Akademie für Soziale Demokratie

Matthias Quent (2019): Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können. München: Piper

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Kurzgefasst und eingeordnet von Marcel Lewandowsky
Marcel Lewandowsky forscht und lehrt an der Universität von Florida u. a. zu Populismus, Parteien und demokratischer Partizipation.


buch|essenz

Kernaussagen

Was ist Rechtsradikalismus, warum ist er erfolgreich und wie kann man ihn bekämpfen? Angesichts der hohen Wahlergebnisse der Alternative für Deutschland (AfD) und der Zunahme rechtsextremer Gewalttaten sind diese Fragen eindringlicher denn je. Matthias Quent liefert detaillierte Einsichten zur Strategie der Rechtsradikalen und zu den Strukturen, von denen sie profitieren. Der Autor identifiziert viele Ursachen: von Kränkungsgefühlen, Vereinzelung in der Globalisierung, ostdeutschen Besonderheiten, wirtschaftlicher Konkurrenz als Gesellschaftsprinzip bis hin zu Verschwörungsdenken. Er plädiert dafür, den Rechten keine Zugeständnisse zu machen. Stattdessen sollen sich Politik und Zivilgesellschaft auf die Seite derer stellen, die von Diskriminierung betroffen sind. Rechtsextreme Positionen müssen stets geächtet werden.

Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie

Die Erfolge rechtsradikaler Parteien in Europa, aber auch in Lateinamerika und bis zuletzt in Gestalt des US-Präsidenten Trump stellen die liberalen Demokratien vor substanzielle Herausforderungen. Auf der einen Seite fügen rechtsgerichtete Regierungen den demokratischen Institutionen substantiellen Schaden zu. Auf der anderen Seite können rechtsradikale Parteien und Bewegungen auch ohne formale Macht den Diskurs bestimmen, die Parteien des politischen Mainstreams bis in die Sozialdemokratie hinein thematisch vor sich hertreiben. Und so bestellen die Rechtsradikalen, oftmals selbst in der Opposition, das Feld. Immer noch begegnen die Demokraten der Herausforderung von rechts mit einer gewissen Hilflosigkeit. Eine funktionierende Gegenstrategie gibt es bislang nicht. Quents Buch ist ein Beitrag zu der Debatte, wie mit dem Phänomen umzugehen wäre: politisch, juristisch, in Gestalt der Polizei und als Gesellschaft.


buch|autor

Matthias Quent ist ein deutscher Soziologe. Seit 2016 ist er Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) unter Trägerschaft der Amadeu-Antonio-Stiftung. Quent tritt als Experte für Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus auf und veröffentlichte zahlreiche Monografien und Sammelbandbeiträge zu diesen Themen.


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buch|inhalt

Wie die Rechten Begriffe okkupieren

Die AfD ist Teil einer facettenreichen rechtsradikalen Bewegung, deren Akteure miteinander vernetzt sind. Zugleich sind die Rechtsradikalen in manchen Gegenden, etwa in ländlichen Teilen Ostdeutschlands, nicht nur stark, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert. Rechtsradikale profitieren von der Angst vor den Fremden, die sie selbst schüren.

Die Rechtsradikalen okkupieren dabei auch die Sprache. Ein Beispiel dafür ist der Begriff des „Widerstands“, der in der rechtsradikalen Kommunikation wichtig ist.

„Von Widerstand zu sprechen—und eben nicht von Angriff—ist ein rhetorischer Trick. Denn Gewalt wird von den meisten Menschen abgelehnt, wenn der Gewalttäter als Aggressor erscheint. Wenn es jedoch gelingt, Aggressionen als Widerstand, Verteidigung oder Notwehr gegen angebliche Bedrohungen darzustellen, wächst das Verständnis.“

Die Topoi der radikalen Rechten

Diese Widerstandserzählung ist nicht neu. Bereits die Nationalsozialisten begründeten ihren Antisemitismus mit der angeblichen Bedrohung des deutschen Volkes durch Juden. Gleichzeitig wird klar, dass zur angeblichen „Notwehr“ auch die Konstruktion des Fremden gehört. Die Rechtsradikalen ziehen eine Demarkationslinie zwischen den ihren, die dazugehören, und den anderen, die von außen kommen. So schaffen sie selbst die Grundlage für den Widerstand, den sie entfachen wollen.

Ungewollt erhalten sie häufig Unterstützung von Politiker der etablierten Parteien, die ihre Narrative aufgreifen, weil sie sich davon versprechen, die Wähler der Rechtsradikalen in den Kreis der Demokraten zurückzuholen.

Die Topoi der radikalen Rechten sind nicht selten Teil des politischen Mainstream, etwa  der Begriff der sogenannten „konservativen Revolution“. In der Weimarer Republik bezeichnete er eine Sammlung reaktionärer Intellektueller unterschiedlicher Couleur, die die Demokratisierung des Deutschen Reiches bekämpften und einen autoritären Staat herbeisehnten. Der Begriff wird auch von manchen Konservativen der Bundesrepublik bedenkenlos im Munde geführt.

Konservative und Rechtsradikale arbeiten beide mit  Begriffen wie Bedrohung, Dekadenz und Zerfall… Konservativ sind die Rechtsradikalen aber gerade nicht. Sie okkupieren den Begriff nur, um ihre Anschlussfähigkeit zu demonstrieren. Vielmehr sind sie, im Sinne von Theodor Adorno, Reaktionäre, „die liberale und konservative Ansichten lediglich als Deckmantel für letztlich destruktive Wünsche nutzen“.

Die vielen Facetten von Deutschland rechts außen

„Alle Nazis sind rechtsradikal, aber nicht alle Rechtsradikalen sind Nazis“

Daraus folgt zweierlei. Zum einen verbirgt sich hinter dem Begriff des Rechtsradikalismus eine gewisse ideologische Varianz: Von den rechtsextremen Jugendkulturen, die das Bild der Neonazis in den Neunzigerjahren prägten über das Querfront-Magazin „Compact“ des ehemals linken Verlegers Jürgen Elsässer bis hin zu den rechten Intellektuellen, die sich um den Verleger Götz Kubitschek oder das Institut für Staatspolitik sammeln.

Einstellungen, die man als rechts außen oder rechtsradikal bezeichnen kann, umfassen rassistische, chauvinistische, sexistische, autoritäre sowie anti-demokratische Merkmale. Dabei sind rechtsradikale Einstellungen nicht Neonazis und Rechtsintellektuellen vorbehalten. Sie sind bis weit hinein in die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ verbreitet. Dem organisierten Rechtsradikalismus gelingt es aber, diese Einstellungen zu politisieren und zu radikalisieren.

Die AfD war von Beginn an eine Alternative für diejenigen, denen die CDU unter Angela Merkel zu liberal geworden war und sich die Union von Alfred Dregger und Franz-Josef Strauß zurückwünschen. Sie ist ein Ergebnis dessen, was Pippa Norris und Ronald Inglehart als „cultural backlash“ bezeichnen. Westliche Gesellschaften werden moderner, liberaler und offener. In rechtsradikalen Parteien sammeln sich diejenigen, die sich von diesen Entwicklungen verunsichert und abgestoßen fühlen und die ihre traditionalistischen Einstellungen nicht mehr repräsentiert sehen.

Zugleich ist es ein Kampf um die eigenen Privilegien, denn die Bevölkerung wird diverser. Reaktionäre wähnen sich im Abwehrkampf gegen Minderheiten, von denen sie sich von ihren angestammten Plätzen in der Gesellschaft verdrängt sehen. Der Backlash hat also viele Gesichter. Ihnen gemein ist ein Gefühl der Kränkung: der deutschen Identität, des Glaubens an den Nationalstaat, der Erwartungen in den Staat, patriarchaler Ansprüche und ideologischer Wahrheitsansprüche.

Rechtsextremismus betrifft nicht nur die Unterschicht

Oftmals sprechen wir über Rechtsradikalismus immer noch, als sei er ein Außenseiterproblem. Wir verorten ihn in der sogenannten „Unterschicht“ oder bei jenen mit geringer formaler Bildung. Eine gängige Deutung des Wahlerfolgs rechtsradikaler Parteien ist, dass sie von den Schattenseiten ökonomischer Modernisierung wie etwa Arbeitslosigkeit und Armut profitieren und deshalb besonders von wirtschaftlich Abgehängten gewählt würden. Das ist ein „Mythos“. Die Wählerschaft der AfD umfasst alle gesellschaftlichen Schichten. Ein stabiler Anteil der deutschen Bevölkerung, das zeigen Studien immer wieder, hat ein rechtsextremes Weltbild.

In der Tat ist rassistisches Denken auch bei Hochgebildeten verankert. Gerade jene, die kampagnenstark sind, versuchen diese Einstellung auch politisch zu nutzen.

Der ewige Untergang: Angstmache ohne Ende

Ein treibender Motor für den Erfolg rechtsradikaler Parteien ist Angst. Im Zentrum der rechtsradikalen Ideologie steht die Furcht vor und zugleich die Sehnsucht nach der Apokalypse. Rechtsradikale glauben an einen Schicksalskampf um Wohl und Wehe der eigenen Kultur gegen Feinde von innen und außen. Jeden neuen islamistischen Terroranschlag, überhaupt die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte werden von ihnen begierig aufgegriffen, um ihr Untergangsnarrativ zu nähren. Zugleich stilisieren sich die Rechtsradikalen als letzte Heroen einer „guten alten Zeit“.

Über ihre extremistischsten Vertreter hinaus war und ist der Untergangsdiskurs der Rechten oft anschlussfähig, denn es steckt „in der Kritik an Kultur und Moderne oft auch ein gutes Stück Wahrheit“.

Die Skepsis gegenüber dem Neuen zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte, und nicht jede Form von Nostalgie ist gleich rechtsradikal. Aus psychologischer Sicht kann sie sogar positive Funktionen erfüllen. Auch sind nostalgische Gefühle kein Randthema - fast zwei Drittel der Deutschen hegen sie. Den Hang zur Nostalgie nutzen Rechtsradikale, indem sie die Rückkehr zur verklärten Vergangenheit versprechen.

Dennoch ist die Offenheit der liberalen Gesellschaftsordnung keine Schwäche, sondern „die große Kraft der Gelassenheit“, die eben auch „Leiden, Gefahren und Widersprüche“ mit sich bringt. Diese Widersprüche auszuhalten, ohne dem Katastrophennarrativ der Rechtsradikalen auf den Leim zu gehen, ist der Schlüssel zum Widerstand der freien Gesellschaft gegen die Untergangspropheten von rechts.

Rechtsterrorismus lange unterschätzt

Der Rechtsterrorismus wurde gegenüber dem Terrorismus von Links zeitweise stark unterschätzt. Die extremste Manifestation rechter Gewalt ist der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), jene terroristische Gruppierung, die zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet hat.

Dieser Fall zeigt auch den problematischen Umgang von Polizei, Justiz und Zivilgesellschaft mit den Rechtsterroristen. Für Polizei und Medien rekurrierten die Taten lange Zeit als „Döner-Morde“. Die Betroffenen wurden gleich mehrfach entmenschlicht. Der Umgang mit dem NSU zeigt, wie tief Rassismus in der Gesellschaft verankert ist.

Ostdeutschland: Eine Projektionsfläche

In Ostdeutschland sind rechtsradikale Gewalttaten besonders stark ausgeprägt. Die AfD erreicht in den Neuen Bundesländern ihre höchsten Wahlergebnisse. Der Rechtsradikalismus ist zwar nicht allein ein ostdeutsches Problem. Aber in Ostdeutschland kommen besondere Bedingungen hinzu, von denen die Rechtsradikalen heute profitieren. Dazu gehören die kulturelle und ethnische Homogenität der ehemaligen DDR, aber auch Gefühle von Benachteiligung und Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Westen. Viele Menschen sind von Ostdeutschland in den Westen gezogen. Übriggeblieben sind, gerade in ländlichen Gegenden, „eher die […], die besonders anfällig für rechtsradikales Denken sind.

Der Osten ist komplexer, als es die Nachrichten über rechtsradikale Übergriffe und die hohen Wahlergebnisse der AfD annehmen lassen. Der Anteil rechtsextrem eingestellter Menschen in Thüringen ist seit dem Jahr 2000 gesunken. Dafür jedoch steigt der Anteil jener, die offen zu ihrer Einstellung stehen.

Die Rechtsradikalen stoppen: No pasarán!

Rechtsradikale Parteien und Bewegungen geben vor, Sprachrohr des „wahren Volkes“ zu sein. Tatsächlich aber vertreten sie nicht die von ihnen gern beschworene „schweigende Mehrheit“, sondern eine Minderheit. Rechtsradikale und rechtsextreme Einstellungen machen einen relativ geringen Prozentsatz gegenüber denjenigen aus, die tolerant und weltoffen sind.

Wie aber den Vormarsch der Rechtsradikalen stoppen? Oftmals fühlen sich die, die sich aktiv gegen rechts engagieren, von der Politik allein gelassen - umso mehr, wenn Parteien der politischen Mitte die Sprache und die Themen der Rechten manchmal selbst übernehmen, und sei es nur im Zuge des Versuchs, ihnen das Wasser abzugraben. Doch das zivilgesellschaftliche Engagement ist ein wichtiger Teil der liberalen Demokratie. Umso deutlicher müssen alle politischen Akteure die Einfallstore für den Rechtsradikalismus in den politischen Diskurs schließen. Das Stichwort hier lautet „Unerwünschtheit“. Das bedeutet, dass rechtsradikale Einstellungen benannt und geächtet werden und Rechtsradikale keine Bühne bekommen dürfen. Dass die Rechten sich dann als Opfer stilisieren, ist ein Taschenspielertrick, dem man nicht auf den Leim gehen sollte. Man kann ihnen gar nicht so weit entgegenkommen, dass sie damit aufhören würden.

Da nicht alle Personen, die rechtsradikale Parteien wählen, auch selbst rechtsradikal sind, bedarf es unterschiedlicher Formen der Ansprache. Ihnen gemein ist aber, dass es eine klare und unmissverständliche Grenze gegen Rassismus, Antisemitismus und andere menschen- und demokratiefeindliche Einstellungen geben muss. Das gilt nicht nur für die Zivilgesellschaft, sondern auch und vor allem für die Politik. Anstelle von inhaltlichen Zugeständnissen oder gar Zusammenarbeit sollte die Solidarität mit jenen stehen, die rechter Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind. Nur so lässt sich ein Signal setzen, dass die Gesellschaft tatsächlich unteilbar ist.

Dem Zukunftspessimismus der Rechtsradikalen stellt sich ein politischer Optimismus entgegen. „Zusammenhalt braucht Zuversicht“. Daher müsse man die Perspektive ändern: nicht das Imitieren des Pessimismus‘ der Rechten, sondern Fokussierung auf den Fortschritt. Missstände müssen benannt, aber dürfen nicht zum allgemeinen Zustand verklärt werden.


buch|votum

Rechtsradikalismus ist, als Bewegung, in Gestalt extremistischer Terrorgruppen oder in Form von Parteien, eine dauerhafte Gefahr für den demokratischen Frieden. Wer den Rechtsradikalismus in Deutschland verstehen will, findet in Quents Buch eine ergiebige Quelle. Es ist ein inhaltlich reichhaltiges Werk. Seine Argumente stützen sich auf eine Vielzahl theoretischer und empirischer Untersuchungen und decken das Phänomen des Rechtsradikalismus in Deutschland nahezu gänzlich ab.

„Deutschland rechts außen“ ist insgesamt ein politisches Buch, kein rein wissenschaftliches. Quent geht es um eine gesamtgesellschaftliche Haltung gegen rechts.

Zugleich bietet Quents Arbeit durchaus Raum für weitere Überlegungen. Denn Rechtspopulismus ist nicht einfach Rhetorik; er hat Substanz. Er ist ein Programm für eine andere, eine illiberale Demokratie. Und er ist eine Einstellung vieler Wählerinnen und Wähler. Sie glauben einerseits, dass in einer Demokratie der Wille des Volkes weder durch das Recht noch durch Institutionen eingeschränkt werden dürfe. Die rechtspopulistischen Parteien geben ihnen das Versprechen, echte Demokratie herzustellen. Nicht umsonst spricht der Politikwissenschaftler Cas Mudde von „populist radical right“. Das muss man ernst nehmen, wenn man den Erfolg des Rechtspopulismus verstehen will.

Eine weitere Anschlussfrage besteht darin, ob Menschen mit rechtspopulistischen und rechtsradikalen Einstellungen unbedingt auch Parteien mit diesem Profil wählen oder aber für die demokratischen Parteien noch ansprechbar sind. Der Soziologe Seymour Martin Lipset hat bereits in den 1950er Jahren gezeigt, dass die Wähler sozialdemokratischer Parteien wesentlich autoritärer eingestellt waren als „ihre“ Partei. Ob im Umkehrschluss gilt, dass Parteien des politischen Mainstreams zumindest um einen Teil der Wähler rechtsradikaler Parteien konkurrieren können—und wie entsprechende Gegenstrategien aussähen—wäre eine spannende Debatte, für die Quents Arbeit eine inspirierende Grundlage liefert.

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Verlag: Piper
Erschienen: 05. August 2019
Seiten: 304
EAN: 978-3-492-31778-8

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