Machen die Leute etwas falsch, wenn sie Sicherheit oder genug Lohn für gutes Leben nicht aus eigener Kraft erreichen?
Friedrichs zitiert Studien und Wissenschaftler_innen, um ihren anekdotischen Befund zu unterstreichen: Es ist heute kaum mehr möglich, ungelernt allein durch Anstrengung zu bescheidenem Wohlstand und Teilhabe am Wachstum zu kommen, wie es noch in der Generation der bis 1955 Geborenen möglich war. Denen erlaubte die nivellierte Mittelstandsgesellschaft ungekannte Wohlstandsgewinne, beispielsweise den Bau von Eigenheimen nahezu unabhängig von der Art der Beschäftigung, mit wenig Eigenkapital und nur einem Hauptverdiener in der Familie.
Bis in die 1980er Jahre hinein war das Verhältnis zwischen den Einkünften aus Arbeit und den Einkünften aus Kapital stabil. Seitdem galoppieren aber die Einkünfte des Kapitals davon, während die Einkünfte durch Arbeit besonders in den unteren Lohngruppen stagnieren oder sogar sinken. Die Gründe dafür: Globalisierung, Deregulierung von Arbeit und Migration. Sie trugen zu Druck bei, der in der Folge die oft großzügig ausgestatteten Arbeitsverhältnisse mit diversen Zulagen und betrieblichen Vergünstigungen für Wohnung, Urlaubsreisen oder Kreditaufnahme massiv zusammenstrich. Die Zerstückelung von Großunternehmen kappte interne Aufstiegschancen gerade für Leute ohne Ausbildung. Die Autorin lässt hier am Beispiel von Karstadt langjährige Mitarbeitende eindrucksvoll vom internen Wandel erzählen.
Der Erbmarkt ist so für viele Jüngere entscheidender als der Arbeitsmarkt. Von dort kommt das Startkapital für das eigene Häuschen, denn die vermögendste Kohorte sind die aktuell 70-75-Jährigen. Die heutige Generation in Rente ist so gut ausgestattet, wie es zukünftige Generationen nicht mehr sein werden. Friedrichs wünscht sich hier eine Regierung, die „die Wohlhabenden unter den Älteren zum Maßhalten“ zwingt.
Besonders hebt die Autorin den Bruch im Osten hervor. Dort betrug der Lohnabstand zwischen Menschen in der Produktion und denen, die Hochschulabschlüsse hatten, nur 15 Prozent. Das Eigentum an Immobilien oder Produktionsmitteln war kein relevantes Differenzierungskriterium. Diese Gesellschaft der ökonomisch relativ Gleichen wurde innerhalb kürzester Zeit massiv durchgeschüttelt. Von den im Jahr 1989 Erwerbstätigen arbeiteten vier Jahre später über zwei Drittel nicht mehr im ursprünglichen Beruf; fast die Hälfte aller Beschäftigten wurde in den ersten sieben Jahren nach der Maueröffnung mindestens einmal arbeitslos. Die Wende fiel in die Phase, als die Aufstiegsmobilität auch im Westen stoppte.
Der staatliche Mindestlohn hat zwar das Absinken der Löhne gestoppt, aber an der ungleichen Verteilung der Gehälter nichts geändert. Nicht nur Linke, sondern z.B. auch Vertreter_innen der katholischen Soziallehre wollen, dass „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand“ gelingt. Dazu gab es in den 1960ern auch politische Programme: Vermögensbildungsgesetz, Bauförderung, Sparfreibeträge, echtes Miteigentum. Aber das Interesse daran ist erlahmt.
Geld auf dem Sparbuch und in konservativen Geldanlagen verliert aufgrund der Nullzinspolitik aktuell an Wert. Wieso wird das Geld aber bei Reichen mehr? Sie leisten sich eigenes Personal, das sich nur um die Anlage des Vermögens kümmert. Wer hat, kann vermehren.
Und noch etwas kommt den Reichen entgegen: Deutschland finanziert sich vor allem durch Steuern auf Konsum und Arbeit. Kapitalsteuern sind hingegen seit den 80ern in der westlichen Welt immer weiter gesunken. Die Vermögenssteuer ist seit 1997 ausgesetzt. Zwischen 1985 und 2018 ist der Durchschnittssatz der Körperschaftssteuer, zuzüglich der Gewerbesteuer quasi die Einkommenssteuer der Unternehmen, weltweit um mehr als die Hälfte gesunken, von 49 auf 24 %; in Deutschland sogar von 36 auf gerade einmal 15 %.