Hass im Netz: Wie er sich äußert und was die Zivilgesellschaft dagegen tun kann!

Ein Interview mit Simone Rafael

Simone Rafael ist Journalistin und arbeitet seit 2002 für die Amadeu Antonio Stiftung im Internet: Erst baute sie www.mut-gegen-rechte-gewalt.de auf (Best- Practice-Portal für Initiativen für Demokratie). 2009 übernahm sie die Redaktion von www.netz-gegen-nazis.de, als das Kooperationsprojekt von der ZEIT zur Amadeu Antonio Stiftung kam. Daneben entwickelt sie Strategien gegen Rechtsextremismus im Internet (Kampagnen, Argumentationstrainings, Beratung).

MuP: Frau Rafael, warum gibt es Netz-gegen-Nazis und was ist Ihre Aufgabe?
Rafael: Netz-gegen-Nazis.de ist eine journalistische Website über Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland, beheimatet bei der Amadeu Antonio Stiftung. Wir berichten tagesaktuell und mit vertiefenden Hintergrundartikeln. Außerdem gibt es einen Lexikon-Bereich zu diesen Themen. Darüber hinaus beraten wir Leser_innen, die Hilfe suchen, oder verweisen an lokale Projekte, die helfen können. Zu einem unserer Schwerpunktthemen hat sich seit 2009 Hass und Rechtsextremismus in Sozialen Netzwerken entwickelt. Daraus ist auch ein eigenes Projekt bei der Amadeu Antonio Stiftung entstanden: „Debate : Dehate“ macht pädagogische Arbeit zum Thema und berät Initiativen, Politik, Unternehmen und Medien.

MuP: Wie äußert sich Rechtsextremismus und-populismus in Sozialen Netzwerken?
Rafael: Soziale Netzwerke sind seit Jahren die Propaganda-Plattform Nr. 1 für Rechtsextreme und Rechtspopulist_innen. Das ist nicht erstaunlich: Schließlich können sie hier ihre Propaganda verbreiten in Texten, Musik, Videos, ihren Lifestyle pflegen mit Versandhandel und eigenen „Medien“, versuchen, neue Mitstreiter_innen zu gewinnen, in die Szene mobilisieren – zu Demonstrationen, aber auch zu Gewalttaten. Außerdem bedrohen und beschimpfen sie hier natürlich Menschen, die sie zu ihren „Feindgruppen“ zählen. Das alles tun sie mit großer Ausdauer und teilweise verblüffender Professionalität. Es gibt sehr viele Angebote für viele verschiedene Zielgruppen: Für diverse Jugendkulturen, für „klassische“, NS-verherrlichende Neonazis ebenso wie für sich bürgerlich gebende oder sich als „Kreuzritter“ gerierende Islamfeinde. Aktuell das Hauptthema ist allerdings rassistische Hetze gegen Geflüchtete – und das zieht sich aus der rechtsextremen Szene bis in Kreise, in denen Menschen vorher nichts mit Rechtsextremen zu tun hatten, aber über den Rassismus ansprechbar sind.

MuP: Gibt es einen Unterschied zu „Face to Face-Situationen“? Ist es im Netz bspw. einfacher Rechtspopulismus und Hass zu verbreiten?
Rafael: Ja, definitiv. Wenn man sich früher etwa mit Inhalten rechtsextremer oder rechtspopulistischer Parteien auseinandersetzen wollte, musste man den Kontakt suchen, wenn die auf dem Marktplatz einen Stand machen – immer mit der Gefahr, dass das andere sehen und ich sofort die Konsequenzen tragen und Gegenrede aushalten muss. Im Internet kann ich mich in Ruhe radikalisieren, mir „Argumente“ aneignen, entsprechende Musik hören, in Foren diskutieren, bevor ich mich bekenne. Das Internet ist heute der klassische Einstiegsort in den Rechtsextremismus. Bei Menschen, die „nur“ rassistische Einstellungen verbreiten wollen, gibt es den Effekt der verrohenden Kommunikation: Wenn ich mich viel in Foren und Kommentarspalten aufhalte, in denen alle rassistisch hetzen, und die menschenverachtendsten Beiträge die meisten »Likes« bekommen, fühle ich mich motiviert, auch selbst immer krassere Dinge zu schreiben – Dinge, die ich im Offline-Leben nie äußern würde. Etwa die vielen mit oder ohne „Humor“ vorgetragenen Beiträge, die sich wünschen, Geflüchtete in Konzentrationslagern umzubringen. Da werden Grenzen – auch zur Strafbarkeit – überschritten, die im Offline- Leben oft noch gewahrt werden.

MuP: Wer schürt Hass im Netz und haben wir es mit Angst oder Rassismus zu tun?
Rafael: Rassismus – besonders gegen Geflüchtete – ist in der Gesellschaft weit verbreitet. In der wissenschaftlichen Forschung werden seit Jahren bei 25 Prozent der Menschen in Deutschland rechtspopulistische Einstellungen festgestellt. Bei Feindlichkeit gegen Geflüchtete gibt es Zustimmung bei bis zu 70 Prozent der Befragten. Dieses Potenzial nutzen Rechtsextreme – Parteien, Kameradschaften, Aktivist_innen - gezielt, indem sie etwa Lügen über angebliche Kriminalität von Geflüchteten in lokal angelegten „Nein zum Heim“-Facebook-Gruppen verbreiten. Auch Rechtspopulist_innen, etwa von „Pegida“ oder der AfD, befeuern diesen Diskurs. Und dies geschieht nicht nur auf eigenen Kanälen, sondern auch in Kommentarspalten von Medien. Wenn dann in meinem Ort eine Flüchtlingsunterkunft eröffnet wird und ich lese im Internet von vielen angeblichen „Vorfällen“, über die „die Medien“ absichtlich nicht berichten würden, da können auch Menschen Angst bekommen, die eigentlich nicht rassistisch eingestellt sind. Der Unterschied ist aber: Wer sich echte Sorgen macht, ist auch an Lösungen interessiert. Das sind die, die nur ihren Rassismus verbreiten wollen, nicht.

MuP: Was kennzeichnet Hassnetzwerke und mit welchen Strategien arbeiten Rechtspopulisten / Rechtsextreme in der Argumentation?
Rafael: Es wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut, vor allem mit Lügen, Fehlinterpretationen von Informationen, Verschwörungstheorien: Geflüchtete seien kriminell, gar Terrorist_innen, zumindest aber unberechtigt hier; Medien würden absichtlich nur positiv über Geflüchtete berichten, damit „das Volk“ die Wahrheit nicht erfährt. Gesteuert würde das durch Poltiker_innen oder Entscheider_innen – wenn ich einen Zug ins Antisemitische habe, vielleicht sogar von einer geheimen jüdischen Weltregierung. Das widerspricht sich teilweise selbst, ist völlig unlogisch – aber hier werden Menschen auf der Ebene von Emotionen angesprochen, deshalb funktioniert es leider oft trotzdem. Die Folge kann sein: Ich empfinde Handlungszwang, weil ich ja mich und meine Familie bedroht sehe. Das sind die Familienväter, die vorher nichts mit Rechtsextremismus oder Gewalt zu tun hatten, aber jetzt mit dem Benzinkanister in der Hand zur zukünftigen Flüchtlingsunterkunft laufen und sie anzünden. Oder ich will zumindest „die da oben“ abstrafen, wähle rechtspopulistische Parteien und hetze im Internet.

MuP: Was ist ihrer Ansicht das richtige Vorgehen gegen rechts und Menschenfeindlichkeit im Netz? Welche Möglichkeiten / Gegenstrategien gibt es?
Rafael: Grundlegende Arbeit gegen Rassismus ist nötig – denn der Hass kommt aus den Köpfen vor den Bildschirmen, nicht aus „dem Internet“. Im Internet selbst – wie in der Gesellschaft – brauchen wir aktive, nicht nachlassende Gegenrede zu rassistischen Vorurteilen – das wird selten den rassistischen Poster umstimmen, aber es lesen immer viele Menschen mit, die für Argumente erreichbar sind. Eigene Facebook-Seiten können einerseits auf Missstände hinweisen, andererseits positive Werte verbreiten. Doch alleine schafft die digitale Zivilgesellschaft das nicht: Strafrechtlich relevante Inhalte müssen auch strafrechtlich verfolgt werden – dafür brauchen wir besser fortgebildete Polizei und Justiz. Auch die Unternehmen müssen ihre Verantwortung ernst nehmen, Inhalte, die den eigenen AGBs widersprechen, auch löschen. Dazu können sie zivilgesellschaftliche Gegenaktionen unterstützen. Politik muss Werte verteidigen.

MuP: Wie können (geistige) Brandstifter entlarvt werden? Und wann lohnt es sich noch zu diskutieren?
Rafael: Ich finde Fragen immer hilfreich. Wenn ich nachfrage, finde ich oft schnell heraus: Ist hier jemand an einem Gespräch interessiert, hört derjenige auch zu? Oder wird hier nur Propaganda verbreitet, vielleicht sogar nur nachgeplappert? Wenn ich Quellen und Statistiken hinterfrage, rassistische Verallgemeinerungen benenne, Gegenargumente bringe, kann ich hoffentlich überzeugen, zumindest aber Zweifel an der Glaubwürdigkeit der ersten Aussage schüren. Zu Ende ist die Diskussion definitiv, wenn das Gegenüber beleidigend und persönlich wird – und nicht mehr bereit ist, diese Ebene zu verlassen. Sie müssen übrigens nicht allein diskutieren: Sprechen sie die stillen Mitlesenden an, sich auch zu äußern. Rassist_innen und antidemokratische Modernitätsverweigerer sind eine laute Minderheit. Die meisten Menschen in Deutschland wissen unsere Freiheiten und Vielfalt sehr zu schätzen.

MuP: Sie und Netz-gegen-Nazis sind sehr erfolgreich, welche Strategien wenden sie an?
Rafael: Unsere Aufgabe mit Netz-gegen-Nazis.de ist vor allem: Informationen zur Verfügung zu stellen. Wir versorgen Menschen mit Fakten und guten Argumenten, informieren aber auch über neue Strategien und Organisationen der Rechtsaußen-Szene. Denn deren Protagonist_innen sind oft geschulte Demagogen – da ist es hilfreich, vorbereitet zu sein. Über unsere Social Media-Kanäle vernetzen wir natürlich auch Aktivist_innen und versuchen, mehr Menschen zu Engagement zu ermutigen. Denn eines ist klar: Wir brauchen nicht nur einige NGOs oder Organisationen, die Gegenrede betreiben – jede_r einzelne Nutzer_in muss das tagtäglich als Aufgabe begreifen, wenn der Arbeitskollege mal wieder einen rassistischen Bildwitz postet. Auf persönlicher Ebene sind Menschen oft auch besser ansprechbar.

MuP: Was empfehlen Sie Menschen, die sich für Demokratie, Menschlichkeit und eine offene Gesellschaft einsetzen?
Rafael: Sich Gleichgesinnte zu suchen, gemeinsam aktiv zu werden. Das macht mehr Spaß und macht die schlimmen Dinge, mit denen man sich bisweilen auseinandersetzen muss, besser erträglich. Suchen Sie sich ein Engagement nach ihrem Geschmack, sie sind alle gut: Argumentieren sie mit Humor oder mit Fakten. Wenn Sie sich nicht GEGEN Nazis engagieren wollen, werden Sie doch FÜR Geflüchtete oder lokale Demokratie aktiv. Wichtig ist auch, den Selbstschutz nicht zu vergessen – etwa der persönlichen Daten im Internet.

Wir bedanken uns für das Gespräch!
Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder.

Bonn, 2016