternehmen im Schnitt schlechtere Unternehmenslenker*innen sind.

 

So ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein von Erb*innen fortgeführtes Unternehmen Insolvenz anmelden muss oder sich ökonomisch schlechter entwickelt als ein von externen Manager*innen übernommener Betrieb – mit negativen Folgen für die gesamte Wirtschaft. Zudem erben sehr häufig Personen Unternehmensvermögen, die sich nicht aktiv im Betrieb engagieren und als reine Anteilseigner*innen keine besondere unternehmerische Verantwortung tragen.

 

Eine Gefährdung von Arbeitsplätzen durch die Erbschaftsteuer, die über viele Jahre gestundet werden kann, gibt es nicht.

Wie lassen sich kleine Familienunternehmen schützen?

Kleine und mittelständische Familienunternehmen, Handwerks- und landwirtschaftliche Betriebe im Familienbesitz werden regelmäßig bemüht, um von superreichen Erb*innen abzulenken, die am allermeisten von der Verschonung profitieren.

 

In den vergangenen elf Jahren landeten 64 Prozent des begünstigten Vermögens bei nur 3.630 Personen, die im Schnitt 70 Millionen Euro erhielten, – mitnichten also die Bäckermeister*innen oder Landwirt*innen von nebenan.

 

Tatsächlich geht es darum, den persönlichen Reichtum von Familiendynastien zu schützen: Die Quandts, Aldi-Albrechts und Henkels profitieren am stärksten. Denn auch Unternehmensanteile und Aktienpakete im Wert von Millionen und Milliarden gelten als Betriebsvermögen und werden begünstigt.

 

Kleinstunternehmen und echte Härtefälle könnten ganz einfach geschützt werden – und zwar über angemessene Freibeträge und klar begrenzte Ausnahmen.

Steckt das Vermögen nicht in Betriebsanlagen und Maschinen?

Firmenerb*innen könnten die Erbschaftsteuer nicht leisten, ohne an die „Vermögensubstanz“ zu gehen – also das Unternehmen zu verkleinern und Investitionen einzustellen. Und das gefährde Wohlstand und Arbeitsplätze.

 

So argumentiert die  Unternehmenslobby. Allerdings muss nicht das Unternehmen die Steuer zahlen, sondern die Erb*innen – und die verfügen in der Regel über weiteres Privatvermögen oder erhalten es mit der Erbschaft. Damit können sie die Steuer begleichen.

 

Bei einer Reform würden die Ausnahmen für Unternehmenserb*innen nicht einfach gestrichen. Anstelle der Begünstigungen sollten langfristige Finanzierungshilfen für die Steuerbelastung geschaffen werden. Die Steuer könnte über viele Jahre hinweg aus den Unternehmensgewinnen gezahlt werden, wie Stefan Bach vom DIW hier zeigt.

 

Da sich die Erbschaftsteuer nach dem Unternehmenswert bemisst und dieser sich wiederum aus den Unternehmensgewinnen ergibt, ist es unwahrscheinlich, dass eine angemessene Erbschaftsteuer die Vermögenssubstanz verringern würde. Das gilt insbesondere dann, wenn die Steuer gestundet und ratenweise gezahlt werden kann.

Warum sind keine feindlichen Übernahmen zu befürchten?

Oft wird behauptet, dass Familienunternehmen wegen der Erbschaftsteuer keine andere Wahl hätten, als sich Finanzinvestor*innen ins Haus zu holen. Doch für den Fall, dass nicht ohnehin ausreichend privates Vermögen vorhanden ist, können Erb*innen etwa durch Stundung die Steuer aus zukünftigen Unternehmensgewinnen bezahlen.

 

In einem funktionierenden Kapitalmarkt wie in Deutschland können Erb*innen zudem Kredite aufnehmen. Ferner kann auch die Möglichkeit geschaffen werden, die Steuerschuld zu begleichen, indem Eigentumsanteile an den Staat als stillen Teilhaber gehen. Auf diese Weise kann eine feindliche Übernahme in jedem Fall ausgeschlossen werden. Ohnehin profitieren oft Erb*innen von den Privilegien, die sich nicht aktiv im Unternehmen engagieren und keine besonderen unternehmerischen Risiken tragen, sondern reine Anteilseigner sind, darunter etwa auch Minderjährige.

 

Viele größere Familienunternehmen setzen bereits externe Manager*innen ein. Es kann sich sogar positiv auf den Unternehmenserfolg und die Beschäftigung auswirken, wenn fremde Investor*innen (teilweise) übernehmen. Zudem gibt es bisher kein Beispiel für den Einstieg eines Multis oder Finanzinvestors in ein Unternehmen aufgrund der Erbschaftsteuer.

 

Dieses Narrativ ist nichts weiter als ein Schreckgespenst. Ganz im Gegenteil weckte im vergangen Jahr ein Fall mediale Aufmerksamkeit, der wegen des überraschenden Todes des Erblassers einer der größten Erbschaftsteuerfälle der Geschichte werden könnte. Nach Angaben der Familie stellt die Zahlung der Steuer in Milliardenhöhe kein Problem dar; Anteile am Familienunternehmen müssen nicht verkauft werden.

Beträfe eine Reform der Erbschaftsteuer Omas Häuschen?

Der Unternehmenslobby gelingt es seit Jahren, die öffentliche Debatte über eine gerechte Vermögensbesteuerung wegzulenken und Mythen zu verbreiten – etwa, dass eine Reform auch kleinere und mittlere Erbschaften stärker besteuere.

 

Werden Steuervergünstigungen für Unternehmensvermögen gestrichen, wirkt sich das aber keineswegs auf die Übertragung von Omas Häuschen aus.

 

Ganz im Gegenteil: Entfallen die Steuerprivilegien, könnte ein Teil der Mehreinnahmen verwendet werden, um die persönlichen Freibeträge anzuheben.

Wurde das Vermögen nicht schon besteuert?

Die Doppelbesteuerung ist ein beliebter Einwand gegen die Erbschaftsteuer. Tatsächlich wächst das Vermögen der Erb*innen, ohne dass sie dafür gearbeitet haben oder Einkommensteuer zahlen. Deshalb gibt es die Erbschaftsteuer.

 

Und auch die Erblasser*innen haben meist nur die „halbe Steuer“ gezahlt – nämlich nur auf die Unternehmensgewinne. Die oft hohen Wertsteigerungen von Unternehmen sind in der Regel nicht versteuert.

 

Und selbst wenn das vererbte Privatvermögen bereits einmal mit der Einkommensteuer belastet wurde, handelt es sich nicht um eine unzulässige „doppelte“ Besteuerung, da ein anderer Vorgang und eine andere Person besteuert werden.

 

Das kennen wir aus dem Alltag: Wer mit versteuertem Lohn einkaufen geht, zahlt selbstverständlich auch die Umsatz- und Verbrauchsteuern; die Grundsteuer belastet die Wohnung, auch bei Mieter*innen. Häuslesbauer*innen zahlen die Grunderwerbsteuer. Und was für uns alle gilt, ist den Großerb*innen genauso zuzumuten.

Warum die Erbschaftsteuer nicht ganz abschaffen?

Die Vermögenskonzentration in Deutschland ist enorm: 1 Prozent der reichsten Menschen besitzen hierzulande rund 35 Prozent des gesamten Vermögens. Zudem erhalten die wohlhabendsten Haushalte in Deutschland mit Abstand die größten Erbschaften.

 

Die Ungleichheit verstärkt sich durch die ungleiche Verteilung von Vermögenstransfers weiter. Mittlerweile sind in Deutschland bis zu mehr als der Hälfte der Vermögen nicht mehr erarbeitet, sondern beruhen auf Erbschaften und Schenkungen – Tendenz steigend.

 

Je größer die Vermögen sind, desto höher ist auch im Schnitt der Anteil, der durch Schenkung oder Erbschaft erworben wurde.

 

Deutschland entwickelt sich zunehmend von einer Leistungs- zu einer  Erbengesellschaft. Rein statistisch betrachtet ist Deutschland auf Grund des hohen Anteils von Erbschaften am Gesamtvermögen bereits heute eher eine Erb*innen- statt eine Leistungsgesellschaft.

 

Die Erbschaftsteuer kann der sozialen Ungleichheit unbestritten entgegenwirken und die Chancengleichheit verbessern – vor allem,wenn sie gerecht gestaltet wird.

Wer verbirgt sich hinter der Unternehmenslobby?

Insbesondere die als gemeinnützig anerkannte Stiftung Familienunternehmen und Politik setzte sich bei der letzten Reform für die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer ein. Ein Lobbyverband, der nicht etwa die Interessen von Bäcker- und Handwerksbetrieben vertritt, wie der Name der Stiftung vermuten lässt.

 

Er arbeitet für die 500 größten deutschen Familienunternehmen und damit nicht einmal 0,02 Prozent der 2,8 Millionen familiengeführten Unternehmen.

 

Matthias Lefarth, der während der letzten Erbschaftsteuerreform Leiter der Steuerabteilung der Stiftung Familienunternehmen und Politik war, bezeichnete sein Einwirken auf die Gesetzgebung und vor allem die von ihm mitverhandelte Verschonungsbedarfsprüfung selbst als „Sternstunde der Politikberatung“.

Wie machen es andere Länder?

Beim Vergleich mit anderen Ländern ist zu beachten, dass sich die Erhebung der Erbschaftsteuer teilweise unterscheidet. Man muss die Erbschaftsteuer zudem im Gesamtbild mit anderen Vermögensteuern betrachten. Letztere tragen in Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Ländern sehr wenig zum Steueraufkommen bei.

 

Deutschland ist eine Steueroase für Vermögende. Gleichzeitig werden Arbeitseinkommen hierzulande hoch besteuert. Viele Länder gewähren bei der Erbschaftsteuer gewisse Vorzugsbehandlung für Unternehmensvermögen wie etwa Bewertungsabschläge, Steuerstundungen oder Befreiungen. So weitreichend wie in Deutschland sind sie allerdings nur selten.

Erben verpflichtet!
#FairErben

Eine Einschätzung von Norbert Walter-Borjans zur politischen Situation in Deutschland.

 

Von Norbert Walter-Borjans

Steuerprivilegien bei Erbschaften und Schenkungen

Empirische Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung von Vermögentransfers, von denen vor allem Frauen und Menschen in Ostdeutschland betroffen sind.
 

Von Julia Jirmann

Die Studien zum Download

Erbschaftsteuer: Privilegien abschaffen

Erbschaftsteuer: Privilegien abschaffen

Alternative Konzepte zu den weitreichenden Steuervergünstigungen, die bisher vor allem hohe Unternehmensvermögen entlasten.
Von Stefan Bach weiter
Vom Mythos der wirtschaftlich schädlichen Erbschaftsteuer

Vom Mythos der wirtschaftlich schädlichen Erbschaftsteuer

Die derzeitigen Regelungen bevorzugen vor allem Betriebsvermögen, ohne dass sich dies ökonomisch rechtfertigen lässt.
Von Volker Grossmann weiter
Erbschaft verpflichtet!

Erbschaft verpflichtet!

Eine Einschätzung zur politischen Situation in Deutschland.
Von Norbert Walter-Borjans weiter
Steuerprivilegien bei Erbschaften und Schenkungen

Steuerprivilegien bei Erbschaften und Schenkungen

Empirische Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung von Vermögentransfers, von denen vor allem Frauen und Menschen in Ostdeutschland betroffen sind.
Von Julia Jirmann weiter
Erbengesellschaft

Erbengesellschaft

Erbschaften und Schenkungen und ihr empirisch belegter Beitrag zur Vermögensungleichheit gefährden unsere liberale Demokratie.
von Stefan Gosepath und Martyna Berenika Linartas weiter

Progressive Finanzpolitik