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Kurzgefasst und eingeordnet von Hans Peter Schunk. Hans Peter Schunk ist Doktorand am Seminar für Neueste Geschichte der Philipps-Universität Marburg.
Einsamkeit und Ressentiments sind zentrale gesellschaftliche Herausforderungen, die das demokratische Zusammenleben bedrohen. Einsamkeit führt zu sozialem Rückzug und Misstrauen, während Ressentiments aus Ohnmachtsgefühlen hervorgehen und gesellschaftliche Spaltungen verstärken. Beide Phänomene sind emotional, strukturell und funktional miteinander verbunden und begünstigen politische Radikalisierung. Der soziale Raum beeinflusst ihre Ausbreitung, und demokratische Politik muss gezielt gegensteuern, um sozialen Zusammenhalt und Vertrauen zu stärken. Nur durch präventive Maßnahmen, soziale Infrastruktur und politischen Dialog kann verhindert werden, dass Einsamkeit und Ressentiments zum kollektiven Schicksal werden.
Aus Sicht der Sozialen Demokratie bilden Werte wie sozialer Zusammenhalt und Respekt das Fundament unserer Gesellschaft. Das vorliegende Buch zeigt, wie Einsamkeit und fehlende Anerkennung Ressentiments begünstigen und wie gesellschaftliche und politische Maßnahmen dem entgegenwirken können. Es hilft, Lösungsansätze zu entwickeln und stärkt damit das Anliegen der Sozialen Demokratie, eine Gesellschaft des Respekts und des sozialen Zusammenhalts zu erhalten und weiterzuentwickeln.
Jens Kersten ist Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Claudia Neu ist Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel.
Berthold Vogel ist Geschäftsführender Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen und unterrichtet Soziologie an den Universitäten Göttingen, Kassel und St. Gallen.
Einsamkeit und Ressentiment sind nicht nur individuelle Erfahrungen, sondern haben tiefgreifende gesellschaftliche und politische Folgen. Einsamkeit wird in westlichen Gesellschaften zunehmend zu einer Epidemie, und die durch Einsamkeit verursachten Ressentiments gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Wer sich sozial isoliert fühlt, beteiligt sich seltener am politischen Leben, hat weniger Vertrauen in demokratische Institutionen und neigt eher zu populistischen Ideologien. Langanhaltende Einsamkeit kann zudem die Wahrnehmung der Umwelt negativ verzerren und zur Abwertung anderer sozialer Gruppen beitragen.
Einsamkeit ist dabei nicht nur eine persönliche Herausforderung, sondern auch ein strukturelles Problem. Individuelle Bewältigungsversuche, etwa durch soziale Medien oder professionelle Hilfe, bleiben oft ohne nachhaltige Wirkung. Junge Menschen sind seit der Corona-Pandemie besonders betroffen. Die Studie Extrem einsam? aus dem Jahr 2023 zeigt, dass einsame Jugendliche häufiger demokratische Institutionen in Frage stellen, sich politisch machtlos fühlen und anfälliger für autoritäre Ideologien und Verschwörungsmythen sind. Angesichts dieser demokratieschädigenden Effekte wurde in Großbritannien bereits 2018 das Amt eines „Minister for Loneliness“ geschaffen, um politische Strategien gegen Einsamkeit zu entwickeln.
Während in früheren sozialwissenschaftlichen Paradigmen ökonomische oder technologische Erklärungsansätze im Vordergrund standen, rückt heute die emotionale Dimension gesellschaftlicher Phänomene in den Mittelpunkt. Soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklungen lassen sich nicht allein rational erklären, sondern werden maßgeblich von Emotionen beeinflusst.
Einsamkeit und Ressentiments sind Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Wandlungsprozesse. Während Einsamkeit häufig mit strukturellen Veränderungen wie der Digitalisierung, dem Wandel der Arbeitswelt oder dem Abbau sozialer Infrastruktur zusammenhängt, speisen sich Ressentiments aus wahrgenommenen Ungerechtigkeiten und enttäuschten Erwartungen an Freiheit und Gleichheit. Sie resultieren häufig aus ökonomischen Abstiegserfahrungen oder dem Gefühl mangelnder politischer Repräsentation.
Die Analyse dieser Phänomene erfordert eine dreidimensionale Perspektive: Erstens müssen Emotionen sowohl als individuelle Erfahrungen als auch als kollektive Dynamiken betrachtet werden. Zweitens spielen soziale Strukturen eine entscheidende Rolle, da sie beeinflussen, wie sich Einsamkeit und Ressentiments in verschiedenen sozialen Gruppen manifestieren. Drittens sind normative Werte wie Gleichheit, Freiheit und Solidarität von Bedeutung, da sie nicht nur in individuellen Emotionen zum Ausdruck kommen, sondern auch die gesellschaftliche Bewertung von Einsamkeit und Ressentiment prägen.
Einsamkeit ist nicht gleichzusetzen mit sozialer Isolation oder Alleinsein. Während soziale Isolation das objektive Fehlen von sozialen Kontakten beschreibt, ist Einsamkeit ein subjektives Gefühl. Wer sich einsam fühlt, erlebt einen Mangel an sozialen Bindungen, der nicht unbedingt mit der Anzahl der tatsächlichen Kontakte korreliert.
Einsamkeit kann unterschiedliche Formen annehmen. Emotionale Einsamkeit beschreibt das Fehlen enger Bindungen, soziale Einsamkeit das Fehlen eines ausgedehnten Netzwerks. Kollektive Einsamkeit entsteht, wenn Menschen das Gefühl haben, nicht mehr Teil einer größeren sozialen Gemeinschaft zu sein. Bleibt die soziale Integration über längere Zeit aus, verstärkt sich das Gefühl der Einsamkeit als Ausdruck der Nichterfüllung sozialer Erwartungen.
Die gesellschaftlichen Folgen von Einsamkeit sind gravierend: Chronische Einsamkeit kann psychische und physische Erkrankungen begünstigen, die Lebenserwartung verkürzen und die gesellschaftliche Teilhabe einschränken. Einsame Menschen haben oft weniger Vertrauen in Institutionen, Medien und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Studien zeigen, dass einsame Menschen sich häufiger als gesellschaftliche Minderheit wahrnehmen und stärker zu autoritären Tendenzen neigen. Gleichzeitig sollte Einsamkeit nicht überdramatisiert werden – nicht jeder einsame Mensch entwickelt antidemokratische Einstellungen und nicht jede Gesellschaft ist zwangsläufig eine „vereinsamte Gesellschaft“.
Neben individuellen Ursachen wie Schüchternheit oder gesundheitlichen Problemen gibt es auch strukturelle Faktoren, die Einsamkeit verstärken. Gesellschaftliche Entwicklungen wie die Zunahme von Einpersonenhaushalten oder die Pluralisierung von Lebensformen erhöhen das Einsamkeitsrisiko. Das Depressionsbarometer 2023 zeigt, dass sich jeder Vierte in Deutschland sehr einsam fühlt – Jüngere sogar häufiger als Ältere. Dies widerspricht der weit verbreiteten Annahme, dass vor allem ältere Generationen betroffen sind.
Einsamkeit hat aber auch eine funktionale Rolle in der Demokratie. Erstens ist sie in einer Gesellschaft der Gleichheit und individuellen Freiheit unvermeidlich, da diese Prinzipien oft mit sozialer Fragmentierung einhergehen. Zweitens zwingt Einsamkeit die Menschen, über ihre soziale Einbindung nachzudenken. Drittens kann sie dazu führen, dass sich Menschen aus der demokratischen Gesellschaft zurückziehen, um ihre Identität zu bewahren. Diese Ambivalenz zeigt, dass Einsamkeit sowohl eine gesellschaftliche Herausforderung als auch ein integraler Bestandteil demokratischer Gesellschaften ist.
Ressentiment ist eine tiefsitzende emotionale Haltung, die aus anhaltenden Gefühlen von Ohnmacht, Kränkung und dem Eindruck sozialer Benachteiligung entsteht. Während Einsamkeit oft zu Rückzug und Passivität führt, kann Ressentiment ein aktives Bedürfnis nach Schuldzuweisung hervorrufen. Häufig ist damit ein Racheimpuls verbunden, der sich gegen Personen oder Gruppen richtet, die für die empfundene Kränkung verantwortlich gemacht werden.
Ressentiments führen zu einer verzerrten Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität. Wer stark von Ressentiments geprägt ist, betrachtet gesellschaftliche Entwicklungen vor allem aus der Perspektive der eigenen Kränkungen. Dies kann zu einer Realitätsverschiebung führen, bei der objektive Ereignisse als gezielte Angriffe auf die eigene Identität interpretiert werden. Insbesondere in sozialen Netzwerken entsteht eine Dynamik der gegenseitigen Bestätigung: Die permanente Verstärkung von Opferdiskursen durch algorithmische Strukturen fördert die Eskalation von Wut und Feindbildern und verstärkt die gesellschaftliche Polarisierung.
Menschen, die sich dauerhaft benachteiligt fühlen, neigen dazu, politische Eliten, Minderheiten oder andere gesellschaftliche Gruppen abzuwerten. Ressentiments können so zum Motor populistischer Bewegungen werden und demokratische Prozesse untergraben. Besonders brisant ist, dass Ressentiments häufig aus enttäuschten Freiheits- und Gleichheitserwartungen resultieren: Wer sich um seine Chancen betrogen fühlt, richtet seinen Frust oft nicht gegen strukturelle Ursachen, sondern gegen symbolische Feindbilder.
Demokratische Politik kann der Entstehung von Ressentiments vorbeugen, indem sie mit diesen Enttäuschungen konstruktiv umgeht. Sozialer und wirtschaftlicher Ausgleich sind essenziell, um Vertrauen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische Ordnung wiederherzustellen. Eine reine Symptombekämpfung reicht jedoch nicht aus – vielmehr muss die Politik Wege finden, den Verlust von Anerkennung und Teilhabe aktiv anzugehen und so die Entstehung ressentimentgeladener Dynamiken frühzeitig einzudämmen.
Einsamkeit und Ressentiment sind eng miteinander verbunden, da beide mit dem Gefühl von Ohnmacht und Kontrollverlust einhergehen. Einsame Menschen fühlen sich sozial ausgeschlossen, während ressentimentgeladene Personen ihre Lage als fremdbestimmt wahrnehmen. Beide stabilisieren ihr Selbstwertgefühl durch negative Deutungsmuster: Einsame ziehen sich zurück und geraten so in eine Abwärtsspirale aus Rückzug und wachsendem Misstrauen. Ressentiments führen zur Bildung von Feindbildern und vertiefen die gesellschaftliche Spaltung. Der strukturelle Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen zeigt sich in Vertrauensverlusten: Einsamkeit schwächt das Vertrauen in soziale Beziehungen, während Ressentiments das Vertrauen in Institutionen und gesellschaftliche Zusammenhänge untergraben. Dies kann langfristig zur Destabilisierung demokratischer Strukturen beitragen.
Die Verteilung von Einsamkeit und Ressentiment ist räumlich ungleich. Während in urbanen Zentren häufig eine soziale Fragmentierung und entsprechend Einsamkeit zu beobachten ist, fühlen sich Menschen in strukturschwachen Regionen häufig abgehängt. Einsamkeit tritt vermehrt in peripheren Räumen auf, in denen es an sozialer Infrastruktur mangelt. Ressentiments konzentrieren sich dort, wo gesellschaftlicher Wandel als Bedrohung empfunden wird.
Die Bekämpfung von Einsamkeit und Ressentiment erfordert eine aktive politische Strategie. Die gesellschaftliche Teilhabe muss gestärkt werden, indem soziale Infrastrukturen ausgebaut und politische Partizipationsmöglichkeiten gefördert werden. Die Politik muss Räume schaffen, in denen soziale Bindungen gestärkt werden können, sei es durch kulturelle Initiativen, Bildungsangebote oder bürgerschaftliches Engagement. Gleichzeitig ist es notwendig, Ressentiment durch gezielte Maßnahmen der politischen Bildung und des Dialogs entgegenzuwirken. Demokratien können es sich nicht leisten, Einsamkeit und Ressentiment zu ignorieren, da beide Phänomene langfristig den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.
Einsamkeit und Ressentiment sind nicht nur individuelle Herausforderungen, sondern gesamtgesellschaftliche Phänomene, deren Verbreitung und Auswirkungen eng mit strukturellen Entwicklungen zusammenhängen. Der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass traditionelle Bindungen schwächer geworden sind und Unsicherheiten in vielen Lebensbereichen zugenommen haben. Diese Prozesse verstärken Einsamkeit und Ressentiments. Beide können den gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Institutionen untergraben.
Ob Einsamkeit und Ressentiments zu dauerhaften gesellschaftlichen Herausforderungen werden oder überwunden werden können, ist eine offene gesellschaftliche Frage. Die Antwort hängt davon ab, wie demokratische Gesellschaften mit diesen Phänomenen umgehen. Entscheidend ist eine Politik, die soziale Ängste ernst nimmt und Vertrauen schafft, statt gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen. Die gezielte Förderung gesellschaftlicher Teilhabe und der Ausbau von Begegnungsräumen können dazu beitragen, Vereinsamung entgegenzuwirken und ressentimentgeladene Diskurse einzudämmen.
Das Buch bietet eine fundierte Analyse der Wechselwirkungen zwischen Einsamkeit und Ressentiment und deren Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Es überzeugt durch eine klare Argumentation, eine interdisziplinäre Fundierung und einen präzisen Blick auf emotionale, strukturelle und politische Dimensionen. Besonders fruchtbar ist die Verbindung von theoretischer Reflexion und empirischen Befunden. Die Autor_innen liefern keine einfachen Lösungen, sondern zeigen die Komplexität der Problematik auf. Wünschenswert wären weitere Ausführungen zu präventiven Maßnahmen. Insgesamt bietet der Band eine wertvolle Grundlage für ein besseres Verständnis gesellschaftlicher Spaltungen und möglicher Gegenstrategien.
Verlag: Hamburger EditionErschienen: Mai 2024Seiten: 184ISBN: 978-3-86854-387-2